Der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt im Interview mit dem Wochenblatt
Nachhaltiges Handeln als Weg aus der Krise

Uli Burchardt | Foto: Der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt. swb-Bild: Stadt Konstanz
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Konstanz. Was Nachhaltigkeit mit dem Weg aus der Krise zu tun hat und wie lebendige Innenstädte in die Zeit nach der Pandemie gerettet werden können, darüber sprach das Wochenblatt mit dem Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt.

Wochenblatt: Herr Burchardt, Sie stehen gerade am Anfang Ihrer zweiten Amtszeit als OB der größten Stadt in unserer Region. Wie sehr wird die aktuelle Krise diese Amtszeit prägen?
Uli Burchardt: »Ich hoffe sehr, dass sie mich und uns alle nur am Anfang meiner zweiten Amtszeit so stark beschäftigt! Tatsächlich nimmt sie in diesen Wochen und Monaten sehr viel Zeit und Energie in Anspruch. Aber ich hoffe, dass wir sie mit den zunehmenden Testungen und Impfungen allmählich in den Griff bekommen.«

Wochenblatt: Je länger der Lockdown dauert, desto größer werden die Sorgen von Einzelhändlern, Gastronomen und Kulturschaffenden, die Krise nicht zu überstehen. Nun handelt es sich dabei ja um Branchen, die gerade das Zusammenleben in einer Stadt besonders attraktiv machen und das Gesicht und Flair einer Stadt prägen. Sind Sie vor diesem Hintergrund besorgt, dass Ihre Stadt nach der Krise nicht mehr die selbe ist wie vor der Pandemie?
Uli Burchardt: »Einzelhandel, Gastronomie und Kultur werden auch nach der Krise das Flair unserer Stadt noch stark prägen, da bin ich ganz sicher. Aber ich mache mir tatsächlich auch Sorgen, dass etliche Betriebe die Krise nicht überstehen könnten. Wir hatten in den vergangenen Monaten schon einige Geschäftsaufgaben in Konstanz. Und ich weiß von vielen Betrieben, dass ihnen das Wasser schon bis zur Nasenspitze steht. Sie sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie die nächsten Wochen noch überleben können, wenn es so weitergeht. Ich wünsche mir sehr, dass sie die Kraft und die notwendigen Reserven haben, um das rettende Ufer zu erreichen. Und wir als Stadt wollen für sie kämpfen und nach Kräften helfen.«

Wochenblatt: Gibt es etwas, was die Städte und Gemeinden in der Region tun können, um ihre lebendigen Innenstädte in die Zukunft zu retten?
Uli Burchardt: »Es ist so: Die Rahmenbedingungen für die Betriebe in der Krise werden von Bund und Land gestaltet. Eine ›Bazooka‹ wie der Finanzminister, mit der wir Branchen finanziell unter die Arme greifen können, haben wir nicht. Aber wir haben auch unsere Möglichkeiten, die wir unbedingt nutzen können: im Notfall großzügige Stundungsmöglichkeiten bei Steuern und Abgaben einräumen, die Gastronomie durch zusätzliche Außenflächen unterstützen und moderate Sondernutzungsgebühren dafür, den Einzelhandel im Stadtmarketing stärken, um einige Beispiele zu nennen. Ich habe vor kurzem den Arbeitskreis ›Zukunftsfitte Innenstadt‹ zu einer Sondersitzung eingeladen, um mit Einzelhändlern und Gastronomen die aktuelle Situation und Unterstützungsmöglichkeiten zu besprechen. Wir müssen zeigen, dass wir ein offenes Ohr haben für ihre Probleme. Und wir müssen konkrete Antworten liefern. Unser Gemeinderat hat letzte Woche ein Paket von über 200.000 Euro beschlossen, mit dem wir dem Handel und der Gastronomie und der Kultur in der Stadt durch Unterstützungsaktionen beim Weg aus der Krise helfen können.«

Wochenblatt: Schon vor der Krise gab es viel Kritik daran, dass die großen Online-Händler Geld aus der Region abfließen lassen. Das hat sich in den letzten Monaten noch verstärkt. Nun waren Sie selbst früher Mitglied in der Geschäftsleitung von Manufactum. Wie stehen Sie zum Online-Handel und halten Sie die Paketabgabe, die von Andreas Jung vor einiger Zeit ins Gespräch gebracht wurde, für eine gute Idee?
Uli Burchardt: »Ich glaube nicht, dass wir beim Online-Handel das Rad zurückdrehen können. Wir können aber zwei Dinge tun: Wir können Initiativen ergreifen, um den Online-Handel vor Ort zu stärken und damit die Wertschöpfung in der Stadt zu behalten. Und wir können weiter daran arbeiten, in unserer Stadt eine tolle Atmosphäre fürs Shoppen und Flanieren zu gewährleisten. Das ist unser großes Plus. Und klar: eine Paketabgabe wäre auch hilfreich, um den Einzelhandel vor Ort zu unterstützen. Nachhaltig ist der Online-Handel in vielen Punkten nicht. Nur schimpfen nützt aber eben auch nicht: der Einzelhandel in der Stadt muss seine Stärken sichtbarer machen.

Wochenblatt: In Ihrem Buch »Ausgegeizt! Wertvoll ist besser« spielt Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Glauben Sie, dass dieses Prinzip auch eine Chance für uns und die Region sein könnte, wenn es darum geht, wieder gut aus der Krise zu kommen?
Uli Burchardt: »Ja, unbedingt! Ich halte dieses Prinzip für das einzige, das Zukunft hat! Und das meine ich auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir haben in Konstanz ein Programm aufgelegt, das heißt ›Stadtwandel‹. Es umfasst sowohl die Bemühungen um den Klimaschutz, die Realisierung neuer Wohnformen, die Diskussion zukünftiger Mobilität, aber auch das Engagement in der Digitalisierung – alles mit dem Blick auf eine nachhaltige Entwicklung. Darin stecken auch starke Impulse für die hiesige Wirtschaft. Ich bin sicher, dass insbesondere der Klimaschutz ein regelrechtes Konjunkturprogramm werden kann!«

Wochenblatt: Zur Zeit hört man oft die Klage, dass Bund und Länder zu langsam sind in der Umsetzung der Impfkampagne und einer ausgereiften Teststrategie. Sie setzen sich seit einigen Wochen dafür ein, dass in Konstanz ein zweites Impfzentrum für den Landkreis eingerichtet werden soll. Gibt es Ihrer Meinung nach noch mehr, was aus unserer Region heraus selbst getan werden könnte, um der Lage schneller Herr zu werden, also ohne auf Land oder Bund zu warten?
Uli Burchardt: »Das Modell eines kreisweiten Test-Projekts, das wir gemeinsam mit dem Landrat realisieren möchten, könnte uns weiterbringen. Es könnte einen Rahmen bieten, der uns langsame und kontrollierte Öffnungen erlaubt. Gleichzeitig müssen wir aber auch Lösungen finden, wie wir den Tagestourismus lenken können. Nur dann wird es in einer Region, die stark vom Tourismus geprägt ist, auch funktionieren. Wir haben uns zusammen mit dem Landkreis als Modellregion beworben – ich halte nichts von einem Alleingang.«

Wochenblatt: Falls das Tübinger Modell für den Landkreis nicht genehmigt wird, gibt es Ihrer Meinung nach noch andere Optionen, wie der Landkreis Konstanz bei der Pandemiebekämpfung eine Vorreiterrolle einnehmen könnte?
Uli Burchardt: »Ich habe es bereits angesprochen: Wir müssen eine Lösung für die zahlreich zu erwartenden Gäste finden. Die Frühjahrs- und Sommermonate stellen in diesen Pandemiezeiten für unsere touristisch sehr attraktive Region eine besondere Herausforderung dar. Lockerungen gehen automatisch einher mit sehr großen Besucherfrequenzen und damit mit einer größeren Gefährdungslage. Ich will mich daher für die Prüfung einer temporären Einschränkung der Mobilität in Baden-Württemberg aussprechen, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Bewegung in der Freizeit könnte zum Beispiel für ein paar Wochen ausschließlich im eigenen Landkreis erlaubt sein. Alle Landkreise in Baden-Württemberg bieten meines Erachtens ausreichend Möglichkeiten zur Naherholung, die in dieser begrenzten Zeitphase genutzt werden können. Auf diese Weise könnten aus Pandemiesicht problematische große Ansammlungen von Menschen vermieden werden. Gleichzeitig könnte dadurch ein Rahmen gewährleistet werden, um vor Ort auch bei Inzidenzen über 100 in kleinen Schritten zu einem normalen Leben zurückkehren zu können. Das ist nun keine Lösung nur für einen einzelnen Kreis. Aber der Impuls für diese Lösung könnte von hier ausgehen. Nicht zuletzt bin ich ein Fan von unserem landkreisweiten Testwochenende. Das gab es so noch nicht. Ich hoffe, dass ganz viele mitmachen!«

Wochenblatt: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Stärken unserer Region?
Uli Burchardt: Der See, die Landschaft, die Internationalität, die hervorragende Infrastruktur in Bildung und Forschung.
Wochenblatt: Gibt es etwas, das Ihnen in der aktuellen Situation besonders Mut macht im Hinblick darauf, dass wir die Krise gut überstehen können?
Uli Burchardt: Die Hilfsbereitschaft vieler Menschen. Wenn Hilfsbereitschaft und Solidarität gelebt werden, lässt sich jede Krise meistern. Außerdem bin ich stolz darauf, wie entschlossen und konsequent wir den Schutz der alten Menschen mit großer Priorität durchgezogen haben. Wenn es sein muss, können wir noch mehr schaffen.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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