Bewegendes Gedenken an Familie Winter
Das Geschehene kann man nicht wieder gut machen – aber daran erinnern

Beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Singen: der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti in Deutschland, Romani Rose, mit OB Bernd Häusler und den Angehörigen der heutigen Familien Winter und Lehmann. | Foto: Fiedler
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  • Beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Singen: der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti in Deutschland, Romani Rose, mit OB Bernd Häusler und den Angehörigen der heutigen Familien Winter und Lehmann.
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Singen. Am Abend des 23. März 1943 wurde die Singener Sinti-Familie Winter am Tannenberg verhaftet, am darauffolgenden 24. März, also vor genau 80 Jahren, wurden die zehn verhafteten Personen in Viehwaggons eines Zugs gesteckt, der von Radolfzell direkt ins Vernichtungslager Auschwitz fuhr. Drei Personen überlebten diesen Akt des Holocaust. Zusammen mit den Nachfahren wurde zum 80. Jahrestag in der Aula des Singener Hegau-Gymnasiums dieser grauenhaften Zeit und der vielen Opfer gedacht. Dazu war sogar der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti in Deutschland, Romani Rose, nach Singen gekommen, der sich am Schluss des Gedenkens zusammen mit den Nachfahren der Überlebenden ins Goldene Buch der Stadt eintrug.

Planmäßige Vernichtung

Rose erinnerte in seiner Rede an die planmäßige Vernichtung der Sinti, die von den Nazis als »Fremdrasse« definiert wurden in den Rassegesetzen. 500.000 Sinti starben in der Zeit der Naziherrschaft für die »endgültige Lösung des Zigeunerproblems«, doch ihr Leid habe eben nicht dem Ende des Weltkriegs aufgehört, mahnte Rose in seiner Rede an die Besucher der Gedenkveranstaltung. Sein Volk habe die Erfahrung absoluter Rechtlosigkeit nach 700 Jahren Geschichte in Deutschland gemacht und das sei in der Nachkriegszeit verdrängt worden, die Behörden hätten ihre antizionistischen Muster fortgesetzt und oft seien auch die Täter von davor noch im Amt gewesen. Erst 1982 seien die Völkermorde an den Sinti und Roma anerkannt worden, die Familie Winter habe bis 1987 auf Entschädigungen warten müssen und diese sollten gar noch mit vorigen Unterstützungen der Familie durch das Singener Sozialamt verrechnet werden. Und erst seit 1997 sei man überhaupt erst als Minderheit in Deutschland anerkannt. Seine Rede sei keine Schuldübertragung an die nachfolgenden Generationen, unterstrich Rose. »Das Geschehene kann man nicht wiedergutmachen, aber man muss daran erinnern.«

Der Krieg hörte nie auf

Der Singener Historiker Axel Huber hatte viele Jahre über das Schicksal der Familie Winter geforscht und die Nachfahren der heutigen Familie Lehmann aufgespürt. Er erzählte die ganze Geschichte der Familien Winter/Lehmann, deren Leid schon viel früher begann und die ausgegrenzt wurden. Schon 1936 sei ihnen das Recht aberkannt worden, zu wählen bei der Reichtstagswahl. Das in Absprache mit den Landeskriminalamt. Bei Streitigkeiten mit den Sozialbehörden sei gleich mit dem "Arbeitshaus Dachau" gedroht worden. Vor der entscheidenden Nacht sei Tochter Bertha noch nach Colmar geflohen, ihre Tochter überlebte das Kriegsende in Bayern unter falschem Namen. Der Rest der Familie wollte aber die 71-Jährige, fast erblindete Josefine Köhler nicht alleine lassen. Familienoberhaupt Johann Ferdinand Winter hatte übrigens am 23. März Geburtstag, ebenso seine Schwiegertochter Luise.  Zehn Personen der Familie wurden am Tag darauf in einen Zug nach Ausschwitz gesteckt, der vier Tage unterwegs war. Dort wurden sie ihres Namens beraubt, der durch eine tätowierte Zahl ersetzt wurde. Sie fing mit Z an, im damaligen Jargon der Nazis. Die Mitarbeiter im Rathaus hätten die Familie ganz ordentlich abgemeldet, mit dem neuen "Wohnort" Auschwitz. Sieben Familienmitglieder, auch die Kinder, überlebten den Aufenthalt nicht, und wegen des Todesdatums tricksten die Behörden nach dem Krieg, um weniger zahlen zu müssen. Für die Überlebenden sei der Krieg nie zu Ende gegangen, so Huber.
Huber hatte zu dem Thema bereits einen Beitrag im aktuellen Singener Jahrbuch verfasst. Der Jahrestag wurde indes auch medial gut vorbereitet. Aktuell sind viele blaue Plakate zur Erinnerung in den Singener Stadtraum platziert worden. Zur Erinnerung an einen finsteren Tag der Stadtgeschichte.

Anton Winters Geige

Einen besonderen Rahmen bekam das Gedenken durch den Auftritt von Leah und Vernoque Simons-Less von der Höri, die mehrere Stücke auf einer Geige von Anton Winter spielten, die der durchaus gefragte Musiker für die Familie bei seinen Besuchen auch gut pflegte. Wenn man ihn brauchte, so habe man in einer Werkstatt in der Nachbarschaft anrufen müssen, da er zeitlebens kein Telefon hatte. Erst im Nachhinein sei ihr klar geworden, weshalb.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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