Matthias Diestler (Architekt) und Iti Janz (Künstlerin) mit ihren Argumenten
Kontrovers: Leben in der Stadt oder auf dem Land?

Foto: Iti Janz ist Künstlerin mit Leib und Seele und hat mit ihren Arbeiten schon viele Spuren in der Stadt hinterlassen, zum Beispiel am Singener Waldfriedhof oder in den Singener Postarkaden, wo sich auch ihr Atelier befindet. swb-Bild: Deposito
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Wo lebt es sich besser?

Wo lebt es sich besser? Auf dem Land inmitten der Natur, wo jeder jeden kennt und die Welt noch ein bisschen mehr in Ordnung scheint? Oder doch in der pulsierenden Stadt, wo viel an Kultur, Unterhaltung und Abwechslung geboten wird?


Matthias Diestler: Lust auf Land

Manchmal können wir es gar nicht so recht erklären was uns dazu bewegt, den einen oder anderen Weg zu wählen – meiner hat mich ohne langes Überlegen und mit absoluter Konsequenz aufs Land geführt. Seit nun über zwanzig Jahren lebe ich auf einem Aussiedlerhof weit weg von der Stadt, inmitten der Natur.
Das war nicht immer so und wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Aufgewachsen bin ich in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern und durch Studium und Beruf über viele Jahre in der Stadt zu Hause, fühlte ich immer mehr eine tiefe Sehnsucht nach dem Leben in und mit der Natur.
In meiner Kindheit erlebte ich viele glückliche Momente auf den an unsere Wohnsiedlung angrenzenden Streuobstwiesen, die für uns Kinder Spielplatz und Paradies waren. Vielleicht rührt daher meine Liebe für Obstbäume und die Landschaft hier im Hegau. Letztlich empfand ich aber ein Leben in der Stadt und phasenweise der Großstadt eher bedrückend.
Die Unruhe, der Geräuschpegel, die Anonymität einer Vielzahl an hektischen Menschen, die immer zur gleichen Zeit durcheinander wuseln oder mit dem gleichen Ziel einander hindern, dies zu erreichen und meinen, weil Sie in »der« Stadt leben ein größeres Angebot von allem zu haben – nein, dass ist wahrlich nicht meine Welt.
Die Ruhe und Geräusche der Natur zum Vergleich sind der ideale Ausgleich für den schnelllebigen Alltag, dem die meisten ausgesetzt sind. Hinzu kommt nicht anonym zu sein, mit Menschen zu leben, die einander kennen und einander unterstützen und in Vielem gemeinsame Erfahrungen machen, sich engagieren in Vereinen oder in der Gesellschaft.
Oftmals wird angenommen, dass auf dem Lande das kulturelle Angebot fehle. Betrachte ich die Zeiten in der Großstadt um von einem Ort zum anderen zu kommen, so wird deutlich, dass in dieser Zeit innerhalb der Region ein ebenso großes Angebot an Kunst und Kultur erreicht werden kann. Unterschied ist nur: man fährt über Land und kommt im Zweifel schneller an sein Ziel.
Dazu kommt, dass es für mich besonders schön ist die Natur im Wandel der Jahreszeiten zu erleben, täglich zu spüren wie der stete Wechsel auch uns und unser Empfinden prägt, die Farben und Gerüche der Bäume, die Früchte und Erzeugnisse der Landwirtschaft selbst zu ernten und zu sehen, was gerade reift, mit und von der Natur zu leben. Eine wertvolle Erfahrung ist, dass uns auf dem Land nicht nur Hund und Katz, sondern eine Vielzahl an Tieren im Alltag begleiten und uns helfen, einen natürlicheren Umgang und Blick für Vieles zu bewahren. Alleine, weil bewusst wird, dass es Lebewesen sind, denen auch wir verpflichtet sind und nicht nur ein Stück Fleisch in der Kühltheke.
Die Basis für einen Klimawandel entsteht aus meiner Sicht nicht in der Stadt und den Ballungsräumen, sondern bietet sich viel mehr auf dem Land. Die Möglichkeiten, regenerative Energie zu erzeugen und zu nutzen, naturnah und im Sinne einer ökologisch vertretbaren Weise zu leben, ist hier deutlich besser.
All dies sind Privilegien auf dem Land, die für mich das Leben bereichern und die ich nicht missen möchte. Drum lebe ich hier im wunderschönen Hegau und besuche gerne ab und an die Stadt, um hinterher mit anderen Eindrücken mich erneut am Landleben zu ergötzen.

Matthias Diestler

Iti Janz: Von der Stadt aufs Land und wieder zurück

»Das Leben hat mich hin- und hergezogen, meistens ungeplant, aber im Nachhinein immer von Vorteil für die jeweilige Situation. Von meiner Geburtsstadt Ludwigsburg nach Öhningen am Bodensee, ein Paradies für eine unbeschwerte Kindheit mit Wasser, Gemüsegarten, eigenem Sauerkraut, Hühnern und Schafen und einer freundschaftlichen Verbindung zum nahegelegenen Bauernhof Bruderhof. Da gab es einschneidende Erlebnisse, wie zum Beispiel Heuernte, Apfelernte, Vesper am großen Holztisch, auf Kilian reiten und mit einem Oldtimer übers Feld rasen, bis der Bauer mit der Mistgabel hinterher gerannt kam. Und nicht zu vergessen, der erste Liebeskummer! Von dort dem Ruf der Kunst an die Bodensee Kunstschule Konstanz folgend mit anschließendem Wechsel nach Wien, an die Akademie der Künste, woran sich ein Studium an der HdK in Berlin anschloss. Berlin, eine Oase der Discotheken, durchzechten Nächte, Abenteuer und der wilden Jahre. In dieser Zeit, gebe ich zu, lag die Verbindung zur Natur nicht unbedingt im Vordergrund. Was sich allerdings radikal änderte, als meine Tochter geboren wurde und wir wieder die Möglichkeit hatten, zum Bodensee und nach Öhningen zurückzukommen. Eröffnung des Atelier Janz mit Einstieg in die regionale Kunstwelt und einer strahlenden Kinder und Jugendzeit für meine Tochter, mit guter Luft, direkter Verbindung zur Natur und viel Inspiration. Durch weitere Lebensumstände ergab sich in Singen die Möglichkeit ein wunderbares Ateliers mit Galerie zu beziehen und somit landete ich wieder in der Stadt und da lebe ich inzwischen seit ca 15 Jahren, bin sehr zufrieden und ich vermisse nichts. Das, was für mich wichtig ist, meine Kreativität und Phantasie, und mein Herz habe ich immer bei mir, und da, wo ich mich wohlfühle ist auch meine Heimat. Große Vorteile, in der Stadt zu leben sind, direkte Fußwege zum Bahnhof, allen Ärzten und Einkaufsmöglichkeiten, Nachbarschaftshilfe, kulturelle Veranstaltungen ohne Anreise. Mit direktem Blick auf den Hohentwiel, die Nähe des Sees und viel Grün um die Stadt, fühle ich mich der verwunschenen Hegaulandschaft stark verbunden. Singen wird immer toller!«

Iti Janz

Foto: Iti Janz ist Künstlerin mit Leib und Seele und hat mit ihren Arbeiten schon viele Spuren in der Stadt hinterlassen, zum Beispiel am Singener Waldfriedhof oder in den Singener Postarkaden, wo sich auch ihr Atelier befindet. swb-Bild: Deposito
Autoren Kontrovers mu 1 | Foto: Matthias Distler ist Architekt und seit 1998 Stadtbaumeister in Engen. Er lebt seit über 20 Jahren auf dem Aspenhof in Engen und genießt die Landlust in vollen Zügen. 
swb-Bild: privat
Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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