Was die schleppende Auszahlung der Staatshilfen für die Wirtschaft bedeutet
»Bei weitem nicht so ausgeführt wie versprochen«

Bernhard Bihler | Foto: Bernhard Bihler ist der Sprecher der Regionalen Wirtschaftskooperation.swb-Bild: pr
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Landkreis Konstanz. Im Interview mit dem Wochenblatt spricht Bernhard Bihler, der Regionalen Wirtschaftskooperation (RWK) über Staatshilfen für Unternehmen und wie sich die wirtschaftliche Lage aktuell immer weiter zuspitzt.

Wochenblatt: Herr Bihler, im Zusammenhang mit der Krise wurden von der Bundesregierung immer wieder Hilfspakete für die Wirtschaft geschnürt. Von vielen Unternehmern hört man allerdings, dass diese zu schleppend ankommen. Deshalb die Frage: Wie geht es der Wirtschaft in unserer Region im Moment?
Bernhard Bihler: Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich, es gibt Unternehmungen, die keinerlei Veränderung spüren beziehungsweise in ihrer Unternehmung nur beschränkt gestört sind. Jedoch ist ein großer Anteil von vor allem kleineren und mittleren Betrieben durch den Lockdown unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Sicherlich ist es wichtig die Allgemeinheit zu schützen. Weiterhin muss es selbstverständlich sein den unverschuldeten Wirtschaftsschaden bei den betroffenen Betrieben auszugleichen. Die von der Politik zugesagten Hilfestellungen sind bei Weitem nicht so ausgeführt worden wie versprochen. Zum Beispiel ist die Novemberhilfe bei vielen Betrieben mit einer kleinen Abschlagszahlung angekommen. Weiterhin sind die in Aussicht gestellten Hilfen für Dezember bis heute nur beschränkt zu beantragen, geschweige denn dass Zahlungen erfolgten. Auch gesunde Betriebe schaffen es nicht derart lange Generalausfälle ihres Unternehmens zu finanzieren und stehen deshalb vor dem Ruin. In der Folgewirkung wird das für die gesamtwirtschaftliche Situation unserer Region dramatische Schäden nach sich ziehen.

Wochenblatt: Haben Sie das Gefühl, die Anliegen der mittelständischen Unternehmer werden von unseren Politikern in Stuttgart und Berlin gehört und wahrgenommen?
Bernhard Bihler: Nein, definitiv nicht. Wir scheinen mehr von Virologen als von vernünftigen Politikern gesteuert. Wobei es sehr enttäuschend ist, dass die Landesregierung ihre Vorrangstellung in diesen Entscheidungen nicht nutzt, sondern immer nach Gesamtlösungen sucht. Sicherlich wäre es möglich in unserer Region über Lockerungen nachzudenken.

Wochenblatt: Viele Betriebe müssen jetzt schon seit Monaten geschlossen bleiben. Fixkosten laufen aber in der Regel weiter. Was bedeutet das für die Unternehmerinnen und Unternehmer?
Bernhard Bihler: Die Unternehmen stehen finanziell vor fast unlösbaren Problemen. Sie müssen ihren Verpflichtungen nachkommen und die Grundkosten des Unternehmens tragen. Banken haben es schwer dabei Unternehmen, die nicht positiv verlaufen Geld zu leihen, sodass die Meisten auf ihr Privates zurückgreifen müssen. Somit werden Ersparnisse für Altersvorsorge, Lebensversicherungen, etc. als Pfand oder Ausgleich verwendet. Falls der Lockdown nicht aufgehoben wird, führt dies In sehr vielen Fällen zur Firmen- und Privatinsolvenz. Das Ganze ist für die Betriebe und die Mitarbeiter gleichfalls problematisch. Auf Dauer kann ein Mitarbeiter nicht vom Kurzarbeitergeld leben, ebenso wenig der Betrieb mit unzureichenden Überbrückungsgeldern. Auch wenn die Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, bleiben die Grundkosten der Betriebe bestehen. Diese sind im Handel und Gewerbe circa 35 bis 55 Prozent des Umsatzes. Diese Kosten sind meist nicht veränderbar.

Wochenblatt: Die finanzielle Belastung ist eine Sache, mittlerweile hört man aber auch schon, dass Mitarbeiter, die in Kurzarbeit sind kündigen und sich neue Jobs suchen. Können Sie solche Vorgänge bestätigen und wenn ja, was bedeutet das für die betroffenen Unternehmen?
Bernhard Bihler: Ja, das ist so. Durch die Belastung der Kurzarbeit ist es verständlich, dass Mitarbeiter sich andere Wege suchen um für das familiäre Auskommen sorgen zu können. Dadurch entstehen Marktverschiebungen im Personalbereich, die wir in den nächsten Jahren stark spüren werden. Nach Öffnung der Betriebe stehen diese Mitarbeiter dann den Unternehmen nicht mehr zur Verfügung.

Wochenblatt: Sind eigentlich nur solche Unternehmen von der Krise betroffen, die jetzt geschlossen haben, oder treffen die wirtschaftlichen Folgen auch Unternehmen, die momentan weiterarbeiten dürfen, beispielsweise Handwerksbetriebe?
Bernhard Bihler: Durch die Binnenmarktwirkung wird es in der Folge alle Betriebe betreffen. Die volle Wirkung der wirtschaftlichen Konsequenzen wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Jedoch werden wir mit starken negativen Einflüssen auf unsere gesamte Wirtschaftsleistung der Region rechnen müssen.

Wochenblatt: Was müsste Ihrer Meinung nach jetzt von Seiten der Politik getan werden, um die Wirtschaft besser zu unterstützen und wie schnell müsste das gehen?
Bernhard Bihler: Die zugesagten Hilfen müssen schnellstmöglich bei den Betrieben ankommen. Es müssen verlässliche Parameter erarbeitet werden, die Öffnungen und Schließungen regulieren. Die Bevölkerung und die Wirtschaft brauchen dringend verständliche Regeln, Ziele und Hoffnung.

Wochenblatt: Was passiert, wenn sich an der aktuellen Corona-Politik nichts ändert?
Bernhard Bihler: Es wird eine Flut von Insolvenzen mit einer nicht absehbaren wirtschaftlichen Folge für uns und die nächste Generation entstehen.

Wochenblatt: Gibt es etwas, was Ihnen trotz der schwierigen Lage im Moment Mut macht?
Bernhard Bihler:
Mut macht mir die Vernunft der Menschen, die ich alltäglich auf den Straßen und in den Betrieben erlebe. Die Politik sollte verstehen, dass die Bevölkerung schon längst verstanden hat mit der Pandemie umzugehen.

Die RWK

Die Regionale Wirtschaftskooperation ist ein Zusammenschluss aus den lokalen Gewerbevereinen und deren Mitgliedern der Region und hat damit selbst über 1.600 Mitglieder. Sie wurde 2001 begründet und steht für die geballte Wirtschaftskraft der Region. Dabei ist sie Plattform zur Kommunikation und Präsentation der Wirtschaft und bietet eine Übergreifende Informationsstruktur für alle Mitglieder. Sprecher der RWK ist Bernhard Bihler, der Vorsitzende des Gewerbevereins Radolfzell und Geschäftsführer des Radolfzeller Innovationszentrums RIZ.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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