Gerd Zahner schrieb „Comic“ über Wilhelms Schicksal
Der Kaiser auf seinem Weg nach Singen

Das ist kein Theaterstück wie jedes andere: Gerd Zahner nähert sich in „Wilhelm und die animalischen Bäder“ dem letzten deutschen Kaiser auf geradezu intimer Weise. Er nennt es „ein Comic“, skurril bis bitterböse, hintergründig und voller Abgründe – ein Stück Abrechnung mit dem wilhelminischen Zeitalter. Zahners Zugang zum Thema überrascht einmal mehr: Er gewichtet anders und findet andere Bilder. Das überrascht vor allem, wenn man das Thema selbst schon einmal bearbeitet hat, denn Zahner kommt dem Kern näher, recherchiert geradezu gnadenlos.

Rückblick ins Jahr 2004: Beim Singener Stadtfest wurde im Alemannischen Dorf mein dafür geschriebenes Stück „Der Kaiser kommt“ mit den Schauspielern des „Färbe“-Ensembles aufgeführt. Singen feierte sein Eisenbahn-Fest, und da war naheliegend, sich an das Jahr 2008 zu erinnern, als der Kaiser den Hohentwiel erklommen und das damalige Festspielhaus besucht hat. Das „Warum“ führte zu Reinhild Kappes ins Stadtarchiv und brachte wundersame Dinge an den Tag. Mein „naives“ Wilhelm-Bild wurde massiv erschüttert. Der Kaiser hatte in Donaueschingen beim Fürst gefeiert, getafelt und gesoffen. Es muss wild zugegangen sein, als sein General plötzlich bekleidet mit einem weißen Ballettröckchen (Tütü) verstarb. Ein Menetekel erschien an der Wand des Schlosses und erschreckte den Kaiser, der sich einen Marsch auf den Hohentwiel als Buße auferlegte. Deshalb kam Wilhelm II nach Singen. Ich gab mich mit dem Stand der Information zufrieden, wollte nicht etwa in die homoerotische Diskussion einlassen. Vor allem nicht beim Singener Stadtfest.

Doch genau da macht Gerd Zahner weiter. Er trifft einen Menschen voller Ängste an, überfordert von der Thronfolge und der preußischen Geschichte schlechthin. Seine Schwäche war vor hundert Jahren mit ursächlich für die Auslösung des Ersten Weltkrieges. Auch deshalb passt das Stück für dieses Jahr, denn Zahner legt seinen Finger an den Puls des Zeitgeistes.

Die erste Szene ist grotesk: Der Kaiser steht in einem leeren Raum an dem Leichnam des eilig aufgebahrten Generals, der noch das Tütü trägt. Ein recht unbedarfter Küchenjunge wurde ausgewählt, den toten General standesgemäß zu bekleiden. Warum gerade er? Der Kaiser hat seine eigene Erklärung: da lerne man, den Tieren das Fell abzuziehen! Der Dialog zwischen Kaiser und Küchenbolzen ist grandios, zumal sich die Seele des Kaisers in der infantilen Psyche des Knaben spiegelt. Dieser kann sich nicht vorstellen, dass dieser General im Ballettröckchen getanzt haben soll. Und das in einer reinen Männergesellschaft. Der Junge sprich Wilhelm an mit „Herr Kaiser“, weil man ja auch „Herrgott“ sage!? Die Herkunft des Buben aus Blumenfeld wird reflektiert. Und der Kaiser findet den 16Jährigen „hübscher“ als den toten General. Der antwortet voller Unwissenheit: „Ein Junge kann nicht hübsch sein!“. Und er findet sich auch nicht „komisch“ sondern gegenüber dem Kaiser höchstens „dumm“. Aber darin liegt der Reiz der Szene: Der Küchenjunge sichert Stillschweigen fast zum Nulltarif. Warum ist er eine Art Philosoph? Der Kaiser charakterisiert in so: „Einer der Tote wäscht und dann das Wasser trinkt!“

Der Dialog wird immer enger: Der Junge entdeckt die Handbehinderung des Kaisers. Und der Kaiser gesteht, dass beide die kindliche Liebe zu Hasen verbindet. Und dann kippt die Geschichte: In warm geschlachtete Hasenleiber steckte man den toten linken Arm des Kaisers, damit er neues Leben gewönne. Das waren dann die „animalischen Bäder“. Sie reflektieren ihre erlebte Schulbildung, das Verhältnis zur Mutter. Und nebenher wird aus dem Mann im Tütü - richtig angekleidet - ein „ganz normaler toter General“. Dann sieht er aus, als hätte er nie getanzt. Trauer und Tränen: Der Kaiser reflektiert seine eigene Überforderung und hält in der zweiten Szene einen tiefgehenden Monolog: „Erhebe dich, mein General. Wir gewinnen diese Schlacht. Wie alles. Meine Wahrheit ist stärker als dein Tod!“

Der „Klauenwilhelm“ reflektiert seine Sicht der Welt: „Ich fiel über Deutschland!“ Nachts denke er an Deutschland und liebe es wie seinen toten Arm. Mit der Lüge der Fotografie beginne das neue Jahrhundert und seine linke Hand „ist“ dieses Jahrhundert! Mit dieser könne er nichts festhalten, wobei er doch nach Europa greife. Und was machte er in Donaueschingen? Hier feierte der Kaiser einen Zeppelin-Aufstieg. Und reflektiert: „Nie war ich Helium, leicht wie ein Zeppelin!“ Zum Toten sagt er: „ Kann ich dich heilen? Kann ich mich heilen? An einem Ereignis, das alles übersteigt, einen Toten zurückholen, oder Millionen in den Tod zu schicken.“ Und weiter: „Ihr vernichtet mich, ich euch!“ – „Ich spiele einen Kaiser, ich bin es nicht, ich bin nichts oder mehr . . .“ Zahner macht ihn einen Augenblick lang zu einem „protestantischen Gott“ und schließt den zweiten Akt:“ Ein kluger, gesunder, schöner Mensch kann ich nicht werden, ein Gott schon. Wir werden dafür die alten Götter töten müssen, na und.“

Mit einer Offiziers-Orgie nach dem gelungen Zeppelin-Flug endet das Stück im dritten Akt. Sie tauchen in neue Rollen ein, manches wird zur Apokalypse mit einem Hauch von „Faust II“. Der Kaiser sagt: „Ich male, ich dichte, ich komponiere“. Und Deutschland werde im neuen Jahrhundert nur von Malern dieser Qualität regiert werden! Und dann endet alles in einem wilden Tanz, der tödlich endet. Der Zeppelin erhebt sich in die Lüfte, und der Kaiser fragt Graf Zeppelin vieldeutig: „Wie weit wird so ein Zeppelin fliegen können. Wenn er erwachsen ist.“

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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