1914 Jahre nach Christus
Kriegslust und der jähe Absturz in den Hunger

Der Krieg kam letztendlich recht plötzlich über diese Region hereingebrochen. "Noch keine Entscheidung - nur ruhig Blut", titelte der "Högauer Erzähler" noch am 31. Juli, doch diese Meldung wurde schnell von den Ereignissen überrollt. Schon am Abend des selben Tages wurden die Bürgermeister im Kreis aufgefordert, wegen der "drohenden Mobilmachung" am 1. August in Konstanz zu erscheinen. Noch am selben Abend kam ein weiteres Telegramm in die Rathaus, das von "drohender Kriegsgefahr" sprach. Ortsdiener riefen diese Meldung damals an die Bevölkerung aus.

Schnell entwickelte sich eine Art Kriegseuphorie. Es gibt kaum eine Chronik, die nicht die Fotos der Stolzen Patrioten zeigt, die in den Krieg ziehen wollen und sich vorher zum Gruppenbild stellen. Schon am 1. August werden am Morgen erste Grenzsicherungsmaßnahmen ergriffen, sogar Gräben werden zum Teil gezogen, Schranken aufgestellt, um das "Eindringen von Spionen" zu verhindern, obwohl die Schweiz ja schon lange neutrales Land war. Es war die Euphorie des Krieges. Schon wenige Tage später werden Freiwillige gesucht, die die Bahn entlang der Grenze bewachen, der nationale Überschwang beginnt Blüten zu treiben. Die Männer im wehrfähigen Alter zogen in den Krieg. Zum Teil bezahlten patriotisch eingestellte Unternehmen ihren Mitarbeitern, die den Blaumann gegen die feldgraue Uniform getauscht hatten einen Teil des Lohns weiter, das Unternehmen Fahr sogar den halben Lohn. Die Begeisterung über den Krieg wurde jedoch bald von den wirtschaftlichen Folgen gelöscht, die auch in unserer Region schmerzhaft spürbar wurden. Kein Unternehmen konnte mehr in dem Masse produzieren wie in den Jahren zuvor. Es herrschte ein akuter Mangel an Arbeitskräften, auch wurden die Rohstoffe für die Produktion durch unterbrochene Versorgungslinie immer knapper.

Info:
Es war eine Zeit, in der der Imperialismus seine Hochblüte hatte. Manche schieben die Ereignisse vom August 1914 auf die Konstellation der Sterne, andere sehen darin die notwendigen Wehen, die das Ende eine überholten Kaiserreiches einläuten mussten, um neuen Entwicklungen Platz zu machen. Doch welchen?

Kurioserweise wurden, um den Arbeitskräftemangel zu mildern, neue Mitarbeiter in der Angrenzenden Schweiz angeworben. Die trotz der Tatsache, dass die Grenze inzwischen von Soldaten des Landsturms bewacht wurden, die ohne zögern von der Schusswaffe Gebrauch machten. Ohne den Ausweis der Heimatgemeinde konnte sich kein Mensch mehr auf die Strasse trauen. Arbeitskräftemangel auch in der Landwirtschaft. Schon im Frühjahr 1915 wurden Frauen und Arbeiter aufgefordert, sich zur Mithilfe in der Landwirtschaft auf den Rathäusern zu melden. Erste Meldungen von Kriegsgefangenen oder gar Gefallenen Soldaten trafen in den Gemeinden ein, schon im März wurden Sammelstellen für Eier und Milch eingerichtet, Karten für Brot ausgegeben. Bauern mussten die Waren, die über ihre Selbstversorgung hinaus gingen, den Kommunalverbänden abgeben.

Erste fleischlose Tage wurden zunächst propagiert, immer mehr "Ersatzstoffe" tauchten auf, schon ab 1915 mussten überzählige Töpfe abgegeben werden, damit Kriegsgerät daraus hergestellt werden konnte. Kinder begannen, Obstkern zu sammeln, damit daraus Öl gewonnen werden konnte. Das war auch die zeit, als der Hegau Durchlaufstation für französische Zivilisten, die von Nordfrankreich aus ihren zerstörten Dörfern über das Kaiserreich und die Schweiz in südfranzösische Gebiet abgeschoben wurden. Zum Teil waren das mehrere Züge pro Tag. Der Staat brauchte Geld für diesen Krieg. Kriegsanleihen wurden propagiert um die Schützengrabenschlachten weiter zu finanzieren. Die Grenzwachen mussten mehr und mehr zur Sicherung von Obstgärten und Feldern eingesetzt werden. Ein Volk hatte Hunger. Im Mai wurde gar verlangt, dass die Elektrizitätswerke das Kupfer ihrer Ortsleitungen herausgeben sollten, der Krieg begann die gerade erst gewonnene Infrastruktur wieder zu vernichten. Heute erinnern Mahnmale mit den gefallenen Soldaten an diese dunkle Zeit.

Das Vereinsleben kam in fast allen Städten und Gemeinden völlig zum erliegen. Auch der Wohnungsbau war in den harten Kriegszeiten fast völlig eingestellt worden. Das führte bald zu Engpässen, denn viele, die in den Krieg gezogen waren, hatten ihre Hochzeit verschoben. Das führte zu einem regelrechten Hochzeitstau der den Wohnungsmangel noch drastischer erscheinen liess. Zudem gab es auch damals erste Ströme von Flüchtlingen, die aus den Gebieten vertreiben worden, die das deutsche Reich an die Kriegsgegner verloren hatte. Aber auch wenn die Zeiten denkbar schlecht wurden, das Kaiserreich war beendet. Noch 1922 durchsuchten "Arbeiterräte" Wohnungen und öffentliche Gebäude auf Abbildungen des Kaisers und vernichteten, was sie fanden. Die Unruhe, die in den Metropolen zu spüren war, erfasst, auch den Hegau hier unten an der Grenze.

Oliver Fiedler

Autor:

Redaktion aus Singen

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