1890 Jahre nach Christus
Singen war damals nicht alleine

Autos, Omnibusse wie zum Beispiel zwischen Frauenfeld und Steckborn, elektrische Straßenbahnen (Schaffhausen, St. Gallen) und nicht zuletzt die ersten Flugversuche mit den Zeppelinen in Friedrichshafen oder Flugzeugen in Konstanz, Singen und St. Gallen eröffneten vollkommen neue Möglichkeiten der Beweglichkeit. Für die Masse war das Niederfahrrad der erste Schritt zur schnelleren Fortbewegung von einem Ort zum anderen. Fahrräder, Autos und Flugmaschinen wurden im Bodenseeraum nicht nur benutzt, sondern auch produziert (Arbon, Frauenfeld, Friedrichshafen).

Die gesamte Wirtschaft war in dieser Zeit im Umbruch. Zahlreiche neue Fabriken für neue Produkten entstanden: Georg Fischer in Singen 1895, die Großproduktion bei Maggi in Singen 1899, der Stickereigroßbetrieb Heine in Arbon 1898 und die Motorenfabrikation bei Saurer in Arbon 1888. Nach der Jahrhundertwende folgten der Zeppelinbau in Friedrichshafen und die Aluminiumverarbeitung in Singen und Kreuzlingen. Singen, Arbon und Friedrichshafen waren besondere Brennpunkte dieser Entwicklung. Zum ersten Mal kam es zur Zusammenballung großer Arbeitermassen. Große Textilfabriken hatten damals 100- 300 Beschäftigte. Bei Troetschler in Singen waren es 1869 77.

Info:
Die Stadterhebung Singens war ein Teil des allgemeinen Umbruchs um die Jahrhundertwende im Bodenseeraum. Der Aufbruch in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende erfaßte alle Lebensbereiche.

Bei Georg Fischer in Singen schnellten dagegen die Beschäftigtenzahlen zwischen 1895 und 1910 von 178 auf 1.450 Personen hoch. 1912 waren es sogar 2.105. Auch das war keine Einzelerscheinung. Beim Stickereiunternehmen Heine in Arbon wuchs die Zahl der Arbeiter zwischen 1898 und 1909 von 158 auf 2.200 an. Zur gleichen Zeit bahnte sich eine Revolution im Haushalt an. Die Wärmenutzung der Elektrizität erhielt 1890/91 vom Bodenseeraum aus wichtige Impulse. In Dornbirn stand der erste vollelektrifizierte Haushalt. In der Villa des Textilfabrikanten und Erfinders Schindler wurde nur noch elektrisch gekocht, gebacken, geheizt, gebügelt und saubergemacht.Im Volksmund hieß die Villa nur noch das "elektrische Haus". Bei diesen Ansätzen blieb es nicht. Die gesamten alltäglichen Lebensformen begannen sich zu verändern. Man löste sich vom Zopfstil früherer Zeiten, dem überladenen Schmuck der Häuserfassaden, den überreich verzierten Kleidern und Möbeln und bevorzugte die einfacheren, "natürlicheren", auch unsymetrischeren Formen. Teile des älteren Baubestands von Singen legen davon noch Zeugnis ab. "Natürlichkeit", "Jugendlichkeit" und "Sportlichkeit" sind damals kreierte Lebenswerte, die noch heute unser Leben bestimmen.

Um die Jahrhundertwende begann auch die uns heute selbstverständliche Verbreitung der Bilder. Illustration wurden auch in den regionalen Zeitungen üblich. Kinos und Photographen begannen sich, nachdem sie bis dahin von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gezogen waren, in den Städten fest zu etablieren. Die Bildpostkarte begann ihren Siegeszug. Auch politisch hat sich um die Jahrhundertwende einiges bewegt. Die Arbeiterbewegung gewann zunehmend an Einfluß. Vor allem die Gewerkschaften erzielten in Verhandlungen und Streiks erste Verbesserungen für die Arbeiter, so in Konstanz und Arbon. In Singen kam es 1912 zum ersten Tarifvertrag zwischen einem Großbetrieb und der Gewerkschaft. Auch die Bewegung zur Gleichstellung der Frauen konnte erste Erfolge erzielen.

Der "Frauenstimmrechtsverein" in Konstanz erlebte einen ersten Durchbruch. Bei den Wahlen zu den Vertretungskörperschaften der neu geschaffenen "Allgemeinen Ortskrankenkassen" in Singen und Konstanz durften sich die weiblichen Beschäftigten zu ersten Mal beteiligen. Wie für das tägliche Leben gab es auch für die gesellschaftlichen und politischen Strukturen eine wachsende Reformbewegung, die allerdings weit weniger durchdrang als die Reformbewegung im Bereich des Lebens-, Bau-, Wohnungsstils. Auf die große Politik gewann sie keinen Einfluß. In dem von Preußen beherrschten Deutschland war der Untertan mit seiner Überbewertung alles Militärischen und seiner kritiklosen Unterwerfung unter alle Obrigkeit absolut vorherrschend. Schließlich war in den beiden Jahrzehnten um die Jahrhundertwende der europäische Imperialismus auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Die Spannungen endeten im 1. Weltkrieg. Die Hoffnungen auf einen unaufhaltsamen technischen Fortschritt und desen Nutzung für breite Schichten der Bevölkerung, verbunden mit einem wachsenden "Reichtum für alle" wurden zunichte gemacht. Wer ein Kaleidoskop der Entwicklung um die Jahrhundertwende besichtigen will, kann dies im Heimatmuseum Reichenau und im Seemuseum Kreuzlingen tun. Die Ausstellung auf der Reichenau (Ergat 1) hat den Titel: "Neue Welt- Alte Welt. Die Jahrhundertwende im westlichen Bodenseeraum", geöffnet jeweils Dienstag bis Sonntag 15 bis 17 Uhr (bis 3. Oktober).

In Kreuzlingen ist eine Ausstellung über die letzte Jahrhundertwende bis 30. September im Seemuseum Kreuzlingen, im hiostorischen Museum St. Gallen gibt es eine Ausstellung über die Stickerei der Jahrhundertwende (sie auch Beitrag auf den folgenden Seiten) bis 5. Mai 2000, im Landtagsfoyer Bregenz geht der Rückblick bis 28. Januar 2000, im historischen Museum des Kanton Thurgau bis 23. Juli 2000, in der Galerie Bodenseekreis, Schloss Maurach (bei Birnau) bmit Kunst der Jahrundertwende bis 6. August 2000 und im Liechtensteinischen Landesmuseum Vaduz gibt's es eine Ausstellung erst nach erfolger Renovation der Räume.

Gert Zang

Autor:

Redaktion aus Singen

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