Die Geburtsstunde der Autobahnkapelle bei Engen
Kairos – der richtige Moment um das Richtige zu Tun

Auch mit 88 Jahren ist Gebhard Reichert noch im Pfarrdienst in der Seelsorgeeinheit Höri aktiv, so gut es noch geht. | Foto: Oliver Fiedler
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  • Auch mit 88 Jahren ist Gebhard Reichert noch im Pfarrdienst in der Seelsorgeeinheit Höri aktiv, so gut es noch geht.
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Pfarrer Gebhard Reichert hält beim Gespräch mit dem Wochenblatt das 40. Fürbitt-Buch für Botschaften in der Autobahnkapelle in den Händen. „Das 39. Buch mit den ganzen Einträgen von Besuchern, die hier über Freud und Leid, über ihre Begegnung mit der Kapelle als so besonderen Ort schreiben, ist bald wieder voll“, stellt er voller Freude fest. „Schön, dass es einen Ort gibt, an dem Menschen ihren Glauben, gleich in welcher Form, leben können, auch wenn sie sich nur hereinsetzen, oder einfach ein Kerzlein anzünden.“ Und: „Ich denke jetzt an die vielen Lastwagenfahrer, die auch das ganze Wochenende da oben stehen und warten müssen, bis sie weiterfahren können und die oft wochenlang nicht nach Hause kommen. Denen müsste man dort etwas bauen, wo sie mal nicht in ihrer Fahrerkabine schlafen müssten, weil für ein Hotel haben, die nie das Geld“, so Reichert. Dass auch sie diese Kapelle aufsuchen, sieht er an den Botschaften in anderen Schriften in dem Fürbittbuch.

Und Gebhard Reichert erinnert sich an diesen großen Moment in seinem so langen Leben. Damals war es eine Fahrt mit einem Bekannten in seine Heimatstadt Karlsruhe gewesen. Und auf dem Rückweg wurde noch in Engen an der damals neuen Autobahnraststätte Hegau Rast gemacht. Der kleine Spaziergang über das Gelände, um eben einen Blick des Panoramas an dieser so prominenten Stelle zu genießen. „Der Ort war so erhaben, dass der Gedanke aufkam, an dieser Stelle, wo man sich Gott so nah fühlen kann, eine Autobahnkapelle zur errichten“, fühlt sich Reichert heute noch bewegt. „Es war das 'Kairos' aus dem griechischen, der Begriff für den richtigen Augenblick, um das Richtige zu tun“, beschreibt Gebhard Reichert die damalige Rast hier bei Engen.

Denn die Idee, die Reichert nun in die Region trug, fiel bald auf fruchtbaren Boden. Ein Verein gründete sich, um die Idee der Kapelle Stein werden lassen zu können, mit Peter Pütz und Bernhard Albrecht fanden sich tatkräftige Mitstreiter, die Kirchen zogen über ihre Vertreter mit und eine Spendenaktion kam bald erfolgreich in Gang, auch wenn Rückschläge hingenommen werden mussten. Eine erste Planung durch einen ungarischen Architekten erwies sich bald als unbezahlbar, sodass ein Architektenwettbewerb nötig wurde, aus dem dann der Ravensburger Architekt Rolf R. Bürhaus mit seinem Entwurf eines Hauses als Lichtkreuz als Sieger hervorging.

Bis dahin ging es doch einige Jahre, aber im Juli 2005 war es dann mit der Einweihung so weit. Weihbischof Paul Wehrle und der evangelische Landesbischof Dr. Ulrich Fischer nahmen die Weihe vor und der Name „Emmauskapelle“ wurde zum Sinnbild in der Geschichte, als die damals verzweifelten Jünger dem Auferstanden Jesus begegneten. Auch so ein „Kairos“-Moment für Gebhard Reichert, der diesen Ort auch selbst immer wieder aufsucht und der auch im Alter von 88 Jahren dort Gottesdienste anbietet, besondere Andachten an einem besonderen Ort. In 2015 musste die Kapelle erstmals renoviert werden, nun wird schon ins Jahr 2025 geschaut, wenn die Emmaus-Kapelle ihren 20. Geburtstag feiern kann.

Und es hatte sich vieles zum Guten gefügt. Möglich wurde der Bau auch erst, weil eine Engener Familie ein Grundstück kostenlos hergab, weil das eigentliche Grundstück des Bundes an der Raststätte nicht ganz ausreichte. Es gab ganz viele Spender, die sich enorm engagiert hatten sodass man die 640.000 D-Mark (so wurde noch gerechnet) für diesen einzigartigen Ort zusammen bekam. Und über viele Jahre war es auch eine Familie aus Engen, die hier für die Sauberkeit sorgte, bis es aus Altersgründen nicht mehr ging.
Es ist weiter ein besonderer Ort für Gebhard Reichert, der diesen ersten Kairos-Moment immer wieder zurückbringt. Gerade die Architektur mit seinem geschützten Vorhof und einem stilisierten Kreuzgang, mit einem gestifteten Brunnen in der warmen Jahreszeit, bedeutet schon, den ganzen Trubel, der an diesem Ort durch den ständigen Geräuschpegel der Autobahn präsent ist, so hinter sich zu lassen.

Als würde man in eine andere Welt eintreten, eine friedlichere. Mit ihrer hölzernen Pieta, die auch durch einen Glücksfall in die Kapelle fand, mit den drei Bildtafeln an der Westwand, die von dem Sigmaringer Künstler Bernhard Maier mit der Emmaus-Geschichte gestaltet wurde und sogar einer Ikone ist es für Gebhard Reichert eine ganz besondere Atmosphäre, um alleine zu sein (nicht einsam) aber auch zum Gottesdienst mit anderen, der durch ein ökumenisches Team im Wechsel immer sonntags um 11 Uhr angeboten wird. Nach Schätzungen durften rund eine Million Menschen diese Kapelle bislang besucht haben. Gebhard Reicher hatte sich schon zur Bauzeit aus dem Vorsitz des Vereins zurückgezogen und ihn an den damaligen Dekan Ocker (verstorben 2013) übergeben.

Portrait:

Name: Gebhard Reichert

Alter: 88

Werdegang: Rund 20 Jahre Pfarrer an der Herz-Jesu-Kirche, 1998 Gründungsvorsitzender des Trägervereins der Emmauskapelle Engen. Derzeit noch seelsorgerisch in der Seelsorgeeinheit Höri tätig.

Was mich treibt: Als Christ mithelfen ein Bewusstsein zu schaffen für die Schwächeren.

Was mich verbindet mit der Region: "Der Ort war vorgegeben, wir haben ihn im richtigen Augenblick entdecken dürfen", so Gebhard Reichert.

Der Ort:

Foto: Oliver Fiedler
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Ein besonderer Raum der Stille in einer geräuschvollen Umgebung. Nicht nur die Aussicht macht die 2005 eingeweihte Emmauskapelle so einzigartig. Bei einer Rast wurde der Ort von Gebhard Reichert entdeckt.

Auch mit 88 Jahren ist Gebhard Reichert noch im Pfarrdienst in der Seelsorgeeinheit Höri aktiv, so gut es noch geht. | Foto: Oliver Fiedler
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Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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