Martin Schäuble ist Bürger der Region:
Wie ist die Lage, Herr Schäuble?

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Der Handwerker, Narrizella-Präsident und Obermeister der Sanitär-Heizung-Klima-Innung bei der Handwerkskammer spielt zusätzlich Waldhorn in der Radolfzeller Stadtkapelle inmitten von vier Generationen, sitzt für die CDU im Kreistag, ist Stiftungsrat in der Werner-Messmer-Stiftung und nicht zuletzt Vater von zwei Kindern. Im Gespräch über die Lage kommt er relativ schnell auf die Jugend, die älteren und gibt Antworten auf die Frage, wie das mit Jung und Alt so gehen kann, in Betrieben, in Vereinen und im städtischen Miteinander.

Wochenblatt: Wie ist die Lage, Herr Schäuble?

Martin Schäuble: Die Lage im Handwerk ist ausgezeichnet, die Auftragslage ist ausgezeichnet. Was uns immer mehr zu schaffen macht, ist, dass der Anspruch ans Handwerk immer weiter wächst. Der Anspruch an die Gebäude, vor allem, was die energetischen Aspekte anbelangt, wächst. Und es ist eine Mammutaufgabe, dort von der Qualität her mitzuwachsen.

Wochenblatt: Können kleine und mittlere Unternehmen in diesem Technologiewettlauf überhaupt noch mithalten?

Martin Schäuble: Kleinen Unternehmen fällt es zunehmend schwer, es geht um die Technologie, aber auch um die Dienstleistung: Ein Zwei- oder Dreimannbetreib kann schwerlich einen 24-Stunden-Notdienst sieben Tage in der Woche aufrechterhalten. Kleine Betriebe werden in der Breite der Technologie immer weniger mithalten können und müssen sich innerhalb von Gewerken Nischen raussuchen, die sie dann besetzen. Da der Kunde allerdings zunehmend Rundumsorglospakete, auch gewerksübergreifend, erwartet, wird auch das zunehmend schwieriger. Acht- bis Zwölf-Mannbetriebe werden Nischen suchen müssen oder müssen wachsen.

Wochenblatt: Von welchen Betriebsgrößen reden wir da im Handwerk, die künftig in Gewerken überlebensfähig sind?

Martin Schäuble: Ich behaupte, so zwischen 50 und 120 Mitarbeiter.


Wochenblatt
: Wieviele haben Sie?

Martin Schäuble: »Ungefähr 40, Tendenz steigend, das ist das Minimum.«

Wochenblatt: Wenn wir über Regionen reden und das Handwerk: Der Kunde erwartet, wie Sie gerade gesagt haben, Rundumsorglospakete. Sind da Netzwerke wie die Radolfzeller Handwerker, die wir als Wochenblatt mit Ihnen zusammen ins Leben rufen durften, Lösungen, die zukunftsgerichtet sind?

Martin Schäuble: Das ist sicherlich eine Art der Lösung: dass sich die Betriebe selbst vernetzen. Unterschiedliche Gewerke, ja, das ist eine elegante Lösung, die unproblematisch ist. Oder es gibt Anbieter, die einen Kopf darstellen und sich dann in die Bertriebe hinein vernetzen …


Wochenblatt
: … wie eine Art Generalunternehmer oder -übernehmer?

Martin Schäuble: Genau. Aber so wie wir das bei den Radolfzeller Handwerkern machen, ist das ein schlaues Konzept.


Wochenblatt
: Können mit Generalunternehmern und -übernehmern nicht Riesenhandwerksfilialbetriebe entstehen und kann dies in Teilen das Ende des lokalen Handwerks, das wir kennen, bedeuten?

Martin Schäuble: Teilweise gibt es die Bestrebungen, mit großen Betriebsgrößen bundesweit anzubieten, schon in unseren Bereichen. Aber wir sehen auch, dass der Kunde seinen lokalen Handwerker möchte: Man lässt nicht jeden gerne in sein Haus, in sein Badezimmer. Was ich mir von der Politik erwarte: Die Entbürokratisierung ist tausendmal genannt, der Glaube daran fehlt mir. Aber ich erwarte, dass es eine Initiative Handwerk gibt. Der politische Wille zur CO2-Neutralität braucht das Handwerk: Wir müssen vor Ort umsetzen und sind damit das Nadelöhr und da brauchen wir, dass die berufliche Ausbildung gleichgestellt wird mit der akademischen Ausbildung, auch mit der Unterstützung der Ausbildung …

Wochenblatt: Sie sprechen das Thema Bafög an?

Martin Schäuble: »Ja.

Wochenblatt: Darf ich weiter im Detail nachfragen: Der Meister ist ja bereits mit dem Bachelor gleichgestellt. Braucht es mehr?

Martin Schäuble: Ja, es braucht mehr, und es muss eben früher beginnen. Der Weg in eine Berufsausbildung muss attraktiver werden Wir haben gesehen, was Anfang der 60er-Jahre die Einführung des Bafögs bewirkt hat: Die Akademische Ausbildung ist in den Vordergrund gestellt worden. Und da muss jetzt eine Korrektur erfolgen, weil wir etwas ähnliches im Handwerk brauchen. Die Chancen sind perfekt im Handwerk, die Chancen in der Haustechnik sind riesig, auch für IT-affine Leute.

Wochenblatt: Was muss das Handwerk selbst leisten?

Martin Schäuble: Die Handwerksbetriebe müssen teilweise auch wieder lernen, sich um die Auszubildenden zu kümmern. Das Handwerk muss sich modern darstellen. Vielleicht sagen viele Handwerker: Die Aufträge kommen ja jetzt, warum soll ich mich da krummlegen? Das wird sicher spannend werden, wenn die Konjunktursituation wieder eine andere ist. Man muss jetzt auch die Digitalisierung nutzen, um seinen Betrieb modern und für junge Leute interessant aufzustellen.

Wochenblatt: Was ist für junge Leute interessant, außer »digital«?

Martin Schäuble: Freizeit ist ein großes Thema. Das Handwerk muss lernen, dass ein junger Mensch nicht unbedingt Freitagnachmittag, Samstagvormittag und Samstagnachmittag arbeiten will.


Wochenblatt
: Wie bekommt das jemand umgesetzt, der möglicherweise sein Leben lang – in-oder exklusive der Buchhaltung – 60 oder 70 Stunden die Woche im Betrieb und bei Kunden verbracht hat und danach noch mehreren Ehrenämtern nachgegangen ist? Wie geht es Ihnen selbst damit, denn dafür stehen Sie ja auch?

Martin Schäuble: Man muss lernen, das zu trennen. Die Jungen meinen es nicht böse, dass sie eine klarere Trennung zwischen Arbeit und Freizeit wollen. Und teilweise haben die jungen Leute auch recht: »Schaffe ist nicht alles.« Teilweise bewundere ich sogar die Konsequenz der jungen Leute, was die Worklifebalance angeht.

Wochenblatt: Was müssten die Schulen beitragen? Wir haben ja die eine oder andere Runde moderiert, in denen es darum ging, dass die meisten Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern sagen: Studiere, dann hast du eine gesunde Basis. Es geht ja auch um Menschentypen: Der eine Mensch ist eher in der praktischen Welt zuhause, der andere in der theoretischen …

Martin Schäuble: »Stimmt, und das war schon immer so. Das ist das Thema. Unsere Lehrer haben das Handwerk oft gar nicht auf dem Schirm. Die Lehrer haben die berufliche Bildung weniger im Kopf. Die Lehrer können eigentlich am besten die Stärken und Schwächen beurteilen und die Lehrer können Empfehlungen aussprechen. Man soll ja Stärken stärken, also ist es nicht sinnvoll, wenn sich jemand auf der Schulbank und dann im Studium weiterquält, obwohl er im Handwerk glücklich würde. Und wir Handwerker müssen nicht nur in die Hauptschulen, sondern auch in Mittelschulen und die Gymnasien gehen.«

Wochenblatt: Wir bleiben bei den jungen Leuten, aber wechseln das Thema abrupt und schauen zum Herbstbeginn die Fastnacht an. Sind die jungen Leute noch motiviert zur Fastnacht?

Martin Schäuble: Zweierlei: Für manche ist das ganze Jahr Fastnacht, das heißt dann Après-Ski oder Beachparty oder sonst was – Mallorca hat das ganze Jahr Fastnacht, wenn die Insel offen« ist. Und es gibt junge Leute, die bei der Fastnacht mitmachen, die sogar schätzen, dass die Beteiligung an der Fastnacht eine Struktur bietet. Und die machen gerne mit, manche sehnen sich regelrecht nach klaren Ansagen. Je klarer die Ansagen sind, desto beliebter sind die Gruppierungen bei uns teilweise. Und manche eben wollen mit den Traditionen gar nichts zu tun haben.

Wochenblatt: Hat sich das verändert?

Martin Schäuble: Es hat sich etwas verändert: wir machen sehr viel für Kinder an der Fastnacht. Aber die Altersgruppe zwischen twölf und 18 haben wir eine Zeitlang ausgeblendet, haben die jungen Leute weggeschickt auf ihre eigenen Plätze, in die Partykeller etc. Jetzt wollen wir den anderen Weg gehen und integrieren statt trennen. Miteinander feiern. Auch auf dem Marktplatz: Guggemusik, Narrenmusik und DJ-Musik haben wir gemischt.

Wochenblatt: Also die Integration von Sturm und Drang in die klassische Fastnacht?

Martin Schäuble: So ungefähr. Man sieht es auch an den Bällen: Am Holzhauerball sind die Altersgruppen gut gemischt.

Wochenblatt: Gibt es in zehn Jahren noch einen Narrenspiegel?

Martin Schäuble: Ja.

Wochenblatt: Warum?

Martin Schäuble: Weil es nicht ohne geht. Generell: Wir denken viel in jung und alt, in reich und arm. Wir müssen das Mittelfeld wieder sehen, in dem sich gedanklich und gesellschaftlich viele treffen können. Und da gehört die Jugend dazu, die kann man nicht einfach mal fünf Jahre wegschicken.

Wochenblatt: Wie können sich heute junge Leute einbringen? In Kommunen beschäftigen sich Profis mit Jugendintegration, mit Beteiligungsmodellen und dergleichen. Ist das nicht eine Art Ghettoisierung?

Martin Schäuble: Die jungen Leute dürfen und müssen etwas entscheiden und umsetzen dürfen. Politik wird nicht oder zu wenig für die Jugend gemacht, oft machen die Alten keinen Platz für die Jungen. Es nutzt nichts zu sagen, die Jugend darf am Konzertsegel eine Party machen und muss um 22 Uhr Feierabend machen. Das ist Quatsch. Man muss sich darauf einlassen, wie heute Party gemacht wird.

Wochenblatt: Das heißt, die Spielräume müssen größer werden?

Martin Schäuble: Genau. Rahmen bestimmen, der passt und dann machen lassen. Wenn man eine aktive Jugend will, muss man sie auch vertragen können. Wenn man das mit früher vergleicht, ich erinnere an Hades, Drachenburg etc. in Radolfzell, ist die Jugend heute harmlos, auch wenn die jetzige Jugend ja bekanntlich immer die schlimmste ist (lacht). Man muss die jungen Leute selbst denken und machen lassen. Wir sind dazu da, das zu unterstützen. Es ist spannend, was wir da mit den jungen Leuten erleben. Das ist in den Betrieben genau das gleiche: Auch dort muss man die jungen Leute Erfahrungen machen lassen, auch sich die Finger verbrennen lassen. Nur vom Erzählen lernen die Menschen nicht.

Wochenblatt: Letztlich müssen wir die Jugend etwas aus ihrer Behütetheit, die ja oft auch Bequemlichkeit der Eltern ist, herauslassen?

Martin Schäuble: Genau. Wenn man die Jugend fordert, dann sind die jungen Leute bereit, sich einzubringen.


Wochenblatt
: Was machen wir mit der anderen Seite der Demographie? Mit den älteren Menschen?

Martin Schäuble: Die älteren Leute … Was sind die älteren Leute? Früher war man mit 60 alt, heute mit 80. Auch dort sollten wir die Kommunikation pflegen und dafür sorgen, dass die Älteren die Jugend tolerieren und umgekehrt. Man darf dabei nicht unterschlagen, dass die jungen Leute sich stark zurückgenommen haben und mussten in der Corona_Zeit – letztlich für die Älteren.

Wochenblatt: Das Thema vermisst man in vielen Corona-Debatten …

Martin Schäuble: Eben. Für mich gehört der Respekt gegenüber der Jugend und ihrer Energie auch dazu.

Wochenblatt: Ich bedanke mich für dieses Gespräch über ein Thema, das Ihnen sehr nahegeht, sie es aber offensichtlich auch sehr nahe an sich heran lassen.

Martin Schäuble: Das ist mir wichtig, ja. Ich bin gerne mit Menschen zusammen. Und für mich einer Generation anzugehören keine Qualifizierung …


Wochenblatt
: … sondern der Umgang damit …

Martin Schäuble: … genau so ist es

Das Interview führte Anatol Hennig.

Autor:

Anatol Hennig aus Singen

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