Pfarrer Heinz Vogel im Interview über die ersten 100 Tage am Bodensee
Dank Bauchgefühl am richtigen Ort gelandet

Münsterpfarrer | Foto: Zu den Lieblingsplätzen von Heinz Vogel gehört der Münsterturm, von wo aus er den Blick über die Stadt und den See genießen kann. swb-Bild: dh
  • Münsterpfarrer
  • Foto: Zu den Lieblingsplätzen von Heinz Vogel gehört der Münsterturm, von wo aus er den Blick über die Stadt und den See genießen kann. swb-Bild: dh
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Radolfzell (dh). Seit 100 Tagen ist Heinz Vogel offiziell Pfarrer der Seelsorgeeinheit St. Radolt. Ein guter Zeitpunkt um eine erste Bilanz zu ziehen. Im Gespräch mit dem Wochenblatt erzählt Heinz Vogel, wie er die erste Zeit am Bodensee erlebt hat und was ihm als Pfarrer von Radolfzell besonders am Herzen liegt.

WOCHENBLATT: Haben Sie sich gut eingelebt in Radolfzell?

Heinz Vogel: Ja, ich wohne ja schon seit Anfang Januar hier im Pfarrhaus, die Investitur war erst am 13. Januar, von daher hatte ich auch Zeit, den Umzug noch in Ruhe über die Bühne zu bringen, bevor ich ganz offiziell die Verantwortung für die Gemeinde übernehmen musste. Es war die richtige Zeit einzusteigen. Besser als zum Schuljahresbeginn, denn da merkt man, die Hektik geht wieder los. Am Jahresanfang ist alles noch ruhiger, die Leute waren schon auf Fastnacht gebürstet und so hatte ich in der närrischen Zeit, Gelegenheit, alle in Ruhe kennenzulernen. Da lernt man die Leute auch ganz anders kennen, als wenn alle im Stress sind.

WOCHENBLATT: Da sind wir ja schon bei der Radolfzeller Gretchenfrage, die lautet »Wie hältst du’s mit der Fastnacht?«. Sind Sie närrisch?

Heinz Vogel (grinst): Ja, das war für mich auch ein Punkt für meine Entscheidung hier her zu kommen, der nicht zu unterschätzen ist. Ich habe zum Beispiel gewusst, die Radolfzeller kleppern, wie die Waldkircher auch, und Fastnacht ist etwas, was hier in die Kulturlandschaft gehört. Mir war überhaupt wichtig, in eine Stadt zu kommen, in der es ein ausgeprägtes kulturelles Leben gibt und engagierte Bürgerinnen und Bürger. Das habe ich schon in Waldkirch erlebt und geschätzt, und freue mich, dass es hier auch der Fall ist.

WOCHENBLATT: An Fastnacht wurde von den Narren öfter angemerkt, dass sie rein körperlich eigentlich nicht das Format für einen Radolfzeller Münsterpfarrer haben. Sind sie am Trainieren, um das zu ändern oder haben sie eher keine Ambitionen dieses Klischee zu erfüllen?

Heinz Vogel: Sie meinen, trainieren um fülliger zu werden? (lacht) Nein, eigentlich bin ich eher froh, dass ich die Fülle weg hab. Ich wohne hier ja quasi im dritten Stock und das muss man ja dann jedes Mal alles mit nach oben schleppen. Von daher ist es mir mit weniger Körperfülle wohler, aber man weiß ja nie, was passiert.

WOCHENBLATT: Wie war denn grundsätzlich ihr erster Eindruck von Radolfzell und hat sich dieser bestätigt in den ersten 100 Tagen?

Heinz Vogel (nachdenklich): Freunde haben mir immer wieder Gesagt »Was willst du denn nach Radolfzell an den See? Da ist doch die ganze Zeit nur Nebel für ein halbes Jahr!« Ich habe dann immer gesagt, dass ich mit Grautönen gut leben kann, aber dieses Klischee hat sich für mich dann trotzdem nicht bestätigt, allerdings war ich im Oktober/November/Dezember noch nicht hier, also neblige Phasen habe ich hier jetzt nicht so wirklich erlebt. Zumindest war es nicht anders als in Waldkirch. Ansonsten habe ich mir vorher aber keine großen Vorstellungen gemacht, wie es sein wird. Ich kann auch nicht sagen woher der Impuls kam, hier her zu kommen. Der Kopf hat zuerst gesagt nein, der Bauch hat gesagt bewirb dich, und ich bin dem Bauch gefolgt.

WOCHENBLATT: Ist so ein Umzug an einen neuen Ort als Priester besonders schwierig, weil man allein an einen neuen Ort kommt und keine Familie hat, die einen begleitet?

Heinz Vogel: Immer wenn man gewohntes, und ein gutes Netzwerk von Beziehungen verlässt, tut das natürlich auch weh. Und das habe ich ja gemacht. Und das merke ich schon. Es gibt einfach Augenblicke, wo ich gewisse Menschen vermisse. Ich wachse ja hier erst hinein. Aber Ich habe ja trotzdem eine Familie. Mein Bruder und seine Familie leben in Sinzheim, wo ich herkomme, in unserem Elternhaus. Mit denen habe ich natürlich auch letztes Jahr als erstes darüber gesprochen, dass ich darüber nachdenke nach Radolfzell zu wechseln. Das ist schließlich ja doch noch mal ein gutes Stück weiter weg. Und ich habe sie gefragt, wie ist das für euch? Dann haben sie gesagt, egal wohin du gehst, wir kommen überall hin! Und dann habe ich es weiter verfolgt.

WOCHENBLATT: Nachdem Sie sich mittlerweile in Radolfzell einleben konnten und die Verhältnisse kennen, gibt es irgendwelche Projekte, die Sie unbedingt anpacken wollen, sehen Sie irgendwo besonderen Handlungsbedarf?

Heinz Vogel: Man muss natürlich sehen, dass ich jetzt in einer anderen Zeit einsteige als beispielsweise Michael Hauser oder Pfarrer Maurer. Insofern sehe ich meine Aufgabe vor allem darin gut zuzuhören und miteinander zu überlegen, was es heißt heute hier Kirche zu sein und in der Verantwortung für das Evangelium Zeugnis abzulegen. Manche Dinge schreibt uns auch die Zeit vor. Was mich sehr belastet ist zum Beispiel die Zahl der Kirchenaustritte und die Situation unserer Kirche allgemein, wo man Merkt, das Leitung nicht ehrlich umgegangen ist mit dem Scheitern von Menschen und mit den tiefen Abgründen. Ich verstehe nicht, dass wir, die wir so eine beeindruckende Botschaft haben, es nicht verstehen, da wo wir schuldig werden, offen und ehrlich damit umzugehen. Das ist eine Katastrophe. Um hier eine Reform auf die Beine zu stellen bräuchte es eigentlich genau die Menschen, die sagen »ich will nicht mehr Teil dieser Kirche sein.« Wie man das bewerkstelligen könnte, dafür habe ich allerdings keine Patentlösung. Gleichzeitig frisst der Alltag natürlich viel Zeit auf. Aber Depression ist nicht angesagt! Die Frage ist, wie gehen wir mutig dran und können bei verschiedenen Dingen sagen, das war mal für eine Zeit lang gut und nötig aber heute nicht mehr. Was ist jetzt dran? Da spüre ich aber auch, dass es in Gemeinden häufig eine gewisse Trägheit gibt, weil es eben schon immer so war. Ich stelle mir die Frage: wie finden wir einfach einen entspannten Blick auf das Ganze, so dass wir auch bei manchen Dingen sagen können, » das können wir verabschieden, wir haben was erreicht, das nächste steht an.«

WOCHENBLATT: Letzte Frage: Haben Sie (schon) einen Lieblingsplatz in Radolfzell?

Heinz Vogel (lächelt): Nee, immer wenn ich irgendwo bin, denke ich: Das ist es jetzt. Neulich war ich auf einem Rundweg bei Markelfingen unterwegs und es war ein wunderschöner Abend, der Sonnenuntergang über dem Hegau war ein Gedicht. Dann bin ich aber auch sehr gern oben auf dem Münsterturm. Es ist so schön, da oben den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Davon abgesehen ist in der jüdischen Tradition auch Gott als Ort »HaMakom« kennzeichnend. Das halte ich auch für sehr interessant. Gerade in einem Moment wo glaubende Menschen erfahren haben, es ist ihnen alles genommen, und sie sind zerstreut in alle Richtungen wurde Gott als Ort wichtig. Also von daher ist der Lieblingsort mitziehend. (lacht).

Das Interview führte Dominique Hahn

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.