Schmerzhafte Analysen, aber auch optimistische Ausblicke beim Singener SPD-Neujahrsempfang
Die SPD kann die Herausforderungen der Demokratie lösen

Sven Jochem | Foto: Sven Jochem bei seinem Vortrag über die Krisen der Demokratie beim digitalen Neujahrsempfang der SPD in Singen. swb-Bild: Sreenshot
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  • Foto: Sven Jochem bei seinem Vortrag über die Krisen der Demokratie beim digitalen Neujahrsempfang der SPD in Singen. swb-Bild: Sreenshot
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Singen. Wie im letzten Jahr: auch zum Start ins Jahr 2022 hatte die Singener SPD für ihren Neujahrsempfang das digitale Format gewählt, um damit sicher zu sein, sich nicht zu nahe zu kommen angesichts der aktuellen Besorgnisse um eine „fünfte Welle“ mit der Omikron-Variante und wegen kaum einschätzbarer Infektionszahlen über den Jahreswechsel. Rund 40 Zuschauer aus den Parteikreisen setzten sich vor ihre Bildschirme statt in die Färbe am Sonntagabend – und bekamen von Professor Sven Jochem von der Uni Konstanz eine sehr durchdachte Diagnose des Patienten Demokratie in seinem Festvortrag am Schluss des Empfangs geliefert, der trotz vieler „Aua“-Momente doch mit Optimismus endete.

Jochem schickte auch das Lob gleich vorab auf die Reise. Die Sozialdemokraten seien aus seiner Sicht die Partei, die mit den aktuellen Herausforderungen am besten umgehen könne. Vor allem, weil sie die Nähe zum Volk suche. Wenn Demokratie freilich die Herrschaft des Volkes sein solle, müsse man sich zugleich fragen, wer alles das Volk ist. In Berlin hätten bei der Bundestagswahl im September rund ein Drittel der Einwohner gar nicht mitwählen dürfen, weil sie einen anderen Pass hatten – trotzdem seien sie doch ein Teil der Stadt, fragte er als ersten „Aua“-Moment. Demokratie stehe immer vor dem Knackpunkt: „Wie könnten wir uns selbst so regieren, dass alle gleichwertig zustimmen können, auch diejenigen, die nicht so davon profitieren könnten?“ Die ganz aktuelle Frage sei das beim Impfen: ob man selbst so entscheiden könne, wie man dann da behandelt werden wolle, wenn man sich eben nicht impfen lassen wolle. Da gibt es für ihn auch eine Tyrannei der Demokratie. Auf der anderen Seite sei auch in Zeiten der Lockdowns und Einschränkungen die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Aber: „Wir sind in Zeiten eines neuen Kapitalismus und einer Schere, die immer weiter aufgeht zwischen arm und reich.“ Das habe Folgen: „Die Gesellschaft wird immer zorniger, es geht bei Auseinandersetzungen immer gleich um letzte Glaubenssätze“, nimmt er wahr. „Zugleich verblöden wir alle durch die ganzen Zoom-Konferenzen, in diesen ‚One-Shot‘-Auseinandersetzungen." Man könne sich gar nicht mehr verständigen, vor allem, wenn man sich auf „Sozialen“ Plattformen tummle. Und dann habe man ein Problem in der politischen Auseinandersetzung. Der gegenwärtige radikale Nationalismus sei eine weitere Herausforderung, der man sich stellen müsse. Und: wenn man „Alternativlosigkeit“ postuliere, weshalb sollte man überhaupt noch wählen gehen, machte Jochem deutlich, dass es eben doch immer mindestens eine Alternative gebe.

Die Problemlage, so Jochem, sei vielfältig wie die Gesellschaft. Drei Lösungsmöglichkeiten gibt es dazu für ihn: eine Demokratisierung der Demokratie, den Kampf gegen die Ungleichheit, Kosmopolitismus und die vereinigten Staaten von Europa. „Alle drei Lösungsmöglichkeiten sind problembehaftet. Die Debatte über die Grenzen demokratischer Politik ist jetzt zu führen“, mahnte Jochem an. Die SDP sollte und könne aber Fortschritt mit Demokratie verbinden, meinte Jochem als eine Perspektive.

Landtagsabgeordneter Hans-Peter Storz befand den Vortrag zum neuen Jahr als Glücksfall und dankte seinem Büroteam, das den Kontakt zu Sven Jochem über die Uni Konstanz hergestellt hatte. In den Grußworten, die zuvor gehalten wurden, blickte Singens OB Bernd Häusler auf ein Jahr mit drei Wahlen zurück, bei einer sei er als OB für weitere acht Jahre bestätigt worden. Trotz Corona habe man mit der neuen Beteiligung der Stadtwerke an der Thüga in Singen einen wichtigen Markstein erreicht. Eine Solarinitiative als Signal in Sachen Klimaschutz habe man leider im Gemeinderat abgelehnt.

Schaffhausens Stadtpräsident Peter Neukomm konnte auf das erste Jahr einer neuen Legislaturperiode zurückblicken, in dem man den Wandel zum Elektrobus für den Stadtverkehr vollzogen habe. Auch dort wird in diesem Jahr eine neue, engagiertere Klimastrategie debattiert.

SPD-Fraktionssprecherin Regina Brütsch war auch zufrieden, dass man trotz aller Einschränkungen an den Themen Verkehrswende, Klimapolitik und Wohnungsbau drangeblieben sei, gerade für Letzteres müsse man sich für einen sozialen Frieden in der Stadt aber noch mehr engagieren.

Bundestagsabgeordnet Lina Seitzl zeigte sich entschlossen, beim Thema Bafög für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Und weil es eben digital nicht geht, dass man verdiente Mitglieder ehren kann, kündigte der Ortsvereinsvorsitzende Berthold Jörke ein Sommerfest in Präsenz an, bei dem das nachgeholt werden könne. Das müsste bis dahin ja möglich sein.

Moderatorin Gabi Eckert blickte auf einen Besuch des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz 2016 in Radolfzell zurück, von dem ihr der Satz „Wir sollten uns die Agenda nicht von den Schlechtgelaunten versalzen lassen“ hängen blieb. Und so solls auch ins neue Jahr gehen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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