Liebe Leserinnen und Leser,

Singen ist zum Hotspot geworden. Zum Hotspot für Auto- und Tuningfans. Und das scheidet die Geister. Und wird für uns gerade zum Lehrbeispiel für komplexe redaktionelle Themen vor Ort.

Doch langsam: Singen ist schon lange Hotspot für Autofahrer und die Stadt hat dem Auto viel zu verdanken. Die Deutsche Tourenwagenmeisterschaft auf dem Singener Alemannenring in den 90er-Jahren war legendär, als Nannini und Larini in ihren Alfas, Roland Asch im Mercedes und natürlich Hans-Joachim Stuck mit seinem Audi um Bestzeiten rangen und im Top 10 die Grid-Girls zur Warmup-Party luden.

Singen ist Autostadt, nicht nur Automeile. Viele Arbeitsplätze hängen in der Stadt am Auto, nicht nur bei den Händlern und in den Werkstätten, sondern auch in der Industrie. Dazu kommt eine außergewöhnlich autofreundliche Städteplanung mit breiten Straßen und einem Industriegebiet, das nach amerikanischem Vorbild entstanden ist.

Die Automeile existiert nach wie vor und es gibt nahezu kein Auto-Modell, das hier nicht erhältlich ist. Die Straßen sind breit geblieben. Die neu zugelassenen Autos der Deutschen haben mittlerweile weitaus mehr PS als zu DTM-Zeiten: 166 PS sind es 2020 bislang durchschnittlich, 1991 hatte ein Golf GTI gerade einmal 115 PS!

Auf der anderen Seite: Die Stadt ist mit dem Maskottchen Konrad auf dem Weg zur Fahrradstadt, ein Relaunch der DTM ist politisch undenkbar, das Thema Nachhaltigkeit kommt unweigerlich, auch wenn einen die PS-Zahlen-Entwicklung (siehe oben) der Durchschnittsfahrzeuge an der Ernsthaftigkeit zweifeln lassen.

Seit ein paar Jahren haben nun die Freunde von individualisierten, getunten Fahrzeugen die Stadt am Hohentwiel für sich entdeckt und erhitzen damit die Gemüter. Und da lohnt es sich, differenziert hinzuschauen, wie so oft: Die einen treffen sich, um sich eben zu treffen, ihre Autos anzuschauen, Freunde zu treffen, ihr Hobby zu pflegen. Die anderen zeigen nicht nur ihr Auto, sondern auch ihr Gaspedal und ihre dezibelstarken Auspuffanlagen. Und die Letzteren sorgen seit Jahren für nächtliche Ruhestörungen und auf den Autobahnen für Verkehrsgefährdungen.

Hinzu kommt, dass sich die Freunde getunter Autos dort treffen, wo auch Otto Normalverbraucher unterwegs ist und das nicht ohne Zielkonflikte passiert: Sie Gemüter erhitzen sich, Polizei und Stadtverwaltung suchen nach ordnungspolitischen Lösungen.

Wir haben im Internet getitelt: »Tankstelle wird zur Partyzone«. Daran haben sich die Gemüter mancher Freunde getunter Autos erhitzt und so durften wir das eine oder andere Schimpfwort über uns lesen. Das Wort »Party« gefiel den Leuten nicht, vielleicht, so vermuten wir, weil »Party« seit den Stuttgarter Randalen irgendeinen gewalttätigen Beigeschmack hat, dabei heißt das Wort nur »zwangloses Fest«. Feste gehen auch ohne Alkohol und Randale, meinen wir.

Womit wir mitten im Thema sind: Worte werden mit immer skurrileren und bemüht politisch
korrekten Formulierungen immer mehr zu stigmatisierenden Schubladen, in denen sich dann keiner wiederfinden will: Partyszene stand einmal für die Freunde gepflegten Ausgangs, eine eigene Kultur, manchmal auch Subkultur. Seit den Stuttgarter Randalen fühlt sich das Wort irgendwie anders an.

Und nun? Wir werden uns, mit dieser Ausgabe
beginnend, dem Thema differenziert nähern und glauben, dass es wichtig ist, eben möglichst keine Schubladen aufzumachen, sondern Wege zu finden. Vielleicht sind Singens bewusst gemachte Autovergangenheit und das Verantwortungsgefühl der gemäßigteren Freunde getunter Autos der
Anfang von etwas Neuem.
Gespannt, wie es weitergeht

Carmen Frese-Kroll, Verlegerin
Anatol Hennig, Verlagsleiter
Oliver Fiedler, Chefredakteur

Autor:

Redaktion aus Singen

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