Ein Zeitzeuge berichtet an der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Novemberpogroms
Zur Mahnung und Erinnerung

Gedenkfeier Pogromnacht Gailingen  | Foto: Bürgermeisterstellvertreter Ingbert Sienel bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Novemberpogroms am Synagogenplatz in Gailingen.
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  • Gedenkfeier Pogromnacht Gailingen
  • Foto: Bürgermeisterstellvertreter Ingbert Sienel bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Novemberpogroms am Synagogenplatz in Gailingen.
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Gailingen. Stille und Betroffenheit füllten den Leopold Guggenheim-Saal im jüdischen Museum in Gailingen, als Dr. Gert Wolf seine Erinnerungen an den wohl dunkelsten Teil seines Lebens beendet hatte.
Der 90-Jährige aus Wangen schilderte die Vorkommnisse vom 10. November 1938, als SS-Offiziere aus Radolfzell in den frühen Morgenstunden in sein Elternhaus eindrangen, seinen Vater, einen jüdischen Arzt schlugen, verhafteten und ins Konzentrationslager nach Dachau verschleppten. »Als er zurück kam, war er nicht mehr wieder zu erkennen, nach all den Gräueltaten«, erinnerte sich Gert Wolf selbst nach acht Jahrzehnten.
Der Zeitzeuge ist seit Jahren dem Verein für jüdische Geschichte in Gailingen eng verbunden und nahm gemeinsam mit zahlreichen Bürgern aus Gailingen und Nachbargemeinden vergangenen Donnerstag an der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Novemberpogromnacht am Synagogenplatz in Gailingen teil, wo den Opfern des Nationalsozialismus gedacht wurde.
Dort mahnten zu Beginn Schüler der Internatsschule Friedrichsheim mit Gedichten eindringlich gegen Antisemitismus und Gleichgültigkeit ehe Ingbert Sienel als erster Vertreter von Bürgermeister Dr. Thomas Auer an die »schlimmsten Tage in der Geschichte unseres Landes« erinnerte. Damals vor 80 Jahren, als in Gailingen und in der ganzen Republik Synagogen brannten, jüdische Einrichtungen und Geschäfte verwüstet und Tausende Juden verhaftet, misshandelt und getötet wurden.
»Das war ein staatlich inszenierter Zivilisationsbruch, nicht nur verübt von fanatischen Nationalsozialisten, sondern auch von Menschen, die bis dahin Nachbarn waren - und es endete im Holocaust«, fasste Sienel zusammen. Er legte den Kranz an der Gedenkstätte nieder, um »die Opfer zu ehren, uns alle zu mahnen und uns zu erinnern« und appellierte: »Wehret den Anfängen«. Gerade wegen der schrecklichen Erfahrungen sei es umso unerträglicher, dass »auch im Jahr 2018 in unserem Land jüdische Einrichtungen beschützt werden müssen und antisemitische Parolen verbreitet werden«, schloss der erste Bürgermeisterstellvertreter.
Im Guggenheim-Saal erinnerte Pfarrer Matthias Stahlmann an die dunkle Zeit vor 80 Jahren, als den jüdischen Mitbürgern sämtliche Rechte genommen, sie zu Fremden und Feinden im eigenen Land gemacht wurden. Und: »in der auch die Kirche komplett versagt habe«, so der evangelische Pfarrer und forderte, dass »alle Menschen sich dafür einsetzen müssen, damit solche Gräueltaten nicht wieder geschehen«.
Joachim Klose vom Verein für jüdische Geschichte Gailingen, erzählte das berührende Schicksal der Familie Seligmann, die die Leitung des jüdischen Altenheims Friedrichsheim übernommen hatte, kurz bevor die systematische Verfolgung und Vernichtung der jüdisch-gläubigen Bevölkerung begann.
Verhaftung, Folter, Konzentrationslager und Flucht, Trennung und der Tod des kleinen Herbert haben für dessen Schwester Henny noch heute traumatisierende Auswirkungen. Vor zehn Jahren kehrte sie aus Israel noch einmal zurück nach Gailingen an den Hochrhein - dorthin, wo ihr Leben und das ihrer Familie damals diese schreckliche Wendung nahm.

Autor:

Ute Mucha aus Moos

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