Kritische Worte auf dem Jahresempfang
Unnützes über Bord werfen, um das sinkende Schiff "Staat" zu retten

Kritische Worte gab es beim Jahresempfang der Gemeinde Gottmadingen von Bürgermeister Dr. Michael Klinger. | Foto: Ute Mucha
17Bilder
  • Kritische Worte gab es beim Jahresempfang der Gemeinde Gottmadingen von Bürgermeister Dr. Michael Klinger.
  • Foto: Ute Mucha
  • hochgeladen von Ute Mucha

Gottmadingen. „Die Sorge um unser Land“ treibt ihn um. Diese Sorge machte Bürgermeister Dr. Michael Klinger auf dem 10. Jahresempfang der Gemeinde in der voll besetzten Aula der Eichendorff-Realschule mit ungewohnt kritischen und leidenschaftlichen Worten deutlich. Statt wie üblich die Erfolge des letzten Jahres wohlwollend zu beleuchten, zeigte er unmissverständlich auf, wo es überall harzt und knirscht, mahnte aber auch das weit verbreitete Anspruchsdenken an.

"Was ist in und von unserem Staat noch leistbar?", fragte Klinger und lieferte die Antwort gleich nach. „Ich habe den Eindruck, dass ungelöste gesellschaftliche Probleme auf die kommunale Ebene abgewälzt werden“, fasste der Bürgermeister zusammen. Als Beispiel zeigte er den Hausarztmangel auf, von dem auch Gottmadingen betroffen ist. Eine grundsätzliche Lösung dieses Problems durch mehr Studienplätze oder andere Anreize, liege nicht in seiner Hand, doch den daraus entstehen Nöten der Bürger könne er nicht ausweichen, so Klinger. Um die Situation zu verbessern, ist beabsichtigt, gemeinsam mit Gailingen ein medizinisches Versorgungszentrum zu gründen.

Fachkräfte fehlen

Auch der Fachkräftemangel macht den Kommunen schwer zu schaffen. Neben zahlreichen unbesetzten Stellen in der Verwaltung gilt dies besonders für die Kinderbetreuung. Nur mit vereinter Anstrengung schaffe man es, die benötigten Erzieherinnen zu finden, doch nun beschieße die Landesregierung auch noch einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter, der vor Ort umgesetzt werden muss. „Mit pädagogischen Fachkräften, die wir im Kindergarten eh schon nicht haben“. Klinger hofft, dass „die Gemeinde mit der kommunalen „Spielraum gGmbH“ zukunftsfähig für unsere Kinder aufgestellt ist“.
Trotz des Personalmangels in vielen Bereiche ist die Projektliste der Gemeinde noch „proppenvoll“. Doch die laufenden Vorhaben wie die beiden neuen Kindergartengruppen der AWO, der Waldkindergarten im Katzental, der Glasfaserausbau, der Hallenanbau in Randegg, die Wohnquartiersentwicklung am alten Schulstandort, zwei neue Wohnhäuser, die Sanierung der Kreisstraße mit dem Ausbau des Wärmenetzes in Ebringen, Solaranlagen auf kommunalen Dächern sowie Freiland-Photovoltaik-Projekte seien zwar in der Umsetzung, aber „vieles davon gerade noch mit letzter Kraft“.

Ehrliche Debatte

Angesichts dieser Überbelastung der kommunalen Ebene fordert der Rathauschef eine „ehrliche Debatte darüber, was dieser Staat eigentlich zu leisten imstande ist“. Dies gilt insbesondere für die Unterbringung Geflüchteter. „Auch Gottmadingen wird nicht jedes Jahr ein neues Haus bauen können“, betonte Michael Klinger. Finanziell nicht und auch als Verwaltung nicht, um in diesem Takt die Menschen unterzubringen, geschweige denn sinnvoll zu integrieren. Seine persönliche Befürchtung: „Wer zu weit links träumt, der wird am Ende der Debatte ganz hart in der politischen Realität der nächsten Wahlen aufwachen“.

Überbordende Bürokratie

Eine weitere Sorge Klingers ist die überbordende Bürokratie, die teilweise absurde Blüten treibt. So braucht es 14 Seiten, um die umsatzsteuerliche Behandlung von Kuchenverkäufen im Rahmen von Schulaktivitäten zu beleuchten. Oder die Dokumentationspflicht bei der Förderung des Glasfaserausbaus. Für das finanziell gut ausgestattete Programm muss jeder Hausanschluss bebildert nachgewiesen und beim Förderbescheid müssen 87 Seiten Nebenbestimmungen beachtet werden. Klingers Fazit angesichts dieses Bürokratiewulstes: „Wir sind die Titanic, nur dass unser Eisberg die Vorschriften sind. Der Kahn ist längst überbordend voll damit und fast am Sinken, aber das Orchester der Bürokratie fiedelt an Deck fröhlich weiter“.

Geschwächte Leistungskraft

Als dritten Schwachpunkt sieht der Bürgermeister den schwindenden Leistungswillen in der Gesellschaft, der das Land in seiner Wirtschaftskraft und Entwicklung schwächt. Wuchs früher aus der Summe der persönlichen Ziele eine leistungsstarke Gesellschaft, so möchte die jüngere Generation frei entscheiden, wie viel sie für eine stimmige Work-Life-Balance arbeiten möchte. Dies sei ein Fakt, der durchaus berechtigt sei, so Klinger. „Doch wenn wir die Leistungskraft erhalten wollen, müssen wir auch darüber reden, dass wir in die Hände spucken müssen, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen oder uns bewusst sein, dass wir Wohlstandsverluste in Kauf nehmen müssen“.
Bei aller Sorge, dass „wir dabei sind, den Staat durch Versprechungspolitik auf der einen Seite und überbordende Forderungen der Bürgerschaft auf der anderen Seite an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu führen", sieht Michael Klinger eine Chance darin, unnötige Dinge und solche, die die Gesellschaft nicht weiter bringen, auszusortieren und über Bord zu werfen. Denn: „Der Staat, der das alles leisten und bezahlen soll, das ist jeder Einzelne“.

Autor:

Ute Mucha aus Moos

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

3 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.