Entsetzen und Überraschung nach der Abschottungs-Abstimmung in der Schweiz
Abstimmung: »Es gibt einen kompletten Systemwechsel«

Hegau/Höri (of/stm/mu/gü). Kaum eine Abstimmung in der Schweiz hat jemals für ein solch europaweites Echo gesorgt, wie das schweizweit knappe, in der Grenzregion aber deutliche Ja zu »Masseneinwanderung stoppen« (siehe Bericht vom Sonntag). Inzwischen gibt es viele Stimmen aus der Region zu der Frage, wie das nachbarliche Leben »danach« nun weiter gehen könnte, aber auch viele Fragen dazu.

Helmut Groß, Bürgermeister Tengen: »Die Volksentscheidung unserer Nachbarn in der Schweiz kann negative Auswirkungen für das Arbeitsplatzangebot für unsere Einwohner mit sich bringen. Auch unsere Handwerker, die grenzüberschreitende Aufträge bekommen, sind betroffen. Tengen hat langsam Probleme mit dieser Grenze – kein Einzugsgebiet für eine Gesamtschule, dafür Wartezone für Flugzeuge, die in Zürich landen müssen. Vielleicht ist dies für manchen Betrieb ein Anreiz, Arbeitsplätze aus der Schweiz nach Tengen zu verlagern.

Dr. Michael Klinger, Bürgermeister Gottmadingen: »Ich persönlich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht, respektiere aber den Mehrheitsentscheid des Schweizer Volkes. Das Abstimmungsergebnis darf nicht mit heißer Nadel gestrickt sondern mit Bedacht angegangen werden. Neben vielen weiteren Themen ist damit noch ein weiteres, belastendes Thema hinzu gekommen. Die Zuwanders-Quoteneinführung halte ich in einem offenen Europa als fragwürdig.

Philippe Brühlmann, Gemeindepräsident in Thayngen und Mitglied der SVP zeigte sich in Nachhinein sehr überrascht: Ich habe am Sonntag sehr darüber gestaunt, wie das in Deutschland und der Nachbarschaft aufgenommen wird. Wir haben aber eigentlich nicht die Deutschen speziell damit gemeint, wie das nun verstanden wird. Als Signal gegen die Deutschen solle man das auch nicht verstehen. Gleichwohl steht für Brühlmann das Ergebnis als Volkswille. »Es wird in den nächsten Jahren in Fragen der Zuwanderung und für Grenzgänger einen kompletten Systemwechsel geben«, ist er sich sicher. Allerdings: »Es wird natürlich nicht alles so heißt gegessen wie gekocht.« Jahre würden nun erst mal vergehen, bis neue Vorschläge gegenüber der EU gemacht würden, diese müssten dann erst mal ratifiziert und schließlich auch umgesetzt werden. Im übrigen müsse man die Genehmigung für Arbeitnehmer aus der EU auch jetzt in Zeiten der Freizügigkeit beantragen. Und man werde die Arbeitskräfte aus der Nachbarschaft auch in Zukunft brauchen, auch wenn einst die früheren »Kontingente" wieder kommen sollen.

Andreas Schmid, Bürgermeister von Öhningen: »Zahlreiche Pendler mit einem Arbeitsplatz in der Schweiz sind in der Vergangenheit in Öhningen sesshaft geworden. Aus diesem Grund bewerten wir in der Verwaltung den Beschluss vom Sonntag mit Sorge, vor allem was die Zuzugzahlen junger Familien anbelangt. Allerdings können wir den Beschluss und seine Folgen noch nicht richtig abschätzen – obwohl wir uns natürlich einen anderen Ausgang der Volksbefragung gewünscht hätten. Auch für die Schweiz selbst kann der Entscheid weitreichende Folgen haben gerade was die weiteren bilateralen Abkommen anbelangt.«

Martin Salvisberg, Stadtammann der Radolfzeller Partnergemeinde Amriswil: »Die Schweiz hat gewählt und dieses Ergebnis gilt es jetzt als Demokrat zu akzeptieren. Dennoch bin ich vom Wahlausgang überrascht. Auch in Amriswil viel das Ergebnis mit 60:40 pro dem Volksentscheid deutlich aus. Gerade in stadtnahen Gebieten haben wir in Amriswil beispielsweise einen Ausländeranteil von 50 Prozent an Schulen. Hier machen sich Eltern verstärkt Sorgen. Ich persönlich bin trotz meiner Zugehörigkeit zur SVP kein Freund von solchen Initiativen.«

Heinz Brennenstuhl, Bürgermeister Gailingen am Hochrhein: »Sehr verwundert hat mich das Ergebnis nicht. Auch wenn es in die verkehrte Richtung gegangen ist. Doch ich glaube nicht, dass jetzt von heute auf morgen die Welt einstürzt. Für uns wird es nicht so hart. Den jetzigen Grenzgänger wird nichts passieren, denn ohne die ausländischen Arbeitskräfte würde das ganze System in der Schweiz zusammen brechen. Vielleicht können die grenznahen Kommunen noch profitieren, wenn die Grenzgänger nicht in der Schweiz siedeln können. Dies könnte den Zuzug zu uns verstärken. Trotz der Konflikte um Fluglärm und Atomendlager funktioniert bei uns der kleine Grenzverkehr zu Diessenhofen gut. Aber im Großen gesehen sieht eine Gemeinschaft anders aus. Gemeinschaft heißt miteinander. Gemeinschaft heißt, dass der Stärkere dem Schwächeren hilft. Und es ist schlecht, wenn ein Land wie die Schweiz sich mitten in Europa isoliert«.

Markus Möll, Bürgermeister von Büsingen: »Mit der Annahme der SVP –Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ steht die Politik in Brüssel und Bern vor großen Herausforderungen.Als Bürgermeister von Büsingen, als deutscher Exklave in der Schweiz, gehe ich nicht davon aus, dass sich die Beziehung zu den Schweizer Nachbar sich ändern wird. Vieles wird jetzt davon abhängen, wie sich die Verhandlungen zwischen der EU und Bern entwickeln werden.

Hans-Peter Storz, aktueller Vorsitzender der Sozialistischen Bodensee-Internationale erklärte: Der Zusammenschluss der Sozialdemokraten aus den Bodensee-Anrainern, die Sozialistische Bodensee-Internationale (SBI) bedauert das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung über eine Begrenzung der Zuwanderung. Der amtierende Präsident der SBI, der Singener Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz sagte: „Die Menschen und die Wirtschaft im Bodenseeraum profitieren davon, dass die Grenzen durchlässiger geworden sind.“ Eine „Abschottung der Schweiz“ brächte vor allem für die grenznahen Regionen am Bodensee und am Hochrhein gravierende Nachteile mit sich. „Wir Sozialdemokraten rund um den See arbeiten daher daran, dass die Zusammenarbeit im Bodensee-Raum durch das Votum der Schweizer Wähler keinen Schaden nimmt,“ erklärte Storz, der die Europapolitiker vor „verbalen Vergeltungsaktionen“ gegenüber der Schweiz warnte. „Wir Sozialdemokraten rund um den See haben Verständnis für die Sorge der Menschen.“ Das Problem sei nicht die Zuwanderung, sondern eine Wirtschaftspolitik, die Löhne und Sozialstandards senken will und eine Wohnungspolitik, die sich nicht um bezahlbare Miete für Normalverdiener kümmere, sagte Storz. Dies gelte nicht nur für die Schweiz, sondern genau so für Deutschland und Österreich. „Offene Grenzen sind eine Chance für Kultur und Wirtschaft. Dafür treten wir weiter ein.“

Bernd Häusler, Oberbürgermeister von Singen erklärte: „Die basisdemokratische Entscheidung der Schweizer ist zu respektieren. Ich bedaure aber, dass die in den letzten Jahren gewachsene Freizügigkeit zwischen unseren Ländern nun limitiert werden soll. Ich kenne noch die Zeiten, als die Grenzen zwischen der Schweiz und Deutschland sehr statisch waren, das möchte ich nicht mehr haben. Wir als Stadt Singen werden alles dafür tun, dass unser freundschaftliches Verhältnis zwischen Kanton und Stadt Schaffhausen weiterhin mit Leben erfüllt bleibt.“

Ralf Baumert, Bürgermeister in Rielasingen-Worblingen: „Das Ergebnis war ein Schlag ins Gesicht, wenn man sieht wie wir eigentlich immer versuchen, Partnerschaften zu pflegen und eben Brücken über die Grenzen zu schlagen. Ich bin gespannt, was die Schweizer Regierung draus macht, denn vieles wäre ein Rückschritt.«

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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