Mord, Unterschlupf, Bunker: Geheimnisse der künstlichen Stollen von Zizenhausen
Die Höhle wurde zur Hölle

Höhle Zizenhausen | Foto: In Zizenhausen wurde eine von Menschenhand künstlich in den weichen Sandstein gehauene Höhle erforscht, vermessen und untersucht.swb-Bild: Freunde der Aachhöhle/ Rudi Martin
  • Höhle Zizenhausen
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Stockach-Zizenhausen (sw). Einen blutigen Mord. Die nackte Überlebensangst. Die Seufzer einer einsamen Seniorin. Das Krachen von Sprengladungen. Auswüchse purer Abenteuerlust. Sie haben viel gesehen und gehört. Ach, wenn diese Felswände doch sprechen könnten! Sie hätten unendlich viel zu erzählen. Da sie aber stumm bleiben, mussten die »Freunde der Aachhöhle« der Höhle mit Eingang auf dem Grundstück von Hanspeter Wibbelt in Zizenhausen ihre Geheimnisse mühsam entlocken. Noch ist nicht alles erforscht, erklärt der zweite Vereinsvorsitzende Rudi Martin – aber atemberaubende Erkenntnisse liegen vor.

Einen Einblick dazu gibt er am Donnerstag, 4. April, ab 19.30 Uhr im Rahmen eines Vortrags im FSG-Clubheim in Zizenhausen. Dabei wird er eine Sensation lüften. Angeregt durch die gemachten Entdeckungen, befasste er sich intensiver mit einer anderen Höhle vor Ort, der Heidenhöhle, und kam hinter das Geheimnis ihrer Entstehung: Sie wurde als mittelalterliche Höhlenburg im 13. und 14. Jahrhundert genutzt.

Doch auch die Höhle auf dem Grundstück von Hanspeter Wibbelt hat ihre Geschichte(n). Aber der Eingang war zugeschüttet, Erde, Schutt und Dreck versperrten den Zugang. Als aber nun neue Fledermausquartiere für Ausgleichsmaßnahmen der Stadt Stockach gesucht wurden, erzählt »Grünen«-Gemeinderat Wibbelt, wurden das UmweltZentrum Stockach mit Leiterin Sabrina Molkenthin, Fledermausexperte Wolfgang Fiedler und dessen Ehefrau Alexandra Sproll von der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg aktiv. Sie baten die »Freunde der Aachhöhle« um Hilfe. Die rückten an – und zunächst unverrichteter Dinge wieder ab.

Denn hinter dem von ihnen freigelegten Höhleneingang befand sich ein etwa zehn Meter tiefer, fast senkrecht verlaufender Schacht, in dem drei schwere, fast 100 Kilo schwere Steine einen Einstieg verhinderten, erklärt Vereinsvorsitzender Lothar Dietrich.

Also kehrten die Experten mit einem Flaschenzug zur Höhle zurück und entfernten die Steine. Zu dritt gingen Lothar Dietrich, Rudi Martin und Jörn Brumme dann auf eine fast vierstündige Entdeckungsreise: Sie erkundeten, besichtigten und vermaßen die Höhle – von Menschenhand künstlich in den weichen Molassesandstein gehauene Stollen mit einer Gewölbedecke, in denen sie aufrecht gehen konnten. Wie drei Finger einer Hand besteht der bisher gefundene Teil dieser Kunsthöhle aus drei lang gestreckten Gängen mit einer Gesamtlänge von 120 Metern, die durch eine Art Foyer miteinander verbunden sind.
Künstliche Felswände – Schauplatz menschlicher Dramen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die unterirdischen Räume als Bunker zum Schutz vor den Bomben der Alliierten genutzt. Doch eine Seniorin war schlecht zu Fuß, und es war mühsam, sie in den unterirdischen Sicherheitskeller zu bringen. Darum wurde für sie in einer Nische ein kleines Zimmer für einen längeren Aufenthalt eingerichtet – Teile einer Federkernmatratze, von Konservendosen und anderen Lebensmitteln wurden von Lothar Dietrich, Rudi Martin und Jörn Brumme in der Höhle gefunden. Sie hatte während des Zweiten Weltkriegs das Überleben Schutzsuchender gesichert – doch sie diente auch anderen Funktionen.

Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Höhle wegen ihrer kühlenden Wirkung als Bierkeller und Vorratsraum der benachbarten »Krone« genutzt. Die erste urkundliche Erwähnung der Stollen erfolgte 1812, so Rudi Dietrich, als die »Krone« verkauft wurde.

Die künstlichen Höhlen von Zizenhausen sollten aber auch eine blutige Untat vertuschen. In der Ortschronik von Kurt Schmidt über Zizenhausen findet sich ein kurzer Abschnitt über einen Mord in den verwinkelten Gängen, dem Rudi Martin nachging. Im Staatsarchiv Freiburg fand er umfangreiches Aktenmaterial dazu: Ein Maurergeselle soll 1906 einem neunjährigen Jungen, der in der »Krone« wohnte, die Kehle durchgeschnitten und die Leiche in den Höhlen versteckt haben. Das Motiv blieb unklar, der Maurergeselle hat nie gestanden. Doch die Beweise waren erdrückend: Der Mann wurde zum Tode verurteilt, wohl aber begnadigt. Denn Rudi Martin hat einen Hinweis auf einen Gefängnisaufenthalt in Bruchsal gefunden. Danach verliert sich die Spur.
Eine gruselige Geschichte mit unklarem Tatmotiv. Die Motive der französischen Besatzer aber lagen klar auf der Hand. Aus purem Pragmatismus sprengten sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen Höhleneingang. Partisanen, letzte Reste sinnlosen deutschen Widerstandes, sollten sich hier nicht verschanzen können.

Junge unternehmungslustige Männer aber konnte die Sprengung nicht aufhalten. Aus Abenteuerlust kletterten sie in späteren Jahrzehnten in die Höhle hinein. Ob sie dabei auch Party gemacht haben? Das gehört zu den Rätseln der Steinmauern. Immerhin haben die »Freunde der Aachhöhle« bei ihrer Erkundung Bierdosen gefunden. Eine mit dem Verfallsdatum 1992. So bleiben viele Fragen. Etwa wann und warum die Höhlen geschaffen wurden. Die »Freunde der Aachhöhle« forschen weiter.

Die Eingänge zu den Höhlen befinden sich auf Privatgrundstücken, die Zugänge sind nicht begehbar, Besuche nicht möglich.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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