Gaienhofens Bürgermeister Jürgen Maas:
„Ich lerne immer noch täglich dazu“

Nachgefragt: Gaienhofens Bürgermeister Jürgen Maas ist am Ostersonntag hundert Tage im Amt und zieht eine erste Bilanz. | Foto: Tobias Lange
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Gaienhofen. Seit 100 Tagen ist Jürgen Maas als Gaienhofens Bürgermeister am Ostersonntag im Amt. Auf Nachfrage des WOCHENBLATTs zieht er eine erste Bilanz.

Wochenblatt: Nach 100 Tagen sind die Flitterwochen gewöhnlich vorüber, der "Reiz des Neuen" weicht mehr und mehr dem Alltagsgeschäft und auch der sprachlichen Integration. Kommen Sie zurecht mit dem kleinen Rathaus in Gaienhofen, wenn man zuvor eine Riesenbehörde geleitet hatte? Macht "Nah dran" einen besonderen Reiz aus?

Jürgen Maas: „In meiner Ehe ist es so, dass ich in meine Frau auch nach fast acht Jahren immer noch schwer verliebt bin. Und es gibt bislang keine Anzeichen, dass das mit mir und Gaienhofen in eine andere Richtung gehen könnte. Von „Alltagsgeschäft“ kann noch keine Rede sein – ich lerne immer noch täglich dazu. Die Begegnung mit neuen, spannenden Themen und offenen, interessierten Menschen prägen mein Ankommen hier am See.
Ich bin jemand, der sich über den Dialog eine eigene Meinungen bildet und in der Interaktion mit dem Gegenüber Positionen entwickelt und sie gegebenenfalls dann auch anpasst, wenn sich zeigt, dass es bessere Wege gibt. Insofern fühle ich mich nach den ersten Wochen als Bürgermeister in meiner Annahme bestätigt, dass ich hier mit meiner Idee von der Nähe zum Puls der BürgerInnen richtig bin und bekomme das inzwischen auch an der ein oder anderen Stelle zurückgespiegelt. Darüber freue ich mich natürlich sehr. In der Tat ist das „kleinere Rathaus“ die vielleicht größte Umstellung für mich: Während ich aus einer Verwaltung komme, in der jeder von den annähernd 4.000 Köpfen mit einem stark ausgeprägten Spezialwissen ziemlich eingegrenzte Themenfelder und Rechtsgebiete bedient hat, deckt hier im Rathaus jede Person ein ganz breites Themenspektrum ab. Das erfordert ganz viel Flexibilität und die Motivation, sich permanent auf Neues einzulassen und sich zu aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten."

Wochenblatt: Macht "Nah dran" einen besonderen Reiz aus?

Jürgen Maas: "Ich habe hier ein tolles, motiviertes Team kennenlernen dürfen. Und das nicht nur im Rathaus, sondern auch in den anderen Bereichen, die in engerem und weiterem Sinne zur Verwaltung gehören. Egal ob Tourist-Info, Bauhof, Wasserver- und -entsorgung, Kindertagesstätte, Schulen, Altenheim, Museum, Häfen, Campingplatz oder auch im Gemeindeverwaltungsverband: wenn sich da nicht jede und jeder voll reinhängen würde, spüren die Bürger das sofort. Vor dem, was den KollegInnen und Kollegen abverlangt wird, habe ich also wirklich allerhöchsten Respekt und kann vor dem, was sie hier täglich leisten, immer wieder nur den Hut ziehen. Was die sprachliche Integration angeht, so klappt das mit dem Verstehen schon ziemlich gut. Mit dem Sprechen allerdings halte ich mich eher zurück. Sollte es Leute geben, die erhoffen, dass ich mich da noch zum „native speaker“ entwickle, muss ich sie wohl eher enttäuschen.“

Wochenblatt: Sie selbst waren ja noch nicht erfolgreich bei der Wohnungs- oder Haussuche vor Ort. Und Sie bekommen sicher viel Rückmeldung, dass gerade bezahlbarer Wohnraum in der Gemeinde sehr fehlt. Bekommt dieses Thema deshalb eine besondere Priorität in der kommunalen Politik oder gibt es noch drängendere Baustellen?

Jürgen Maas: „Ja, das Thema Wohnen drängt durchaus. Nicht vor dem Hintergrund meiner persönlichen Situation, sondern vielmehr, weil wir versuchen müssen, unseren nachwachsenden Generationen eine Chance geben können, hier vor Ort zu bleiben. Und dafür braucht es bezahlbare Wohnmöglichkeiten und Arbeitsplätze. Und immer mehr Branchen verzeichnen einen, teilweise schon eklatanten, Fachkräftemangel. Auch hier spielt es eine bedeutsame Rolle, ob potenzielle Arbeitnehmer im Umfeld ihrer Anstellung auch ein Zuhause finden.
Aber bei allen Überlegungen müssen wir den Realitäten ehrlich ins Auge blicken: Wir leben hier in einer privilegierten Region direkt am See und sind deutlich vom Tourismus geprägt. Und davon profitieren wir stark – insbesondere auch wirtschaftlich. Hinzu kommt, dass mehr als 80 Prozent unserer Fläche vor dem Hintergrund von Natur- und Landschaftsschutz für den Wohnbau tabu sind. Die wenigen Flächenoptionen, die uns vielleicht noch verbleiben, werden wir nur dann zu einem halbwegs bezahlbaren Preis an den Markt bringen können, wenn der Verkauf nach festen Regeln durch die Gemeinde erfolgt. Ob es dann Eigentümer gibt, die bereit sind, einen solchen Schritt mitzugehen, vermag ich noch nicht zu beurteilen. Da werde ich erst noch einige Gespräche führen müssen.
Die Prioritäten der kommunalen Politik insgesamt bestimme ja nicht ich alleine. Klar ist: Alles gleichzeitig machen geht nicht – dazu reicht weder das Geld noch das Personal. Deshalb möchte ich mit dem Gemeinderat gemeinsam einen Weg erarbeiten, wie wir zu einer transparenten Prioritätenbildung kommen und dabei die Punkte berücksichtigen, bei denen für die Mehrheit der BürgerInnen der Schuh am meisten drückt.“

Wochenblatt: Sie knien sich in Themen hinein, das hat man auch mit dem Kurswechsel in Sachen „Schlössli“ gespürt. Ist die dabei gesetzte Transparenz auch neuer Stil? Oder anders gesagt: werden Sie die Einwohner künftig mehr ins Boot holen?

Jürgen Maas: „Ob mein Herangehen an das Schlössli-Thema wirklich ein Kurswechsel ist, mag dahingestellt sein. Zumindest aber ist es mir wichtig, dass die Öffentlichkeit transparent über die Rahmenbedingungen informiert ist, um sich ein fundiertes Bild machen zu können. Das habe ich mir in der Tat auch für weitere Themen, die von größerer Bedeutung und allgemeinem Interesse sind, so vorgenommen. Entscheiden muss dann letztendlich der Gemeinderat – da bin ich ein klarer Verfechter des Systems der repräsentativen Demokratie. Aber die BürgerInnen sollen möglichst breit informiert sein und die Rahmenbedingungen kennen, unter denen Entscheidungen zu treffen sind.“

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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