Parteitag in Stockach: Weg frei für neue Landesregierung
Kreis-CDU billigt Koalitionsvertrag

Foto: Mit grünen Zetteln stimmten die Mitglieder der Kreis-CDU Konstanz auf ihrem Parteitag in Stockach bei fünf Enthaltungen für die Annahme des grün-schwarzen Koalitionsvertrags auf Landesebene. swb-Bild: sw
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Kreis Konstanz (sw). Das baden-württembergische Wahlverfahren bei Landtagswahlen wird geändert. Bei künftigen Urnengängen zum Landesparlament soll es wie bei Bundestagswahlen zwei Stimmen geben – eine für den Direktkandidaten des Wahlkreises und eine für die Landesliste der Parteien. Das ist einer der Beschlüsse aus den grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen, die der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung im Rahmen des 55. Parteitags des CDU-Kreisverbandes Konstanz im Stockacher Bürgerhaus »Adler Post« bekannt gab.

Als Bezirksvorsitzender der CDU-Südbaden war er in die schwierigen Verhandlungen mit eingebunden gewesen und gab nun seinen Parteikollegen einen ersten Überblick über die gefassten Kompromisse. Nach Vortrag, Aussprache und Diskussion votierten die 109 stimmberechtigten Mitglieder bei fünf Enthaltungen mehrheitlich für die Annahme des Koalitionspapiers und den Start der ersten grün-schwarzen Regierung. Der als Redner angekündigte Landesvorsitzende Thomas Strobl konnte an dem Parteitag der Konstanzer Kreis-CDU nicht teilnehmen, da er parallel dazu den Bezirksparteitag seiner Partei in Plochingen besuchte, wie der Kreisvorsitzende Willi Streit bekannt gab.

Andreas Jung bemühte sich in seiner gut strukturierten Rede, die wichtigsten Eckpunkte und die Ergebnisse in den Kernthemen des Koalitionsvertrags publikumsrelevant zusammenzufassen. Die Absage an »Fracking«, den geplanten Abschluss eines Staatsvertrags zum Atomendlager in der Schweiz und die Forderung nach einem Abschalten riskanter Atomkraftwerke in den Nachbarländern wertete der Jurist als positive Signale für die Region. In der Innenpolitik sei die umstrittene Kennzeichnungspflicht für Polizisten vom Tisch, gleichzeitig sollen 1.500 neue Stellen bei der Polizei geschaffen werden, um dem Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung auch durch mehr Präsenz Rechnung tragen zu können.

In der Bildungspolitik, Kern- und Filetstück jeder Landespolitik, ging das Kultusministerium an die CDU. Hier seien strengere Kriterien für weitere Gemeinschaftsschulen, das Ende ihrer finanziellen Bevorzugung sowie die Stärkung der Realschule durch eine Aufstockung der Poolstunden beschlossen worden, erklärte Andreas Jung. Die Grundschulempfehlung muss zudem künftig wieder von der aufnehmenden Schule neben dem Elternwillen berücksichtigt werden. Und beim Gymnasium wurde die Beibehaltung der G8-Modellschulen mit einem achtjährigem Weg zum Abitur festgeschrieben.

Bei der Energiepolitik konnten laut Andreas Jung wichtige CDU-Positionen in der Koalitionsvereinbarung verankert werden: Die einseitige Fixierung auf Windenergie sei vom Tisch, dafür sollen andere Formen regenerativer Energien wie Wasserkraft oder Geothermie gefördert werden. Mit Blick auf die Abstände von Windkraftanlagen zu Siedlungen konnte sich die CDU mit der Festlegung von 1.200 Metern durchsetzen.

Sorge bereitet dem Christdemokraten die Haushaltslage im Land: Entgegen den Beteuerungen von Grün-Rot im Wahlkampf klaffe ein Defizit von 2,7 Milliarden Euro im nächsten Jahr im Haushalt. Hier seien eine Schuldenbremse, Einsparungen und eine Konsolidierungsverpflichtung vereinbart worden. Denn: »Kommende Generationen sollen nicht mit Schulden belastet werden. Das wäre eine Sünde.«

Neben einer verhaltenen Aufbruchstimmung durch die geschaffte Regierungsbeteiligung leckte die CDU aber auch die durch das Ergebnis der Landtagswahl geschlagenen Wunden. Kreis-Chef Willi Streit zitierte Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, der verschiedene Gründe für das Scheitern der Christdemokraten ermittelt hatte: Strategische Fehler des Spitzenkandidaten Guido Wolf, Modernisierungsdefizite, Abwanderungen der wichtigen Gruppe der über 60-Jährigen und der Basisverlust bei den eigenen Wählern hätten zu dem desaströsen Ergebnis geführt. So waren allein 190.000 bisherige CDU-Anhänger zur rechtspopulistischen »Alternative für Deutschland« (AfD) abgewandert. Die CDU im Landkreis Konstanz habe in Folge der Wahl und dem Verhalten ihrer Verantwortlichen danach bisher 18 Austritte zu verzeichnen, so Wiili Streit.

Die sich an die Statements und die Vorstellung des grün-schwarzen Koalitionsvertrags anschließende Diskussion war sehr rege und zielte auf Detailfragen ab, die Andreas Jung in seinem pragmatisch-schlaglichtartigen Überblick nicht erwähnt hatte. Auch das unvermeidliche Thema der Flüchtlingsproblematik, obwohl eigentlich Bundesthema, wurde erwähnt. Hier verwies Andreas Jung auf eine geplante Rückführungspolitik, den wichtigen Integrationsauftrag und Nachteile für Asylbewerber, die westlich-demokratische Werte nicht akzeptierten. Mit Blick auf die angesprochene Wertediskussion bei Kindern und Familien betonte er, die Wahlfreiheit der Frau müsse gewahrt bleiben.

Kritik hatte es auch daran gegeben, dass bezüglich des Koalitionsvertrags keine Mitgliederbefragung durchgeführt werde. Hier, so Andreas Jung, sei das Votum der Kreisparteitage der bessere und vor allem schnellere Weg. Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen wies er darauf hin, dass die FDP sich jeglichen Gesprächen verweigert hätte. Die Liberalen hätten sich auf keine Verhandlungen eingelassen, sondern sogleich auf ihre Oppositionsrolle verwiesen. Die SPD habe einer möglichen Deutschland-Koalition ebenfalls kategorisch eine Absage erteilt: Der Wählerwille sei die Beibehaltung von Winfried Kretschmann als Ministerpräsident. und dem wollten sich die Genossen nicht entgegen stellen. Sie wollten keine Beugung des Wählerwillens. Eine Neuwahl bei einem Scheitern der Koalitionsverhandlungen, so Andreas Jung, hätte das Vertrauen in die etablierten Parteien weiter minimiert, für eine Zunahme der Politikverdrossenheit und eine Stärkung der »AfD« gesorgt.

Daher sei die grün-schwarze Regierungskoalition mit der für die CDU schmerzhaften Rolle als Juniorpartner die beste Alternative gewesen. Immerhin trage das Koalitionspapier deutliche die Handschrift der CDU und wichtige Ressorts konnten für die Christdemokraten bei der Vergabe von Ministerposten gewonnen werden. Die Delegierten der Kreis-CDU schlossen sich mehrheitlich seinem Urteil an und machten damit ihrerseits den Weg frei für eine grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg.

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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