»Babberger Fenster« das Juwele der Singener Kultur
Ein geteiltes Kunstwerk in der Singener Klinikkapelle

Prof. August Babberger | Foto: Prof. August Babberger
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Als am 15. September 1928 das neu erbaute Städtische Krankenhaus in Singen nach zweijähriger Bauzeit seine Pforten öffnete, erstrahlten die Räume der beiden Klinik-Kapellen im starkfarbigen Licht der Glasfenster von August Babberger. Ausgeführt auf Vermittlung des Karlsruher Architekten Hermann Billing, mit dem Babberger seit Beginn der 20er Jahre befreundet war, konnten die Patienten und Besucher des neuen Krankenhauses am Fuße des Hohentwiels in den konfessionell getrennten Kapellen nun sechs über lebensgroße Figurenkompositionen erleben, mit denen der Künstler bedeutende Zeugnisse moderner religiöser Glasmalerei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen hatte. Und die Kunstlandschaft in der westlichen Bodenseeregion besaß mit einem Mal herausragende und zeittypische Beispiele spätexpressionistischer Glasbildkunst der 20er Jahre, die heute in unserer Gegend die einzigen noch erhaltenen Glasfenster aus dieser Epoche darstellen. Dass die Singener Fenster in ihrer Existenz und Bedeutung ebenso in Vergessenheit geraten sind wie Person und Wirken von August Babberger, das mag der Kunstführer des Landkreises Konstanz belegen (erschienen 2006 und herausgegeben vom Hegau-Geschichtsverein), in dem die Arbeiten wie auch der Künstlername mit keinem Wort Erwähnung finden. Das war für den in Radolfzell lebenden Kunsthistoriker Dr. Andreas Gabelmann ein Grund, hier im wahrsten Sinne auf »Spurensuche« zu gehen. Das Ergebnis stellte er im letzten Sommer in einem Vortrag in Singen vor, aus dem hier nun Auszüge einer ganz breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.


Erneuerer der Glasmalerei

August Babbergers Ziel galt der Erneuerung der figürlichen Monumentalmalerei zugunsten einer zeitgemäßen, modernen Gestaltungsprinzipien verpflichteten Bildaussage. Und so prägt eine flächenreduzierte Formensprache bei gleichzeitiger Intensivierung der Farbigkeit ganz wesentlich seine expressive Ausdrucksweise. Mit dieser stilistischen Ausrichtung schuf Babberger im Auftrag namhafter Architekten in den 10er, 20er und frühen 30er Jahren zahlreiche Mosaiken, Fresken, Sgrafittos, Putzkeramiken und Glasfenster in Deutschland und der Schweiz. Vor allem in den Zwischenkriegsjahren zählte Babberger zu den weithin geschätzten Vertretern einer neuen, modernen Monumentalkunst und schuf Werke für Sakral- und Profanbauten in Bruchsal, Karlsruhe, Neustadt, Ludwigshafen, Schwenningen, Singen, Baden-Baden, Berlin, Luzern, CH-Wolhusen und Altdorf, berichtet Dr. Andreas Gabelmann. Der frühe Tod im Alter von 51 Jahren, die rigide Kunstpolitik der NS-Zeit und die Wirren des Zweiten Weltkrieges mögen dazu beigetragen haben, dass Person und Werk des einst so einflussreichen und hochgeschätzten Künstlers rasch in Vergessenheit gerieten. Erst 1956 erinnerte eine Gedächtnisausstellung im Badischen Kunstverein in Karlsruhe an den Maler – es ist bis heute die einzige Ausstellung in Babbergers wichtigstem Wirkungsort geblieben. Sein großer Nachlass mit rund 3.200 Werken lagert in der Karlsruher Kunsthalle: Dort sind auch die Entwürfe zu den Singener Fenstern erhalten, die Babberger 1930 auf der »Kirchlichen Kunstausstellung« in Karlsruhe zeigte.

Zwei Kapellen – zwei Themen
Doch nun zu den Glasfenstern in Singen: Das Singener Krankenhaus gehörte zur Zeit seiner Errichtung mit den klaren und strengen Bauformen und seiner technischen Ausstattung zu den modernsten Kliniken in Süddeutschland. Architekt Prof. Hermann Billing, dessen bekannteste Bauten vielleicht die Mannheimer Kunsthalle und die Kunsthalle in Baden-Baden sind, galt als führender Vertreter zeitgenössischer Baukunst der 10er und 20er Jahre im deutschen Südwesten. Für die künstlerische Ausstattung eines solch markanten Gebäudes mit seiner rötlichen Klinker-Fassade wollte Billing einen entsprechend fortschrittlich gesinnten Künstler und schlug den Karlsruher Akademiedirektor August Babberger vor. Die Festschrift zur Einweihung des Krankenhauses 1928 berichtet: »Ein Krankenhaus braucht kirchliche Räume für die Erbauung von Kranken und Personal. Für viele Kranke sind sie ein so starkes Bedürfnis, dass das Fehlen von kirchlichen Räumen einen ungünstigen Einfluss auf ihre Stimmung und damit auf den Verlauf der Krankheit haben würde. Es wurden deshalb entsprechend der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung ein größerer katholischer und ein kleinerer evangelischer Gottesdienstraum geschaffen, die beide im 3. Obergeschoss des Turmes liegen und mit Aufzügen erreicht werden können. (…)
Den Hauptschmuck bilden die großen Kirchenfenster, von denen jeder Raum drei besitzt.« Dieser Originalzustand der Räume und Fenster existiert heute nicht mehr. Von den sechs Glasmalereien sind nunmehr die drei Werke der einst katholischen, jetzt ökumenischen Kapelle an ihrem ursprünglichen Ort in unveränderter Formerhalten geblieben. Die Fenster der evangelischen, ursprünglich nach Nordosten gerichteten und heute nicht mehr vorhandenen Kapelle wurden im Zuge von Umbaumaßnahmen der urologischen Abteilung in den 60er Jahren, denen die Kapelle weichen musste, ausgebaut, anschließend im Keller des Krankenhauses gelagert, bis sie dann beim Neubau des evangelischen Altenpflegeheimes in der Singener Nordstadt in einem verglasten Gangbereich wieder eingesetzt wurden. Da dieser Flur flachgedeckt ist, die Fenster aber rundbogige Abschlüsse aufweisen, wurden sie oben und unten kurzerhand gekappt, und zudem in der falschen Anordnung eingebaut, so dass heute die einstige Mittelszene mit dem barmherzigen Christus rechts außen zu sehen ist, stellte Gabelmann in seinem Vortrag vor. Die sechs Fenster, die im Juni 1928 ausgeführt wurden, schildern Szenen aus dem Leben und Wirken Christi. Bei der Wahl der Themen und Motive war Babberger an exakte Vorgaben des Bauherrn gebunden. Als inhaltliche Vorlagen für die Fenster der katholischen Kapelle dienten laut Beschluss des Singener Bürgermeisteramtes vom Oktober 1927 Textstellen aus dem Matthäus- und Markusevangelium. Die Bibelpassage »Kommet her zum mir, alle die ihr mühseligund beladen seid« lieferte die Grundlage für die drei Szenen der evangelischen Kapelle. Die Bildschöpfungen, die von der Karlsruher Glasmalerei-Werkstätte Emil Großkopf ausgeführt wurden, zeigen im Mittelpunkt die Gestalt »Christi als barmherziger Samariter«, flankiert zu beiden Seiten von vielfigurig gedrängten Gruppen von Armen, Kranken und Bedürftigen. Die Fenster der nach Südwesten ausgerichteten katholischen Kapelle, die von der renommierten Berliner Mosaik- und Glasmalerei-Firma »Puhl & Wagner, Gottfried Heinersdorff« ausgeführt wurden, zeigen in klassischer Triptychonform im Zentrum die Kreuzigung, links die Szene der »Erweckung eines Töchterchens« und rechts die »Heilung eines Aussätzigen«. Zu Inhalt und Formgebung der Fenster äußerte sich Babberger in der Festschrift von 1928 ausführlich. Zu den Arbeiten für die katholische Kapelle erklärte er: »Hier soll die Farbe des Glases mit die Hauptdeutung der Stimmung tragen.« »Farbige Glasfenster zu schaffen heißt zuerst: die Ausdruckskraft des Glases, der Farbe und die der Bleiruten in den Dienst rufen (…), ein Glasfenster soll, was es auch sei, immer deutlich ein Bestandteil der Architektur sein, und darf selber nicht realistisch sein wie eine Photographie, damit die Schönheit und Reinheit des Glasmaterials erhalten bleibe.« Eine Serienarbeit, waren die Glasfenster beileibe nicht: »Diese Fenster sind in hellen Farben gehalten, teils um dem Wesen des evangelischen Gottesdienstes zu entsprechen, der sich weniger des Mystischen bedient, teils um Helligkeit zum Lesen des Gesangstextes zu haben und zuletzt, weil dieser Raum nach Nordosten liegt, also nur frühmorgens Sonne erhält.«, schreibt er über die »evangelischen Fenster«.

Höhepunkt eines Lebenswerks
Innerhalb des Werkes von Babbergers Hauptschaffenszeit bilden die Singener Glasfenster von 1928 zweifellos einen beispielhaften Höhepunkt seiner Kunst, die als Expressionismus eigenständiger und eigenwilliger Prägung bezeichnet werden kann. Und da ein nicht geringer Teil von Babbergers Wandbildern und Glasfenstern kriegsbedingt zerstört wurde oder späteren Umbauten zum Opfer fiel, gehören die heute komplett erhaltenen Fenster im Hegau-Klinikum zu den wertvollsten Zeugnissen, so Dr. Gabemann.

Quelle: »Im Licht der Farbe«, Vortrag von Dr. Andreas Gabelmann in der Krankenhauskapelle, 5. Juli 2017

Infos:
August Babberger wurde 1885 in Hausen im Wiesental bei Lörrach geboren und ist 1936 in Altdorf im Kanton Uri in der Innerschweiz gestorben. Seine Ausbildung und Studienjahre waren in Basel, Karlsruhe und Florenz. Er gilt 1919 als Mitbegründer der »Darmstädter Sezession« unter anderem mit Max Beckmann, war 1920–1933 Lehrer (Prof. für Wandmalerei) an der Karlsruher Kunstakademie, 1923–29 deren Direktor. 1933 erfolgte die Entlassung aus dem Lehramt als »entarteter« Künstler. Er verbrachte die letzten Lebensjahre überwiegend in der Schweiz und war tätig als Maler, Druckgrafiker, Wandbild- und Glasfenstergestalter, Bühnenbild-Gestalter, Entwürfe für Wandteppiche und Gebrauchskeramik.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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