1848 Jahre nach Christus
Ein Hecker macht noch keine Revolution

Wir leben in Zyklen, leben mit Gedenktagen. 1848 ist so ein Jahr der deutschen Geschichte, das ausnahmsweise keinen Krieg bedeutet. Das Jahr erinnert aber an die "deutsche Revolution", wie sie von Historikern gerne genannt wird. Aber eben eine gescheiterte Revolution. So sind wir halt, wir germanischen Stämme aller Prägungen: Wenn wir Revolution machen, dann betreten wir im Zweifelsfall den Rasen nicht! 1848 ist ein durchaus romantisches Datum in der deutschen Geschichte, alles ist so sympathisch, gar nicht "typisch deutsch". Da wollten die Intellektuellen aus ihrer Haut heraus und auch in Deutschland etwas schaffen. Sie standen hin- und hergerissen in einem Weltgefüge, das sie kaum verstehen konnten. Die spätere Politikstrategen nahmen die Vorgänge von 1848 gerne für sich in Anspruch. Die Liberalen reklamieren das Hambacher Fest für sich, die Paulskirche wurde in den frühen Jahren der Bonner Demokratie oft genug zum historischen Fixpunkt erklärt.

Und mit Heinrich Heine fühlen wir, wenn er schreibt: "Denk´ ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht!" Er war der Realität wahrscheinlich näher als alle Chefideologen dieser Ära. Das Deutschland, das ihn aufschreckte, war das Deutschland, das Jahrzehnte später die Demokratie durch die braune Diktatur ersticken sollte. Und weil dies alles zusammenhängt, macht ein Friedrich Hecker eben noch lange keine Revolution. 1848 ist ohne 1815 nicht denkbar, genausowenig ist 1933 ohne 1918 möglich gewesen. Da gibt es zwei Ebenen, eine geistesgeschichtliche, die zwischen Diktatur und Demokratie schwankt, und eine machtpolitische, deren böse Fratze wir zu oft in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten erleben mussten. Immer aber war es die Machtüberschätzung der Übermächtigen, die meinten, sie könnten die Welt neu aufteilen. Wo wurden die Ureinwohner gefragt, als Spanier und Portugiesen im späten Mittelalter/Beginn der Neuzeit die Welt aufteilten?! Und was war der Wiener Kongress anderes im Jahre 1815 als eine Ansammlung der alten höfischen Kräfte, die Napoleons Ende mit kräftiger Restauration feierten?! Blicken wir ins Detail: 1815 war der preußisch-österreichische Krieg von 1866 vorprogrammiert, der Krieg 1970/71 mit Frankreich genauso. Der Wiener Kongress schuf ein Moratorium, das am Ende Preußen für sich nutzte. An der Aach in Singen endete Vorderösterreich bis 1815. Jetzt wurde diese Region hier badisch. Und was war Baden vorher gewesen? Der Aufmarschplatz für Preußen und Franzosen. Napoleon lag mit seinen Truppen vor Schaffhausen. Und jetzt sollte eine neue Zeit beginnen. Geistesgesichtlich war es eine großartige Zeit: Es gab ein Parlament mit zwei Kammern, wobei der Adel oft viel liberaler argumentierte als das Fußvolk.

Zwei Glanzstücke seien genannt, die badische Gemeindeordnung und Gewerbeordnung aus den frühen 20er Jahren. Was badischer Liberalismus werden sollte, ist hier manifestiert. Die Demokratie spuckte in den Köpfen der Gebildeten herum. Doch Frankreich brachte mit dem Bürgerkönig Napoleon III. 1831 den nächsten Rückschritt: Die Revolution fraß endgültig ihre Kinder, derweil frühe Soziallisten dort missionierten. Karl Marx war im 19. Jahrhundert überall, aber nie politisch wirkungsvoll. Die preußischen Junker hatten ihren Marx und Engels früher verinnerlicht als das Proletariat. Und da sollte es eine erfolgreiche Revolution geben? Die industrielle Revolution in England haben wohl erst die deutschen Historiker in ihrer Dimension später erkannt. Die deutschen Unternehmen hatten ihre Lektionen schnell gelernt und Spitzen abgebogen. Und dennoch gab es in Deutschland Not. Friedrich Hecker ist ein Aufschrei des Volkes, leider nicht mehr. Das Deutsche Reich kam.

Und es kam so, wie es viele der 1848er nicht wollten: Mit Gewalt und von Preußen. Der Wiener Kongress konnte genausowenig halten wie der Vertrag von Versailles. Und auch die innerdeutsche Mauer ist heute Geschichte. Geschichtliche Entwicklungen lassen sich nicht per höfischem Dekret festlegen. Sie sind keine Momentaufnahmen und keine beliebig veränderbaren Augenblicke. Die deutsche Kleinstaaterei musste sich 1848 erst selbst finden. Das war 1948 bei der Währungsreform nicht anders. Unsere sensible Welt ist für die Stürme der diktatorischen Feldherren nicht prädestiniert: Ob Napoleon oder Hitler, die verbrannte Erde blieb. Das demokratieverträgliche Maß nach solchen historischen Schocks zu finden, ist schwer. 1848 kam da vielleicht hundert Jahre zu früh. Demokratieentwürfe gab es genug.

Info:
"Wenn Ihr uf Karlsruhe kummet, dann bringet au die Krau vom Großherzog mit!" Dies sagte die Kreuzwirtin im April 1848 zu den Singenern, die sich im April 1848 der demokratischen Volkserhebung anschlossen und sich unter Führung des ehemaligen Leutnants Franz Sigel dem später sogenannten Hecker-Zug anschlossen. Friedrich Hecker wollte mit seinen Marschkolonnen von Konstanz aus, über Radolfzell, Stockach, Donaueschingen die Demokratie erzwingen. Diese Erhebung schlug fehl. Trotzdem war Hecker, ich zitiere: ein "Abgott des Volkes" und er werde wieder erscheinen, "wie Messias, sagten die Bauern". So heißt es in der ersten großen Geschichtsdarstellung der deutschen Revolution 1848/49 von Veit Valentin. Hecker war der Mann, der diese Revolution geprägt hat, erst als Handelnder, dann 1849 als handlungsleitender Mythos. Baden versuchte 1848 und 1849, einen demokratischen und republikanischen Weg zu gehen. Dieser Weg hatte zwei Kennzeichen: 1. In der badischen Aprilrevolution 1848 zeigte sich am entschiedensten und konsequentesten in ganz Deutschland die Bewegung für eine demokratische Republik. 2.In der Grundrechtsbewegung 1849, der Reichsverfassungskampagne, bildete sich in Baden ein Netz von Basisinitiativen, von Volksvereinen aus, eine Voraussetzung zur demokratischen Gegenmacht. Der Volksverein Singen war übrigens besonders aktiv. Im Sommer 1849 wurde das erste demokratische Landesparlament Deutschlands bei uns in Baden gewählt. Auch die Nationalversammlung in Frankfurt war nicht durchgängig nach gleichem Wahlrecht gewählt. Für die Alternative zum badischen Weg stand die Mehrheit der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche: Diese Mehrheit wollte ohne außerparlamentarischen Druck eine verfassungsmäßige Monarchie mit einem gewählten König einführen. Die badischen Demokraten kämpften für Forderungen, wie sie Friedrich Hecker und Gustav Struve bereits auf der ersten Offenburger Versammlung 1847 formuliert hatten: Wir verlangen Preßfreiheit; Wir verlangen Gewissens- und Lehrfreiheit; Wir verlangen persönliche Freiheit; Wir verlangen eine gerechte Besteuerung;Wir verlangen eine volksthümliche Staatsverwaltung;Wir verlangen Abschaffung aller Vorrechte;Wir fordern die Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit. Das sind Forderungen, die für heute alle Bestandteil unseres Grundgesetzes sind.
Dr. Alfred Frei

Aber wer sollte sie bis zur Basis hin durchsetzen? Hecker setzte ein Signal, mehr nicht. Zurück zu Heinrich Heine: Das deutsche Kaiserreich brachte in vielen Teilen eine neue Ära der Restauration. Ruhe war trotz wirtschaftlicher Prosperität weiter die erste Bürgerpflicht. Deutsche Großmannssucht ließ das Reich in den Ersten Weltkrieg hineinpurzeln. Wieder waren es die alten "Spielgefährten" des Wiener Kongresses, mit denen es nach dem Attentat von Sarajewo Krieg gab. Neu waren nur die Amerikaner. Doch das sollte bald wieder passieren. Hätte 1948 Erfolg gebracht, hätte alles nicht passieren müssen, sagen auch Historiker. Doch das war eben nie real. Napoleon hatte zwar sein Waterloo erlebt, doch nicht durch aufgeklärte Staaten auf dem Weg zur Demokratie!

Die drei französischen Revolutions-Verfassungen waren im Gedankengut Meilen weiter als alles Denken nach 1815. Was wussten die deutschen Intellektuellen und demokratischen Eiferer wirklich über das Gedankengut der französischen Revolution?! Da verlangen wir alle bis heute wohl zuviel von den Akteuren von damals, auch von Hecker, der auszog, um den Amerikanern seine Revolution zu predigen. Ihm haben sie immerhin ein Denkmal gesetzt.

Hans Paul Lichtwald

Autor:

Redaktion aus Singen

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