Interview zum Thema Sucht in Zeiten von Corona
Auf keinen Fall wegschauen

Lars Kiefer | Foto: Lars Kiefer leitet die Fachstelle Sucht in Singen. swb-Bild: pr
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Singen. Die aktuelle Situation kann besonders für Suchtkranke zu einer echten Herausforderung werden. Im Interview mit dem WOCHENBLATT spricht Lars Kiefer, der Leiter der Fachstelle Sucht in Singen, über die Probleme, die diese mit sich bringt, und was Freunde oder Angehörige von Betroffenen tun können.

Macht es Ihnen Sorge, dass die aktuelle Situation besonders herausfordernd für suchtkranke oder suchtgefährdete Personen sein könnte?

Lars Kiefer: Besonders für Menschen, die Doppeldiagnosen haben, also die beispielsweise zusätzlich zu ihrer Suchtkrankheit noch eine Depression oder Ähnliches haben, ist es sehr schwer, zuhause in der Isolation zu sein. Das stellt ja sogar vollkommen gesunde Menschen vor eine ganz besondere Herausforderung.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich viele Menschen derzeit Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Der Mensch sucht ja meistens nach einfachen Lösungen für Probleme und leider sind da Suchtmittel oft willkommen, auch wenn sie in Wirklichkeit natürlich keine Lösung sind.

Wie läuft die Betreuung ab, in Zeiten, in denen man persönliche Kontakte meiden sollte?

Lars Kiefer: Auch das ist natürlich eine besondere Herausforderung. In der Regel haben wir ja auch Gruppentherapien, bei denen sich die Klienten untereinander austauschen können, was ein sehr wichtiger Aspekt ist. Das fällt aber im Moment weg. Insgesamt haben wir unsere telefonische Beratung verstärkt.
Wir telefonieren aktuell mit Menschen, die wir sonst einmal pro Woche persönlich oder in der Gruppe treffen, mehrmals pro Woche. Dazu bekommen wir auch viele positive Rückmeldungen.
Außerdem stellen wir eine Liste mit 88 alternativen Tipps für Beschäftigung auf unsere Internetseite, die Anregung dazu geben soll, sich zuhause zu beschäftigen.

Sie haben auch Angebote für Kinder aus suchtbelasteten Familien, welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation darauf?

Lars Kiefer: Den Kindern fällt zuhause die Decke auf den Kopf. Für ein bisschen Ablenkung haben wir den Insta-Channel #nero_rakete eingerichtet. Nero ist der Begleithund der Gruppe. Außerdem bieten wir einzelnen Kindern derzeit Spaziergänge mit Nero an, damit sie Abstand von zuhause bekommen können. Auch zu den Kids versuchen wir telefonisch und per Skype Kontakt zu halten, aber der persönliche Kontakt ist nun mal schwer zu ersetzen. Alle zwei Jahre organisieren wir eine Osterfreizeit in der Toskana, wenn genug Spenden zusammengekommen sind. Diese muss leider ausfallen. Wir werden sie aber 2021 nachholen, die Spenden sind also nicht verloren.

Wie kann man damit umgehen, wenn man merkt, dass z.B. ein Familienmitglied jetzt suchtgefährdet sein könnte?

Lars Kiefer: Auf keinen Fall sollte man wegschauen. In solchen Situationen, zum Beispiel wenn jemand aus Langeweile anfängt Alkohol zu trinken, merken das die Betroffenen oft selbst gar nicht. Wichtig ist, das Thema offen aber verständnisvoll anzusprechen. Auf keinen Fall sollte man die Person mit Vorwürfen an die Wand klatschen. Wichtig ist zudem, die Person abzulenken, auf positive Gedanken zu bringen und gemeinsam Alternativen zu suchen. Beispielsweise neue nicht alkoholische Getränke. Grundsätzlich gilt: je früher man Kontakt zu uns aufnimmt, desto besser. Wir bieten auch Beratung für Angehörige oder Freunde von Betroffenen an.

Weitere Infos: www.bw-lv.de/beratungsstellen/fachstelle-sucht-singen/
Tel.: 07731/912400

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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