WOCHENBLATT-Interview mit Bürgermeister Marian Schreier
Es ist schon fünf nach zwölf

WOCHENBLATT-Interview mit Bürgermeister Marian Schreier | Foto: Bürgermeister Marian Schreier auf dem Platz neben dem Tengener Rathaus, wo das Ärztehaus entstehen soll. swb-Bild: ver
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Tengen. Der Tengener Schultes zieht nach seinem Bergtest Bilanz über die Entwicklung und Herausforderungen, die die Stadt zu bewältigen hat.

WOCHENBLATT: Etwas mehr als die Hälfte Ihrer ersten Amtszeit ist vorüber. Wie fällt Ihr bisheriges Fazit aus?

Marian Schreier: Es macht mir immer noch große Freude und war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, mich um das Bürgermeisteramt zu bewerben. Ich bin 2015 insbesondere für drei Dinge angetreten und gewählt worden: Erstens die Entwicklung eines Leitbilds Stadt Tengen 2030. Zweitens eine Verwaltung auf Augenhöhe. Das heißt einerseits die Bürgerschaft in alle großen Entwicklungsprojekte einzubinden sowie andererseits mit dem technischen Fortschritt Schritt zu halten. Und drittens solide Finanzen was insbesondere die finanzielle Belastung durch die Pflegeheime Schloss Blumenfeld adressierte. Wenn ich zurückblicke, dann hat sich die Stadt Tengen in diesen Bereichen durch gemeinsame Anstrengung von Verwaltung, Gemeinderat und Bürgerschaft positiv entwickelt: Von der finanziellen Belastung durch das Pflegeheim zu vier ausgeglichenen Haushalten. Von den begrenzten Möglichkeiten des ländlichen Raums zur Modellkommune Open Government. Von einer engagierten Bürgerschaft zum Leitbild Stadt Tengen 2030 und systematischer Bürgerbeteiligung.

WOCHENBLATT: Gab es Dinge, die nicht so gelaufen sind, wie Sie es sich gewünscht hätten?

Schreier: Es gehört mit dazu, dass nicht alles so läuft, wie man sich das vorstellt. Wenn ich wieder das Thema Pflegeheim Schloss Blumenfeld aufgreife, war natürlich der Wunsch, das Pflegeheim in irgendeiner Form zu erhalten. Aber es war mir nach dem Amtsantritt relativ schnell klar, dass dies nicht möglich ist – jedenfalls nicht ohne die Handlungsfähigkeit der gesamten Stadt zu gefährden. Deswegen mussten wir die schmerzhafte Entscheidung treffen, das Pflegeheim zu schließen. Vor allen Dingen weil die finanzielle Situation so angespannt war. Aber auch weil das Pflegeheim baulich nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Ab September 2019 gilt die Ein-Bett-Zimmer-Regelung. Diesen baulichen Standard konnte das Pflegeheim nicht erfüllen.

WOCHENBLATT: Dank Fridays for Future ist der Klimawandel verstärkt in den Fokus gerückt. Auch im Hegau ist das ein Thema. Gerade in den Wäldern am Randen ist das klimabedingte Absterben großer Waldbestände auffällig. Was kann und muss die Politik in diesem Bereich noch tun?

Schreier: Das ist ein Thema, das mich schon länger sehr beschäftigt. Einerseits wegen der gesellschaftlichen Diskussion rund um das Klima. Ich finde es beeindruckend, dass es von Seiten junger Menschen spürbaren politischen Druck gibt. Andererseits beschäftigt mich das auch mit Blick auf die Stadt. Wir haben 2018 und 2019 zwei schlimme Jahre im Stadtwald durch sehr hohen Käferbefall erlebt. Ein Großteil unserer Holzernte dieses Jahr ist durch den Borkenkäfer bedingt. Man kann sehr direkt sehen, dass dies eine Folge des Klimawandels ist. Denn wir haben es im Landkreis mit einer messbaren Erwärmung zu tun, was dazu führt, dass die Käferpopulation rasant wächst. Was ich damit sagen will ist, dass dieses abstrakte Thema Klimawandel sehr konkret bei uns vor Ort angekommen ist. Daraus resultiert aus meiner Sicht eine Verantwortung für die Stadt tätig zu werden. Wir haben uns in Tengen relativ früh mit Fragen der Ökologie und des Klimas beschäftigt. Seit 2017 haben wir beispielsweise den Windpark Verenafohren auf unserer Gemarkung, der bislang auch der einzige Windpark im Landkreis ist. Wir haben auch begonnen auf kommunalen Gebäuden Photovoltaikanlagen zu errichten. In der Kernstadt sind alle öffentlichen Gebäude am Nahwärmenetz angeschlossen, sodass auch die Wärmeversorgung aus regenerativen Energien kommt. Schließlich sind wir auch dabei die Straßenbeleuchtung auf LEDs umzustellen. Das haben wir in Talheim und Uttenhofen schon abgeschlossen und werden es sukzessive auch in anderen Teilorten fortsetzen. Insgesamt gilt: Bei der Frage des Klimawandels ist es nicht fünf vor zwölf, sondern eigentlich schon nach zwölf. Daher sind die Städte und Gemeinden aufgefordert zu handeln.

WOCHENBLATT: Sie sind frisch gewählter Kreisrat. Wie wird sich die Arbeit im Kreistag auf Ihre Tätigkeit als Bürgermeister auswirken?

Schreier: Gerade als Bürgermeister einer kleinen Gemeinde ist es wichtig, dass man im Kreistag vertreten ist, weil viele Dinge, die für uns in der Stadt Tengen wichtig sind, im Kreis entschieden werden. Um zwei konkrete Beispiele zu nennen: Erstens ist das der öffentliche Personennahverkehr, die Busverbindungen. Wir sind hier in einer Randlage und sind darauf angewiesen, dass wir ordentliche Busverbindungen haben. Ab dem 01. Januar 2020 wird beispielsweise der gesamte Busverkehr im Landkreis neugeordnet. Das zweite ist das Feld der Gesundheitsversorgung. Ich denke hier an die Kreiskliniken. Für uns ist das vor allem das Klinikum Singen. Das ist auch unser Klinikum und deswegen haben die Menschen hier vor Ort natürlich ein großes Interesse daran, dass es gut aufgestellt ist. Auch darüber entscheidet der Kreistag.

WOCHENBLATT: Die Stadt Tengen hat sich in Sachen Tourismus gut entwickelt. Was steht denn noch auf der Agenda?

Schreier: Der Tourismus hat eine sehr positive Entwicklung genommen. Wir lagen im Jahr 2015 etwa bei 65.000 Übernachtungen und liegen jetzt bei rund 125.000 Übernachtungen. Das ist insbesondere dem Campingplatz zuzuschreiben, der unser großer Treiber im Tourismus ist und inzwischen weit überregional Zuspruch erfährt. Das zeigen auch zahlreiche europaweite Auszeichnungen. Wir haben als Stadt unser Tourismus-Marketing neu aufgestellt. Es gibt ein neues städtisches Logo, eine neue Imagebroschüre und eine Gestaltungsrichtlinie für den städtischen Auftritt. Viel haben wir auch im Bereich der Wanderwege unternommen, zum Beispiel die Ausweisung der Premiumwanderwege. Tourismus ist eine Daueraufgabe: Das betrifft den Unterhalt und die Pflege der Tourismusinfrastruktur, aber auch die Entwicklung neuer Felder, Ich kann mir gut vorstellen, dass man sich zum Beispiel das Thema Radverkehr nochmal intensiver ansieht. Wir merken, dass es für viele Besucher im Hegau auch ein Wunsch ist mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.

WOCHENBLATT: Sie haben es vorhin schon erwähnt: Schloss Blumenfeld. Im Juni fand ein zweiter Workshop zur Zwischennutzung für die Schlossanlage Blumenfeld statt, ein dritter ist in Planung. Können Sie dazu schon Angaben machen?

Schreier: Unser Ziel ist, Schloss Blumenfeld einer neuen dauerhaften Nutzung zuzuführen. Auf dem Weg dorthin wollen wir Zwischennutzungen ermöglichen. Das heißt, dass man über kürzere Zeiträume – das können einzelne Veranstaltungen oder Vermietungen bis zu zwei Jahren sein – einzelne Räume insbesondere an Kleinunternehmer, Initiativen aus der Kreativwirtschaft und Veranstalter vermietet. Und das zu relativ günstigen Konditionen. Dazu haben wir mehrere Workshops organisiert und es gibt einiges Interesse. Das reicht von Personen, die dort Eventcatering anbieten wollen bis hin zu einer Schreibwerkstatt und Ausstellungen. Wir sichten nun die Rückmeldungen und werden dann in konkrete Gespräche mit den Interessenten gehen.

WOCHENBLATT: Wie geht es mit dem Breitbandausbau voran?

Schreier: Es ist auf jeden Fall eines der wichtigsten Themen für uns, weil die Versorgung mit schnellem Internet eine Grundvoraussetzung für eine ländliche Gemeinde ist – für den Zuzug von jungen Familien wie für Gewerbetreibende. Wir haben uns deswegen vor fast drei Jahren entschieden, gemeinsam mit unserer Nachbargemeinde Hilzingen ein gemeindeübergreifendes Glasfasernetz aufzubauen. Das heißt, dass wir die Leerrohre verlegen und dann später Glasfaser einziehen und dieses Netz dann verpachten. Wir haben inzwischen auch einen Pächter gefunden, die Firma Stiegeler IT, die auch im Schwarzwald-Baar Kreis das Breitbandnetz betreibt. Jetzt sind wir mittendrin im Ausbau. Wir haben Teile der überörtlichen Trasse von Tengen bis nach Beuren schon verlegt. Als nächsten Schritt werden wir den Anschluss an das Netz im Schwarzwald-Baar Kreis machen, eine Verbindung von Kommingen nach Talheim bis in die Kernstadt Tengen und nach Wiechs. Das ist die Grundvoraussetzung um das Netz überhaupt betreiben zu können, weil das Signal am Verteilerknoten in Kommingen liegt. Wir würden uns wünschen, dass es etwas schneller vorangeht, jedoch können wir nur mit Förderung ausbauen. Solange kein Förderbescheid vorliegt, kann nicht ausgebaut werden, weil dies förderschädlich wäre. Für die Beantragung vergehen schnell mehrere Monate. Dadurch ist immer ein gewisser zeitlicher Versatz gegeben. Außerdem ist es sehr schwierig Firmen zu bekommen, die innerhalb kurzer Frist Bauabschnitte realisieren, weil wir immer noch eine sehr starke Baukonjunktur haben.

WOCHENBLATT: Der Bau eines Ärztehauses durch eine Genossenschaft ist ein Novum im süddeutschen Raum. Der Gemeinderat hat einem Baugesuch zugestimmt. Wie geht es nun weiter?

Schreier: Wie viele ländliche Gemeinden beschäftigt uns das Thema der ärztlichen Versorgung. Früh haben wir im Gemeinderat den Grundsatzbeschluss gefasst, dass wir ein Ärztehaus bauen wollen. Klassischerweise gibt es dafür zwei Optionen: Entweder macht es die Stadt selbst oder ein privater Investor, der das Gebäude dann vermietet. Wir haben in der Diskussion einen dritten Weg entwickelt, die Gründung einer Genossenschaft. Das hat eine sehr gute Resonanz erfahren und es sind fast 400 Mitglieder und 600.000 Euro an Anteilen zusammengekommen. Das Baugesuch haben wir im Mai gestellt und rechnen damit, dass wir in den nächsten Wochen eine Baugenehmigung bekommen. Momentan läuft die Generalunternehmerausschreibung. Bis Ende des Jahres beabsichtigen wir den Vertrag mit dem Generalunternehmer zu schließen, um dann im ersten Quartal 2020 mit dem Bau zu starten. Das Interessante an dem Projekt ist, dass es neben der Sicherung der ärztlichen Versorgung auch ein neuer Ansatz sein kann, wie man Stadtentwicklung neu denken kann. Die Stadt handelt nicht alleine, sondern im Schulterschluss mit der Bürgerschaft und weiteren gesellschaftlichen Akteuren.

WOCHENBLATT: Sie sind ein junger, ambitionierter Politiker. Werden Sie für eine Wiederwahl zum Bürgermeister kandidieren?

Schreier: Ich habe mir vorgenommen die Frage nach meiner persönlichen Zukunft in den nächsten Monaten für mich zu beantworten.

- Graziella Verchio

Autor:

Redaktion aus Singen

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