Fragen an die die Landtagskandidaten aus dem Wahllreis Konstanz-Radolfzell
Wieviel Gestaltungsmacht braucht die Region?

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Konstanz/ Radolfzell. Das »Subsidaritätsprinzip« wurde in den letzten Jahren oft angemahnt. Es bedeutet verständlich ausgedrückt: »Wer bestellt, der muss auch bezahlen.« Es gab eine Reihe von Entscheidungen von »oben«, egal ob aus Europa, aus Berlin oder Stuttgart, bei denen die Regionen oder Kommunen sich oft als die fühlten, die zahlen müssen, was andere sich ausdenken. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagte lange nach seiner Amtszeit einmal, dass Europa eigentlich falsch herum gebaut wurde, denn es solle eigentlich an der Basis beginnen und dort die stärkste Stimme haben. Ähnlich wie die Schweiz das praktiziert.

Die Frage: Die Menschen hier vor Ort (Vereine/ Kulturschaffende/ Unternehmer/ Bürgermeister) wollen Ideen einbringen und etwas bewegen. Nach unserer Wahrnehmung muss die Zukunft deshalb vor allem in den Regionen entwickelt werden. Aber die Macherinnen und Macher stehen nicht erst seit Corona erst einmal vor einer Mauer aus Regeln, die oft in Berlin und Brüssel gemacht werden. Glauben Sie, dass die Regionen genügend Macht, Freiheit und Einfluss haben, wirklich aktiv Zukunft zu gestalten? Wenn ja, begründen Sie bitte Ihre Aussage und wenn nein, was möchten Sie ändern?

Die Antworten:

Jürgen Keck (FDP): „Nein. Durch viele bürokratische Vorgaben sind die Macherinnen und Macher in der Ausführung vieler Ideen eingeschränkt. Man kennt es doch aus der Vereinsarbeit. Es ist sehr schwer, junge Menschen für einen Vorstandsposten zu gewinnen. Die überborderdenden Bundes-Vorschriften (z.B. DSGVO), die es inzwischen einzuhalten gilt, sind eher abschreckend statt einladend. In Berlin werden Regeln gemacht, welche „die Kleinen“ dann umsetzen sollen. Dasselbe Spiel ist nun leider auch bei den Corona-Verordnungen zu beobachten. Die Menschen mit Ideen aus Tübingen oder Rostock stehen bereit, Frau Merkel ignoriert das. Politik muss den Weg immer von unten nach oben gehen, also von der Gemeinde aus nach Berlin. Die Anliegen, die ich in der Heimat als Landespolitiker aufnehme, bringe ich in Stuttgart selbst ein. Für bundesrechtliche Themen treffen wir uns regelmäßig mit den FDP-Abgeordneten aus den Ländern und dem Bundestag. Wir setzen uns in Berlin gemeinsam an einen Tisch und besprechen, was die Menschen in unseren Wahlkreisen beschäftigt.“

Levin Eisenmann (CDU):
„Ja. Nur müssen wir die Spielräume aus Brüssel oder Berlin besser nutzen – gerade für Vereine und kleine Betriebe. Bei den Bauvorschriften oder dem Breitbandausbau kann und muss der Landtag Regelungen vereinfachen. Ich will ein Landtagsabgeordneter sein, der den Anliegen und regionalen Besonderheiten im Landtag Gehör verschafft. Und der sich dabei gleichzeitig für die maximale Unterstützung für die Menschen vor Ort einsetzt. Ein wichtiges Ziel in den nächsten fünf Jahren wird für mich sein, Erleichterungen bei der Bürokratie zu erreichen. Denn das ist eines der drängendsten Probleme. Wir dürfen uns nicht selbst lahmlegen.
Im Wahlkampf absolviere ich eine Praktikumstour, bei der ich immer einen Tag lang vor Ort in Betrieben und Einrichtungen mitarbeite. Ich habe dadurch einiges an Handlungsbedarf kennengelernt durch die Arbeit und den Austausch vor Ort. Dieses Format werde ich beibehalten, sollte ich in den Landtag gewählt werden.“

Antje Behler (Die Linke): „Ja und Nein. Auf der einen Seite haben die Kommunen viel Freiraum, wie sie den städtischen oder auch den kreisweiten Raum gestalten können, auf der anderen Seite fehlt es oft an finanziellen Mitteln, diese auch zu realisieren. Ich setze mich daher dafür ein, die Kommunen finanziell besser auszustatten, damit hier auch mehr gestalterischer Spielraum bleibt. Das Land muss sich wieder bei der Errichtung und Instandhaltung von Pflegeeinrichtungen mit Zuschüssen beteiligen und den
Investitionsstau bei Krankenhäusern und in Psychiatrien beenden. Dadurch könnte man auch der Privatisierung von Kliniken entgegenwirken. Vereine und Kulturschaffende müssen besser und unbürokratischer an Gelder kommen – gerade Kultur ist von unschätzbarem immateriellem Wert. Es kann nicht sein, dass gerade auch während der Coronakrise Ehrenamtliche und Kulturschaffende vergessen werden und letztere dann am Existenzminimum kratzen. Unsere vielfältige Vereinskultur droht zu verarmen – das dürfen wir nicht zulassen.“

Thorsten Otterbach (AfD): „Nein – unsere Freiheit wird sogar noch mehr durch Verbote beschränkt werden. Die Grünen wollen eine zusätzliche Klimaschutzverwaltung aufbauen und die Kommunen sollen Klimamobilitätspläne entwickeln. Vereinsheime müssen dann wie alle anderen Gebäude CO2 neutral saniert werden und Fußballmannschaften dürfen nur noch mit ÖPNV oder Batterieautos zu Auswärtsspielen fahren. Die vollkommen überzogene Datenschutzgrundverordnung war nur ein Anfang. Sollten alle Pläne umgesetzt werden, dann sehe ich auch das Aus für viele kleine Gemeinden, da sie mit den Anforderungen einfach überfordert sein werden. Als ich im Frühjahr 1988 als Umweltpreisträger mit dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors in Brüssel zusammengetroffen bin, war das Europa der Regionen ganz oben auf der Agenda. Dahin müssen wir wieder zurück. Leider geht der Trend in die andere Richtung. Aus meiner unternehmerischen Erfahrung weiß ich, dass kleine Einheiten am innovativsten sind. Dafür werde ich für Sie kämpfen!“

Nese Erikli (Bündnis 90/ Die Grünen): „Ja. Unser Föderalismus, gute Bürgerbeteiligungsformate und verschiedene Förderprogramme bieten einen guten Rahmen. Ich bin froh, dass wir in Deutschland föderale Strukturen haben, denn manche Themen sind vor Ort besser aufgehoben. Meiner Meinung nach müssen wir aber darauf achten, dass wir das Regelwerk und die Beantragung für Fördermittel für regionale Akteure vereinfachen und entbürokratisieren. Auf Bundes- und EU-Ebene wünsche ich mir eine vereinfachte Förderstruktur und außerdem einen Ausbau der Beteiligungsformate für die Menschen in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, so wie wir es in Baden-Württemberg auch schon haben. Wir Grüne haben die Bürgerbeteiligung in den letzten 10 Jahren in Baden-Württemberg massiv ausgebaut und schätzen die Expertise der Menschen vor Ort sehr, die durch die Bürgerbeteiligung bei den politischen Entscheidungsträgern ankommt und damit Einfluss auf die Entscheidungen nimmt.“

Petra Rietzler (SPD). Nein. Nicht nur aus Berlin und Brüssel, auch aus Stuttgart kommen viele Vorgaben, die es engagierten Menschen schwer machen, etwas zu bewegen. Die CDU-Kultusministerin Eisenmann hat es in kürzester Zeit geschafft eine Aufbruchsstimmung in den Schulen abzuwürgen. Anstatt die Städte und Gemeinden finanziell gut auszustatten, wird ein kompliziertes Förderprogramm durch ein noch unübersichtlicheres ersetzt. Heißt die Lösung weniger Staat? Nein, spätestens seit der Finanzkrise wissen wir alle: Das schafft neue, größere Probleme. Ohne handlungsfähigen Staat lassen sich die Aktivitäten internationaler Konzerne nicht kontrollieren und deswegen ist ein starkes Europa unverzichtbar. Soziale und innere Sicherheit lassen sich ohne überregionale Hilfe nicht garantieren Doch die EU, der Bund und auch unser Bundesland sollten sich auf die Regelung der Fragen beschränken, die zu groß und zu komplex für die örtliche Ebene sind und die Kompetenzen der Städte und Gemeinden nicht aushöhlen, sondern stärken.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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