Leserbrief zum Gebäudeenergiegesetz
»Abwarten und Tee trinken«

Foto: Symbolbild

Öhningen. Zu unserer Berichterstattung zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) erreichte uns dieser Leserbrief:

Was qualifiziert mich zum Schreiben dieser Zeilen: Ich bin seit 35 Jahren Praktiker im Fertighausbau und habe mich auf Effizienz-Plus-Häuser spezialisiert. Bereits seit über zehn Jahren wohne ich mit meiner Familie in einem derart gut gedämmten Haus, dass wir keine klassische Heizung brauchen. Wir müssen nur an wenigen Tagen pro Jahr überhaupt heizen. Dafür genügt uns eine leistungsschwache und wartungsfreie Infrarot-Elektroheizung. Ganz bewusst haben wir so gebaut, dass uns eine kostspielige Wärmepumpe erspart bleibt. Wärmepumpen sind bei der Anschaffung extrem teuer, wartungsintensiv und alle 25 Jahre wegen Verschleiß zu ersetzen. Das klimaneutrale Haus, was die EU ab 2028 zur Pflicht machen will, können Bauwillige also schon jetzt umsetzen ohne in eine Wärmepumpe investieren zu müssen.

Erfreulicherweise schreibt das Wochenblatt in der Ausgabe vom 19. April 2023 schon auf Seite 1, dass ihm die freie Meinungsäußerung und der freie Austausch sehr am Herzen liegen. Auf Seite 6 unter der Rubrik „Die Region fragt – Stuttgart und Berlin antworten“ habe ich dann allerdings die Antwort des Landtagsabgeordneten Bernhard Eisenhut (AfD) aus dem Wahlkreis Singen vermisst. Es gab auch keinen Hinweis darauf, wieso nur seine Meinung nicht zu lesen ist, während alle anderen Abgeordneten der sogenannten demokratischen Parteien mit ihren Ansichten ausführlich präsent waren.

Das Thema ist leider viel komplexer als die Berichterstattung und die Antworten der Abgeordneten im Wochenblatt vermuten lassen. In der am 14. März 2023 verabschiedeten neuen EU-Gebäuderichtlinie ist festgelegt, dass alle Gebäude bis 2030 die Effizienzklasse E und bis 2033 die Klasse D erfüllen müssen. D bedeutet allerdings noch nicht „klimaneutral“. Deshalb müssen zwangsläufig weitere Schritte bis 2045 folgen.

Es ist also erst einmal zu ermitteln, welche Energieeffizienzklasse ein Gebäude hat. Wer bei D oder schlechter liegt, sollte in jedem Fall mit einem Fachmann eine Gesamtstrategie für die Energieoptimierung erarbeiten. Da die EU das Energielabel für Gebäude komplett neu definieren will, ist keine Eile geboten. Warten Sie ab, was die EU von Ihnen fordert, sonst machen Sie eventuell das Falsche wie der SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz. Denn der hat sich ja laut Wochenblatt erst vor zwei Jahren eine neue Gasheizung mit Solarthermieunterstützung geleistet, die er so ab 1. Januar 2024 nicht mehr einbauen dürfte.

Außerdem überlegt die EU gerade, welche Kältemittel in Wärmepumpen zukünftig zulässig sein sollen. Denn sie hat festgestellt, dass einige in Wärmepumpen verwendete Kältemittel angeblich noch klimaschädlicher sind als CO₂. Hauseigentümer sollten also in jedem Fall abwarten, bis alle Fakten auf dem Tisch liegen. Wärmepumpen dürften aufgrund von Massenproduktion günstiger werden: Asiatische Hersteller drängen auf den deutschen Markt. Bosch und Viessmann errichten ihre neuen Werke in Polen – sehr wahrscheinlich auch aufgrund der Energiesicherheit: Polen baut nämlich sechs CO₂-neutrale Atomkraftwerke eines amerikanischen Anbieters. Vor dem Beginn der deutschen Deindustrialisierung hätte sich auch Siemens um diesen Großauftrag bewerben können.

Wer in seinen Altbau ohne vorherige energetische Komplettsanierung sofort eine Wärmepumpe einbauen will, spart auch im laufenden Betrieb kein Geld. Bei einer Ölheizung kostet die Kilowattstunde (kWh) aktuell 9 Cent, bei einer Gasheizung 12 Cent. Allein der Strom für eine Wärmepumpe kostet aktuell 33 Cent. Wenn nun die Wärmepumpe aus 1 kWh Strom 2,6 kWh Heizenergie macht, ist sie also aktuell mit 13 Cent pro kWh eindeutig die teuerste Heizmöglichkeit im Altbau. Dabei ist die sehr kostspielige Anschaffung noch nicht berücksichtigt.

Durch die von der EU geplante Ausweitung des CO₂-Zertifikatehandels auch auf Privathaushalte werden nicht nur Öl und Gas teurer. Durch die nun anstehende Abschaltung der Kohlekraftwerke wird zudem der Strom immer knapper und somit teurer.
Der von der Landtagsabgeordneten Nese Erikli (Grüne) im Wochenblatt erwähnte Mieterschutz greift nicht bei Wärmepumpen: Laut GEG-Entwurf darf der Vermieter die Einbaukosten für eine Wärmepumpe auf die Kaltmiete umlegen. Hinzu kommen über die Nebenkostenabrechnung höhere Energiekosten pro kWh und die Wartungskosten für Wärmepumpen. Das bedeutet insgesamt 30 bis 50 Euro höhere Wohnkosten pro Monat für Mieter als Folge einer Wärmepumpe im Altbau. Bei zusätzlichen Sanierungen natürlich noch mehr.

Auch der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (CDU) kommt mit einem weltfremden Vorschlag daher. Er ködert Wähler großzügig mit einer Förderung von mindestens 50 %. Ich gebe Folgendes zu bedenken: In Deutschland gibt es rund 43 Millionen Wohneinheiten. Wenn davon bis 2045 noch 70 % für durchschnittlich 80.000 Euro klimaneutral saniert werden müssen, dann würde eine Jungsche 50%-Förderung den Bundeshaushalt bis zum Jahr 2045 mit weit über einer Billion Euro belasten. Ich bezweifle, dass er dafür jemals einen Finanzminister gewinnen kann – egal in welcher Regierungskonstellation. Außer man schafft aus der Luft wieder ein Sondervermögen wie für die Bundeswehr.

Die propagierte CO₂-Einsparung funktioniert auf absehbare Zeit nicht beziehungsweise überhaupt nie, wenn es beim jetzigen unausgereiften Konzept bleibt. CDU, FDP, Grüne und SPD haben die CO₂-freien Atomkraftwerke schrittweise vom Netz genommen – bis hin zur Totalabschaltung durch die aktuelle Regierung. Wetterbedingt haben wir nur an wenigen Tagen im Jahr tatsächlich 100 % Ökostrom zur Verfügung. Weil mit jedem E-Auto und jeder Wärmepumpe der Strombedarf steigt, fährt Deutschland nun die umweltschädlichen Kohlekraftwerke hoch und höher. Ein Braunkohlekraftwerk stößt pro kWh Strom 1.150 Gramm CO₂ aus.

Eine Wärmepumpe im Altbau mit einem Arbeitswert von 2,6 verursacht folglich pro erzeugter Kilowattstunde Wärmeenergie 442 Gramm CO₂-Ausstoß. Die alte verteufelte Ölbrennwertheizung erzeugt hingegen nur 318 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde Wärmeenergie. Die Gasbrennwertheizung produziert 202 Gramm – mit Solarunterstützung sogar nur 141 Gramm CO₂.

Für Klimaschutzminister Habeck persönlich ist das Thema Heizen laut seiner Antwort in der Bundespressekonferenz so „geregelt“: Er beziehe Fernwärme von den Stadtwerken Flensburg. Er setzt auch noch schnell einen darauf und empfiehlt anderen Kommunen, ebenfalls über Fernwärme nachzudenken. Laut Homepage bestand der Energiemix der Stadtwerke Flensburg im Jahr 2022 zu 22,1 % aus Erdgas und zu 71 % aus Steinkohle. Habeck bläst mit seiner Fernwärme folglich 155 Gramm CO₂ pro kWh in die Luft. Dieser Wert ist höher als bei einer Gasheizung mit Solarunterstützung, deren Einbau vom 1. Januar 2024 an verboten werden soll. Sowas nennt Herr Habeck „geregelt“ und empfehlenswert für andere Kommunen.

Fazit: So wenig wie unser Klimaschutzminister Habeck klimaneutral heizt, so wenig gibt es von irgendeiner Partei ein von A bis Z durchdachtes Gesamtkonzept, mit dem der Bürger langfristig planen kann. Es ist nicht absehbar, welche Kältemittel für Wärmepumpen die EU zukünftig zulässt, und welche Anforderungen ein Gebäude für welche Energieeffizienzklasse zukünftig erfüllen muss.

Laut dem vorliegenden Entwurf des deutschen Gebäudeenergiegesetzes dürfen alle bestehenden Heizungen bis zum 31.12.2044 weiterlaufen. Die EU wird dies mit ihrer Gebäuderichtlinie verhindern. Wer noch kein Brennwertgerät mit Solarunterstützung hat, wird voraussichtlich im Jahr 2033 nicht die Energieeffizienzklasse D erfüllen können. Als Experte für energieeffizientes Bauen kann ich derzeit nur abwarten und Tee trinken empfehlen, bis Sie die Gewissheit haben, mit welchem Konzept ihr Haus im klimaneutralen Zeitalter vom Jahr 2045 an nach deutschen und EU-Gesetzen tatsächlich zukunftssicher ist.

Auch die nun in Umlauf befindlichen Mietangebote für Wärmepumpen sehe ich sehr skeptisch. Lesen Sie das Kleingedruckte ganz genau und prüfen Sie alternativ eine Kreditfinanzierung. Auch von der alleinigen Installation einer Wärmepumpe im Altbau ohne zusätzliche Wärmedämmung kann ich nur abraten.

Thorsten Otterbach, Öhningen

Leserbriefe müssen nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.

Autor:

Redaktion aus Singen

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