Der blinde Fleck des »65-Milliarden-Paket«
Kein Happy End im Handwerk

Bleiben unterstützende Maßnahmen für Backstube und Metzgerei aus, erwarten uns bald diese »Angebote« an deren Verkaufstheke. | Foto: Chris Lawrence / stock.adobe.com
  • Bleiben unterstützende Maßnahmen für Backstube und Metzgerei aus, erwarten uns bald diese »Angebote« an deren Verkaufstheke.
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Landkreis Konstanz. »Altes Brot ist nicht hart, kein Brot, das ist hart«: Dieses deutsche Sprichwort lässt erahnen, was uns erwartet, wenn die kritische Lage für Bäcker und Metzger durch die Kostensteigerungen für Gas und Strom nicht durch die dringend notwendige und gezielte Unterstützung des Staates aufgefangen wird. Dabei geht es für viele Betriebe im wahrsten Sinne »um die Wurst«.

Denn auch das kürzlich angekündigte dritte Entlastungspaket bringt den Unternehmen nicht die erhoffte Unterstützung. So betont Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz, dass die angekündigten Maßnahmen hier nicht ausreichen. »Viele Handwerksbetriebe haben aktuell nicht nur mit den steigenden Energiepreisen zu kämpfen – auch der Fachkräftemangel, Nachwuchssorgen, Lieferengpässe und Preissteigerungen sorgen für eine äußerst schwierige Gesamtsituation«, unterstreicht er die vielen langanhaltenden Problematiken. »Im schlimmsten Fall bedeutet dies für viele Betriebe, die für die Grundversorgung der Bevölkerung sorgen, das Aus. Vor allem energieintensive Handwerksbetriebe brauchen jetzt unmittelbar finanzielle Entlastung, um ihr Geschäft am Laufen zu halten.«

Es wird teurer an der Theke

Die Mehrkosten durch die Inflation sind an allen Ecken und Enden spürbar, auch für Bäcker und Metzger. Deren einziger Ausweg bleibt die Preise anzuheben und dadurch wichtige Kunden zu verlieren.

Egal ob Zutaten wie Mehl oder Molkereiprodukte, Papier und Verpackung, Personalkosten durch den angehobenen Mindestlohn, Transport oder insbesondere Gas und Strom - alles wird teurer. Wie stark sich gerade die hohen Energiekosten konkret auswirken werden, ist für den Obermeister des Fleischerverbands Schwarzwald-Bodensee, Karl Denzel aus Singen, schwer einzuschätzen. Er rechne mit Steigerungen von mindestens 60 Prozent, im Durchschnitt jedoch bis zu 80 oder sogar 90 Prozent in den Firmen, abhängig von deren Infrastruktur. Sichtbar wird dies beim Blick auf die dem Deutschen Fleischerverband (DFV) vorliegenden Angebote für Gas und Strom im kommenden Jahr: So berichtet Denzel hier von zum Teil vervierfachten Kosten für die Abnehmer, was einen Mehraufwand von etwa 7,5 Prozent am Gesamtumsatz bedeuten würde.
Konfrontiert mit diesem extremen Anstieg bei den Ausgaben für die Betriebe steckt man dort in einer Zwickmühle. Eine Option wäre, die Preise »kundenfreundlich« zu halten und die Mehrausgaben selbst zu tragen. Als Folge für viele Firmen befürchtet der Singener Fleischer in vielen Fällen die Insolvenz. Hebe man die Preise an, führe dies zu einem ähnlichen Ergebnis. »Die Möglichkeit, die Aufschläge über die Theke an die Kunden einfach durchzureichen, ist schwierig. Die rasante Inflation lässt den Verbraucher mehr auf den Preis achten«, fasst Obermeister Denzel seine Beobachtung zusammen. Ein Kostenanstieg bei Fleisch, Wurst und Brötchen würde so zu weniger Kunden führen.
Am Ende beider Szenarien stehen also der Verlust von Arbeitsplätzen, geringere Steuereinnahmen für den Staat und über kurz oder lang Betriebsschließungen. Ohne Unterstützung stehen Bäcker und Metzger förmlich im Schachmatt, ihre Waren teurer zu verkaufen ist laut Denzel »die einzige Möglichkeit, wenn die angesagten Preissteigerungen alle umgesetzt werden.«

Auch zur längerfristigen Entwicklung findet er klare Worte: »Nach Meinung unserer Berufsverbände und im Kollegenkreis unserer Innung schätzen wir, dass sich die Situation frühestens in 2–3 Jahren entspannen wird. Allerdings nur, wenn sich eine alternative Energieversorgung umgesetzt hat, sich die Produktionsabläufe gefestigt haben und Lieferketten wieder durchgängig funktionieren.
Diese Zeitspanne werden allerdings sehr viele kleine und mittelständische Betriebe nicht überbrücken können. Auch hiervon sind alle Gewerke im Handwerk betroffen.« Die dadurch entstehenden Krisen beschränken sich dabei nicht nur auf die Unternehmen und deren Mitarbeiter.

»Handwerk darf von der Regierung nicht vergessen werden«

Unter dieser Überschrift spricht der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) in seinem Schreiben vom 31. August eine dringend nötige Energiepreisbremse und gezielte Hilfsmaßnahmen für handwerkliche Unternehmen an. Schließungen und fehlende Arbeitskräfte würden zum Beispiel zwangsläufig dazu führen, dass der notwendige Wandel Richtung nachhaltiger Energie deutlich langsamer vorangehen könnte.
»Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass etwa OP-Kleidung für Krankenhäuser von Textilreinigern steril aufbereitet wird und unser tägliches Brot aus dem Ofen des Bäckers vor Ort kommt. Auch die Politik muss erkennen, dass eine existenzielle Gefährdung von Betrieben gravierende Folgen hat«, so Hauptgeschäftsführer des Handwerkstags Peter Haas.

»Wir brauchen eine gerechte Entlastung«, stellt auch Karl Denzel klar, eine Gassteuersenkung genüge hier für die Produzenten nicht. »Aus der Sicht des DFV wäre es besser, die Energiesteuern insgesamt zu reduzieren, damit Betriebe mit hohem Energieaufwand von Entlastungen profitieren.«

Auch in den Bäckereien der Region steigen die Energiekosten in einem besorgniserregenden Maß. Tobias Nestel, Obermeister der Bäckerinnung Schwarzwald-Bodensee, berichtet, dass sein Strom inzwischen 30 Prozent teurer ist. Bei Kollegen hätte sich der Preis zum Teil vervierfacht, ähnlich beim Gas. Lösungen zur Einsparung von Energie erarbeite man in der Bäckerei in regelmäßigen Besprechungen mit den Mitarbeitern. So sind diese nun beispielsweise in der Backstube angewiesen, die Öfen noch effizienter zu nutzen und zu bestücken. Außerdem kontrolliere der Bäckermeister die Einkaufspreise von Rohstoffen und Energie beinahe täglich und enden Verhandlungen hier zu seinen Ungunsten, muss er die Verkaufspreise weiter erhöhen, obwohl sie »jetzt schon feststellen, dass die Kaufkraft etwas schwächer wurde.« Dabei bestehe immer die Gefahr, Kunden an Industrie und Discounter zu verlieren. Bleiben Maßnahmen der Regierung aus, wie ein finanzieller »Rettungsschirm, am besten mit der Innung abgesprochen«, so die Forderung Nestels, sei die Grundversorgung in ländlichen Regionen, wie auch »tausende Betriebe und Arbeitsplätze bereits im September gefährdet.«

Für die Bäckerei Engelhardt in Radolfzell sind die Verteuerungen ebenfalls deutlich spürbar. »Wir backen schon mit einem Ofen weniger, um Gas zu sparen«, der langfristige Umstieg auf Strom sei zwar angedacht, jedoch eben genau das: langfristig und nicht so schnell umsetzbar.
Eine erste Preiserhöhung von 15 bis 20 Prozent auf Kuchen, Brot und Brötchen sei in Radolfzell bereits erfolgt. Doch dabei wird es nicht bleiben, eine weitere Verteuerung in noch unkalkulierter Höhe kündigt sich bereits an. Hier unterstreicht der Handwerksbetrieb ebenfalls eine Deckelung der Energiekosten und Zuschüsse für die energieintensiven Betriebe als Lösungsweg und dringend notwendig.

Ein etwas anderes Bild zeichnet Landmetzger Bernhorst Koch: »Im Thema Preissteigerungen halten wir uns noch sehr zurück.« Durch langjährig hohe und stabile Einkaufspreise bei Rind- und Schweinefleisch seien bisher Preisaufschläge nur bei Geflügel und Milchprodukten nötig geworden. Zudem rechnet der Fleischer mit einer Verdopplung der Kosten bei Strom und Gas, baut jedoch auf die langfristige Treue seiner Kunden. »Einfach gerechnet, je mehr Kunden Ihren täglichen Bedarf bei uns als Metzger Ihres Vertrauens decken, um so leichter können wir unsere steigenden Energiekosten insgesamt verteilen und können so starke Preissteigerungen verhindern.«

BU Fortsetzung: In regelmäßigen Besprechungen erarbeitet der Obermeister der Bäckerinnung Schwarzwald-Bodensee Tobias Nestel (im Bild) mit seinen Mitarbeitern Wege, um Energie einzusparen. Ein Ansatz: Die Ofenkapazitäten noch effektiver nutzen.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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