WOCHENBLATT-Interview mit Johannes Moser, Vorsitzender des Gemeindetags Kreisverband Konstanz über die finanziellen Folgen der Corona-Krise für die Kommunen
»Wir müssen uns auf gewaltige Defizite einstellen«

Johannes Moser  | Foto: Johannes Moser: »Wir benötigen dringend einen staatlichen Schutzschirm, um angesichts wegbrechender Einnahmen und anstehender Ausgaben die Zahlungsfähigkeit dauerhaft sicherstellen zu können«. 
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Landkreis Konstanz. Die Städte und Gemeinden im Landkreis Konstanz stehen durch die Corona-Krise und ihren Auswirkungen vor großen Herausforderungen. Sie erwarten erhebliche Einnahmenrückgänge bei der Gewerbesteuer und beim Gemeindeanteil der Einkommensteuer, die große Löcher in die kommunalen Kassen reißen werden. Droht den Kommunen eingeschränkte Handlungsfähigkeit und müsse sie wieder einen harten Sparkurs fahren?

Darüber und über weitere finanzpolitischen Folgen für die Städte und Gemeinden durch die Corona-Pandemie sprach das WOCHENBLATT mit dem Vorsitzenden des Gemeindetags Kreisverband Konstanz, Johannes Moser, Bürgermeister von Engen.

Welche Bereiche sind im Landkreis Konstanz besonders hart von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen und wie wirkt sich dies auf die Finanzlage der Kommunen aus?
Johannes Moser:
Der aktuelle Lockdown betrifft große wie kleine Unternehmen. Während bei vielen produzierenden Unternehmen die Auftragslage eingebrochen ist, generierten Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie und viele andere Branchen überhaupt keine Einnahmen. Städte und Gemeinden müssen also mit erheblichen Einnahmerückgängen rechnen. Schon jetzt gehen die Vorauszahlungen bei den Gewerbesteuern stark zurück. Die Auswirkungen auf die Einkommensteueranteile und Schlüsselzuweisungen können noch nicht abgeschätzt werden. Auf der Ausgabenseite werden die Mehrkosten und Mindereinnahmen in den Krankenhäusern, den Nahverkehren und die höheren Sozialausgaben aus der zunehmenden Arbeitslosigkeit die kommunalen Haushalte über die Kreisumlage extrem belasten. Betroffen sind auch zahlreiche Eltern, die ihre Kinder nicht mehr an die Schulen oder in die Betreuung schicken können.

Wie hoch schätzen Sie die zu erwartenden Ausfälle bei Gewerbesteuer und Einkommenssteuer für die Kreisgemeinden?
Johannes Moser:
Es ist noch zu früh, eine verlässliche Größenordnung für die Gemeinden im Landkreis nennen zu können. Jedenfalls werden alle Haushalte Makulatur sein. Prof. Dr. Hans-Günther Henneke, Hauptgeschäftsführer des deutschen Landkreistag, schätzt, dass den Kommunen bundesweit unvermittelt 15 Milliarden Euro wegbrechen. Es werden allein in Baden-Württemberg erhebliche Mehraufwendungen im Sozial- und Jugendhilfebereich von 500 Millionen Euro erwartet. Für die Stadt Engen gehen wir aufgrund der Anträge auf Herabsetzung der Gewerbesteuervorauszahlungen von einer Reduzierung des Gewerbesteueraufkommen um rund 50 Prozent aus. Es fehlen aber auch die Einnahmen aus den geschlossenen Einrichtungen zum Beispiel bei der Kultur, Volkshochschulen, Theater, Kindertageseinrichtungen und Bädern. Mitte Mai, wenn die nächste Steuerschätzung kommt, wissen wir etwas mehr.

Worin liegen die größten Probleme der Kommunen bei wegbrechenden Steuereinnahmen?
Johannes Moser:
Die Einnahmen brechen ad hoc weg, doch die Fixkosten bleiben den Städten und Gemeinden erhalten. Der weit größte Teil an kommunalen Leistungen sind gesetzliche Pflichtaufgaben, die unabhängig von den Steuereinnahmen erbracht werden müssen. Wir können also nicht schnell und nachhaltig reagieren. Einsparungsmöglichkeiten bestehen nur bei den freiwilligen Leistungen wie beispielsweise Bädern, Kultureinrichtungen oder Vereinsförderung. Aber gerade diese Einrichtungen sind für das gesellschaftliche Zusammenleben sehr wichtig und es gibt vertragliche Verpflichtungen. Wir werden uns im laufenden aber auch im kommenden Haushaltsjahr auf gewaltige Defizite einstellen müssen. Die kommunale Handlungsfähigkeit ist in Gefahr und wir brauchen deshalb dringend die Hilfe der Landes- und Bundesregierung.

Wie direkt sind die Bürger von diesen finanziellen Ausfällen betroffen?
Johannes Moser:
Eine Krise diesen Ausmaßes hat es seit Ende des zweiten Weltkrieges noch nie gegeben. Es kann deshalb nicht abgeschätzt werden, welche Auswirkungen der finanziellen Belastungen auf die Bürger zukommen. Viele Bürger sind aber selbst durch die Auswirkungen der Krise in ihrer Existenz betroffen. Es wird letztlich den politischen Entscheidungsgremien vorbehalten sein, welche Maßnahmen ergriffen werden. Bundesweit werden verschiedene Modelle zur Finanzierung der Kosten aus der Pandemie diskutiert. Die Erwartungshaltung der Bürger an die Städte und Gemeinden bei der Erledigung der Aufgaben in der Daseinsvorsorge sollten meines Erachtens unter diesem Blickwinkel hinterfragt werden, aber auch höhere Steuer- und Gebührenlasten würde ich nicht ausschließen.

Gibt es von Seiten des Gemeindetags Baden-Württemberg Maßnahmen zur Unterstützung der durch die Pandemie in Not geratene Städte und Gemeinden, damit diese handlungsfähig bleiben?
Johannes Moser:
Der Landesverband des Gemeindetages verhandelt mit den Vertretern von Städte- und Landkreistag mit der Landes- und Bundesregierung über kommunale Finanzhilfen. In einem ersten Schritt wurde den Kommunen in Baden-Württemberg eine Soforthilfe von 100 Millionen Euro bewilligt. Dieser Betrag reicht nicht aus, um alle Einnahmeausfälle aus der Kinderbetreuung, Volkshoch- und Musikschulen für den Monat April zu decken. Wir benötigen dringend einen staatlichen Schutzschirm, um angesichts wegbrechender Einnahmen und anstehender Ausgaben die Zahlungsfähigkeit dauerhaft sicherstellen zu können. Die kommunalen Spitzenverbände haben dazu konkrete Vorschläge an Land und Bund erarbeitet.

Was können die Kommunen tun, um den Handel, das Gewerbe und die Selbständigen vor Ort zu unterstützen und die Konjunktur anzukurbeln?
Johannes Moser:
Durch zinslose Stundungen und Herabsetzung der Vorauszahlungen konnten wir einen Beitrag zu Verbesserung der Liquidität der Unternehmen leisten. Es gibt im Landkreis zahlreiche Aktionen zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft. In Krisenzeiten kommt den Kommunen eine zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Stützungsfunktion über antizyklisches Handeln zu. Kommunale Investitionen sind ein wichtiger Konjunkturmotor, dazu können wir, soweit vorhanden, zielgerichtet die Rücklagen einsetzen.

Können die Städte und Gemeinden im Landkreis Konstanz aus dieser Corona-Krise für die Zukunft lernen?
Johannes Moser:
Jede Krise bringt auch Chancen. Wir lernen momentan in allen Bereichen der Gesellschaft dazu. Zunächst gilt es, die akuten Herausforderungen zu lösen und danach offen zu analysieren. Zwei Erkenntnisse können wir jetzt schon ableiten, das Gesundheitswesen im Landkreis für künftige Krisen fit zu halten sowie die Digitalisierung an den Schulen und der Arbeitswelt noch schneller voranzubringen. Finanzpolitisch gesehen findet jedenfalls der alte Grundsatz »Spare in der Zeit…, dann hast du in der Not« auch hier wieder seine Bestätigung. Zum Glück nutzten die Kommunen die letzten guten Jahre um Rücklagen zu bilden, so dass die nächste Zeit die Not noch nicht so groß ist. Dennoch: es wird sehr hart werden.

Autor:

Ute Mucha aus Moos

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