Liebe Leserinnen und Leser,

nachdem uns seit einigen Tagen der Schriftverkehr des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) mit unterschiedlichen Ministerien zu den neuen Lockdownregeln und zur völlig unzureichend und einfach falsch zugeschnittenen Überbrückungshilfe III vorliegt, haben wir angefangen uns die Frage zu stellen, was da eigentlich in der Kommunikation zwischen der Basis unseres Wohlstandes und der Politik gerade nicht mehr funktioniert.

Die Kommunikation zwischen einigen Verbänden der deutschen Wirtschaft und der Politik hat offensichtlich den Krisenmodus nie erreicht. In normalen Zeiten, in denen es um mehr oder weniger Gewinn geht, ist Lobbyarbeit etwas Langwieriges und Komplexes, direkte Wege gibt es selten und die Politik tut sicher gut daran, die Lobbyisten nicht zu schnell zum Ziel kommen zu lassen. Es gehört zum Spiel, dass immer irgendetwas gefordert wird, und es gehört zum Spiel, dass das nicht sofort einfach akzeptiert wird, logisch, sonst wäre das Land nicht mehr regierbar.

Dass es Lobbyarbeit gibt, ist zum einen nicht schlecht, allerdings, und das wird uns auch immer klarer, ist Lobbyismus immer nur so gut, wie er die vertritt, die die Vertretung brauchen. Die neue prekäre Selbstständigkeit, die sich gerade in unserem Land breit macht, hat zum Beispiel keine Lobby, weshalb sie auch von der Politik ungesehen bleibt. Viele behaupten, dass das der Kultur genauso geht, auch wenn – und das verstehen wir nicht – die gesamten Kommunen in Deutschland doch hier engagiert und betroffen sind, das müsste doch eine starke Lobby sein?
Für den Lobbyismus gilt leider in aller Regel: Wer mehr Geld hat, hat mehr Kraft und also mehr Lobbyisten in Berlin und Geld für die Umsetzung von gut durchdachten Beeinflussungsstrategien. Man kann davon ausgehen, dass Amazon beispielsweise mittlerweile unglaublich mächtig ist, was die Lobbyarbeit angeht, aber nicht nur gegenüber der Politik, sondern auch gegenüber den Verbänden.

In den USA ist die Lobbyarbeit transparenter als bei uns, dort weiß man, dass Washington mehr Amazon-Lobbyisten als US-Senatoren zählt.

Zurück zur nicht vorhandenen Krisenkommunikation: Wir glauben mittlerweile, dass sich Politik und Verbände längst so eingerichtet haben, dass die Verbände eben fordern und die Politik vielleicht einen Teil erhört, Influencer werden unter den Abgeordneten gesucht und dann werden vielleicht Themen eingebracht in das politische Tagesgeschäft. Das ist der Standard.

Die Krise kam und die Kommunikation zwischen den Verbänden der deutschen Wirtschaft und der Politik ging so weiter wie immer, als ob es Corona nicht gäbe. Dass man vielleicht bewusst aufeinander zugeht? Nach unserer Wahrnehmung ist das nicht passiert. Die Regeln wurden verkündet und dann ging das Bittebittemachen der Verbände los.

So wird die Gewohnheit, der übliche Lobbyarbeit-Ablauf zum Albtraum in diesen Zeiten. Weil nicht reagiert wird, wenn es wirklich brennt. Und weil vielleicht, daran wollen wir jetzt einfach mal glauben, weil wir sonst das Vertrauen in die Politik verlieren, gar nicht mehr klar ist, wann es ernst ist.

Bis hierher verstehen wir das und würden uns wünschen, dass man anfängt, spätestens jetzt anders miteinander zu reden, eben so, wie man miteinander spricht, wenn die Hütte brennt und man sie nicht abbrennen lassen will.

Ab hier will es uns allerdings nicht mehr in den Kopf: Manchmal passiert es auch, dass beispielsweise das Wirtschaftsministerium bereit ist zum Dialog oder gar zur Korrektur, aber das Finanzministerium einfach auf stur stellt, wie man unter Menschen sagen würde. So ist es wohl mit den Anliegen des Einzelhandelsverbandes passiert.

Das Gezerre, was hinter den Kulissen seit Monaten nach jeder Corona-Maßnahme läuft, ist letztlich schon fast entwürdigend vor allem für die, die Bittebitte machen müssen, um ihre Betriebe und die Arbeitsplätze irgendwie über die Zeit zu bringen, aber irgendwie systemimmanent.

Übrigens: Das heißt nicht, dass sich Abgeordnete hier aus der Region nicht einsetzen würden. Hier werden, das wissen wir, weil wir hier sehr nah dran sind, von manchen Überstunden gemacht, die jedem Personalchef die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. Überstunden um zu retten, was zu retten ist, aber auch um die Dinge richtig einzuordnen. Dabei wären genauso die Mitarbeiter in den Ministerien gefragt. Sie müssten den Druck, der gerade herrscht, an sich heranlassen und beispielsweise dafür sorgen, dass die Software zur Auszahlung der Hilfen endlich funktioniert, die Regeln wirklichkeitsnah formuliert werden.

Was würde helfen? Aus der Praxis lernen, wissen gute Manager, anstatt am grünen Tisch rechnen. Das Projekt hieße: Die hiesigen Bundestags- und Landtagsabgeordneten und die Abgeordneten der anderen Regionen nehmen sich alle jeweils einen Tag Zeit, nennen wir diesen Tag einmal #Unternehmenspraxistag, und gehen mit den Unternehmen die jeweiligen betriebswirtschaftlichen Auswertungen durch und beantragen einmal die Hilfen mit den Unternehmerinnen und Unternehmern. Ganz ohne Lobbyismus, nur damit die Realität in Berlin und Stuttgart ankommt. Weil dann könnte die Politik die kontrollieren, die ihre Beschlüsse in Regeln und Gesetze gießen und dahinter die Prozesse steuern, und korrigieren.

Auf Seite 11 haben wir für Sie Zahlen zusammengestellt zur wirtschaftlichen Situation der Betriebe im zweiten scharfen Lockdown, samt wie es den Unternehmen mit den Überbrückungshilfen geht.

Die Realität, und das können wir nicht oft genug betonen, findet nämlich hier statt vor Ort und in vielen anderen Regionen, dort wo Regeln und Gesetze auf die oft ganz pragmatische Praxis treffen.

Und diese Realität, sie sieht vielfach sehr düster aus, mit jeder Woche, die der Lockdown länger geht, wird es mehr Menschen geben, die ihr Unternehmen, ihren Arbeitsplatz, immer mehr Teile ihres Vermögens verlieren werden. Da darf es einen schon verwundern, wenn die Bundeskanzlerin dann gestern von einem harten Lockdown bis Ostern spricht, auch wenn das wohl intern war. Was wird bis dahin wohl übrig sein, wenn man
weiter so wenig praxisnah Regeln aufstellt und so willkürlich Geld verteilt? Willkürlich vielleicht nicht, weil man es will, sondern, weil die Kenntnis fehlt, was die Wirtschaft vor Ort am Laufen hält (Seite 9).

Der Slogan für diesen Monat: Lassen Sie uns wach sein, hinschauen und dafür kämpfen, dass wir in diesem Land wieder besser verstehen, wie die Praxis wirklich funktioniert, und nicht nur, wie sie in den Elfenbeintürmen und an den grünen Tischen der Macht konzipiert wird. Dazu braucht es auch Mut zur Konfrontation. Denn in der Praxis alleingelassen zu werden mit Regeln, die irgendwie nicht funktionieren, ist kein Spaß, nicht als Unternehmer*in, nicht als Heimleiter*in, nicht als Mitarbeiter*in, nirgends.

Kommen Sie trotz allem gut durch die Woche und gehen Sie wie wir mit Abstand an die frische Luft: Die ist kalt und gesund, dazu muss man nicht weit fahren. Wer Inspirationen braucht, dem empfehlen wir unseren Instagram-Account #hegauliebe. Da will man sofort raus.

Carmen Frese-Kroll, Verlegerin
Anatol Hennig, Herausgeber
Oliver Fiedler, Chefredakteur

Autor:

Redaktion aus Singen

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