Färbe inszeniert »Die Jungfrau von Orleans« als »Kammertheater«
Die unheimliche heilige Johanna im Zeitraffer

Färbe Orleans | Foto: Milena Weber als ”Jungfrau von Orleans« oder auch »Jeanne d'Arc« im Kettenhemd und der sich anbahndenen Gewissheit, dass ihr Sieg keinen Bestand haben würde. swb-Bild: Bruno Bührer
  • Färbe Orleans
  • Foto: Milena Weber als ”Jungfrau von Orleans« oder auch »Jeanne d'Arc« im Kettenhemd und der sich anbahndenen Gewissheit, dass ihr Sieg keinen Bestand haben würde. swb-Bild: Bruno Bührer
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Singen. Es war ein lang gehegter Wunsch von Färbe-Begründer Peter Simon, diese »Jungfrau von Orleans« nach Schiller zu inszenieren und in diesem Fall musste er 40 Jahre warten, bis sich ihm in Person von Milena Weber im Ensemble die Schauspielerin offenbarte, die diese gewaltige Rolle ausfüllen könnte. Das Plakatmotiv hat er daheim in seinem Haus hängen, als ständige Erinnerung an diesen Traum. Doch wie inszeniert man solch ein Historienepos, um eine der wundersamsten Frauenpersonen überhaupt, das im Original über drei Stunden benötigte und für all das Schlachtgetümmel und Volk über 30 Darsteller.

Peter Simon hat aus einer Inszenierung sozusagen ein Stück Kammermusik gemacht und sich auf Schlüsselszenen konzentriert, so dass dieses Drama sich auf etwas mehr als eine Stunde reduziert. Eine Zeitspanne, die es freilich in sich hat. Denn Kammermusik bedeutet, dem einzelnen Instrument mehr Stimme zu geben. Und so wird daraus fast eine »One-Woman-Show« für Milena Weber, die hier ihre ganze Vielschichtigkeit ausspielen kann, von der göttlichen Eingebung, einem naiven Glauben an die mögliche Verteidigung ihrer Heimatstadt in der langen Belagerung, bei der dem König von Frankreich (Reyniel Ostermann als Neuling im Ensemble) längst das Geld ausgegangen ist und auch nichts mehr zum Verpfänden da wäre, wie er bitter feststellen muss und dem auch die Ratschläge seiner Geliebten Agnes (Linda Klein als zweites neues Gesicht im Ensemble) keinen Ausweg mehr bieten können. Bis zur Einsamkeit der Angeklagten, über deren Schicksal sich schon Horden von Historikern aus den verschiedensten Blickwinkeln hergemacht hatten.

Das Stück beginnt bereits mit dem Urteil über dieses so einzigartige Wesen, das zwar auf dem Scheiterhaufen sein Ende finden musste, wie alles, was man damals nicht verstehen konnte oder wollte, und das danach erst zum großen Mythos der Befreierin, Heiligen und Halbgöttin erwuchs. Hoch droben im Licht steht sie, diese Johanna von Orleans, sozusagen vor der Schöpfungszene der Basilika.

Als sie beim Publikum ankommt, ist sie bereits im Kettenhemd gewandet, dessen Gewicht spürbar ist, da ist sie schon die Kämpferin mit ihren Visionen, die jenen Helm von Bertrand (Elmar F. Kühling) empfängt, der diese Verheißung der Befreierin symbolisiert. Auch ihr Vater Thibaut (Alexander Klages) verschwindet bald aus dem Stück, als Johanna auch zuweilen sehr laut wird und ihre Vision von Glauben an den Sieg herausschreit. Da ist sie mitten drin im Publikum, das selbst nun rätselt, wo hier eine Grenze zum Wahn überschritten wurde. Das berührt doch ganz schön, denn hier steht wahrhaft nicht die Heldin, als die diese Johanna gerne glorifiziert wird, sondern ein Mensch, der seine ganze Seele hergibt für ihren Glauben.

Und es stellt sich die Frage, wie wir heute damit umgehen würden als die Brücke in die Gegenwart. Dann, wenn diese ganzen Emotionen uns so direkt gegenüberstehen und wir selbst ein Urteil sprechen sollten. Das ist die ganz persönliche Achterbahnfahrt eines jeden Zuschauers. Und das macht Theater aus.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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