Interview mit Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter von der Universität Konstanz über mögliche Auswirkungen der Coronakrise
Was uns die historische Erfahrung lehrt

Interview Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter von der Universität Konstanz | Foto: Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter von der Universität Konstanz erklärt im WOCHENBLATT-Interview mögliche Auswirkungen der Coronakrise im politischen und geschichtlichen Kontext.
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  • Interview Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter von der Universität Konstanz
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Landkreis Konstanz. Noch stecken wir tief inmitten der Coronakrise. Doch mit zunehmender Dauer dieses Ausnahmezustandes drängen die Fragen nach der Zeit danach: Was für Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, Wirtschaft und unser soziales Zusammenleben hat diese prägende Erfahrung im historischen Kontext?
Darüber sprach das WOCHENBLATT mit Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter, die an der Universität Konstanz Wirtschaftsgeschichte/Global Economic History lehrt. Sie gehört auch dem neuen Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) unter Beteiligung der Universität Konstanz an, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.

Welche Auswirkungen kann eine plötzliche, globale Krise wie die Corona-Pandemie auf unsere Gesellschaft haben?
Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter:
Zuerst einmal ruft eine globale Pandemie tiefe Verunsicherungen hervor und es lässt sich zumindest jetzt schon absehen, dass die sozialen und ökonomischen Kosten sehr hoch sein werden. Dies bedeutet im Moment erst einmal nur tiefe Einschnitte in unserem Alltag, was unsere Bewegungsfreiheit und das soziale Miteinander betrifft. Aber mittelfristig wird wohl eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen. Die historische Erfahrung lehrt uns aber, dass nach ökonomisch schwierigen Zeiten aufgrund von externen Faktoren wie etwa Umweltkatastrophen, Krieg oder eben auch einer Pandemie in der Regel eine starke Boomphase eintritt und sich die Wirtschaft erholen wird.

Gibt es historisch wiederkehrende Mechanismen, die in solchen Krisenzeiten in unterschiedlichen Bereichen wirken?
Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter:
Krisen jedweder Art verändern die Gesellschaft und insbesondere die schwächeren Einkommensgruppen leiden überproportional an den Folgen. Zugleich aber verändert sich die Wirtschaft in ihrer Grundzusammensetzung, sprich Branchen, die schon vor der Krise darniederlagen, verschwinden, aber neue entstehen zur gleichen Zeit. Im 20. Jahrhundert ist es aber immer wieder den Sozialstaaten gelungen, die hohen sozialen Kosten durch wohlfahrtsstaatliche Maßnehmen abzuschwächen. Solche Initiativen des Bundes und der Länder sind ja schon jetzt auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel Kizz, ein Programm, welches gezielt Familien mit kleinen Einkommen unterstützt.

Was bedeuteten diese persönlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen und Verzichte für die weitere Entwicklung unserer Konsumgesellschaft?
JunProf. Dr. Laura Rischbieter:
Unsere Konsumgesellschaft ist in Zeiten des mäßigen Wirtschaftswachstums seit den 1970er Jahren und begrenzter, eben nicht nachwachsender sowie auch nachwachsender Rohstoffe und Ressourcen sowie der hohen Umweltverschmutzung, die wir durch unseren Lebensstil produzieren, auch schon vor der Corona-Pandemie in der Krise gewesen. Es ist also vielleicht ein guter Zeitpunkt unter dem Eindruck und den Folgen von Corona, dass wir uns alle vermehrt danach fragen, was brauche ich wirklich an Konsumgütern und welche eben nicht (von Plastikspielzeug bis hin zu Flugreisen), welche kann ich gebraucht erwerben (eben noch mal hier zum Beispiel Plastikspielzeug) und welche Konsumgüter benötige ich zwar, aber ich kann eine ressourcenschonendere Variante erwerben (Seife reinigt ebenso gut wie ein flüssiges Duschzeug und ist zudem sogar deutlich preiswerter und langlebiger).

Beginnt mit der Corona-Krise ein neues Zeitalter für unsere industrialisierte, digitale Welt?
Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter:
Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ich denke, die Bedeutung von digitalen, aufbereiteten Medien und dem Internet als Ort des Austausches, des Konsums und des digitalen Arbeitens erlebt im Moment eine nie dagewesene Hochzeit in Deutschland. Viele Unternehmen und Mitarbeiter haben nun zum ersten Mal die Arbeit ins Home-Office verlegt. Ich denke, dass es langfristig auch nach der Corona-Krise zu mehr Telearbeit kommen wird. Diese hilft, Familie und Arbeiten besser zu vereinen und schont zugleich die Umwelt, da Arbeitswege wegfallen. Zugleich aber müssen wir uns darauf besinnen, dass gerade die gesellschaftlich relevantesten Aufgaben und damit die Tätigkeiten bei der Feuerwehr, der Polizei, der Pflege von Älteren, der medizinischen Versorgung und Kinderbetreuung sowie die Ausbildung von Schülern eben nur sehr begrenzt digitalisiert werden kann und zugleich all diese systemrelevanten Berufsfelder besser gewürdigt, sprich bezahlt werden müssen. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis nicht nach der Krise einfach vergessen wird.

Welche Chancen der Weiterentwicklung gibt es für die Solidargemeinschaft und die Wirtschaft nach einer Krise wie dieser aus historischer Erfahrung?
Jun.-Prof. Dr. Laura Rischbieter:
Leider zeigt die historische Erfahrung, dass viele Krisenerkenntnisse mehrheitlich vergessen werden, wenn erst einmal die Krise überwunden ist. Es ist also an uns allen, die Solidargemeinschaft als ein wichtiges Gut zu begreifen und dementsprechend auch in ihr und für sie aktiv zu werden. Die Ökonomie wird sich erholen, aber auf welchem Level, ist die offene Frage. Wichtiger wird es viel mehr sein, uns den langfristigen Aufgaben zu stellen, die nicht durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurden sondern nur jetzt deutlicher zu Tage treten: Wie können wir ein sozial verträgliches Miteinander in Deutschland gestalten, wenn das Wirtschaftswachstum eben niedrig bleibt? Waren und Preise werden steigen für jeden von uns, aber eben die Löhne nur für wenige, die soziale Ungleichheit wird zunehmen und zu politischen Konflikten führen bei zudem immer weniger nachwachsenden und nicht nachwachsenden Ressourcen. Auf diese Problemkonstellation gibt es keine einfachen Antworten, auch wenn manch radikale politische Parteien es behaupten. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt zudem, dass demokratische und sozialstaatlich organisierte Länder sich schneller nach ökonomischen Krisen erholen, als totalitäre oder autoritäre Staaten, die zumeist unter solcherart Krisen eher zusammengebrochen sind.

Autor:

Ute Mucha aus Moos

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