Riesenapplaus für Premiere auf dem Münsterplatz
"Sterben lernen muss ein jeder für sich"

Das ganze Team der Inszenierung des "Eingebildeten Kranken" vom Theater Konstanz, wurde beim Schlussapplaus richtiggehend gefeiert nach der Premiere am Freitagabend. | Foto: Fiedler
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  • Das ganze Team der Inszenierung des "Eingebildeten Kranken" vom Theater Konstanz, wurde beim Schlussapplaus richtiggehend gefeiert nach der Premiere am Freitagabend.
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Konstanz. Ganz heraus geholt aus vergangenen Zeiten hat das Theater Konstanz Molières Komödie "Der eingebildete Kranke", die dieses Jahr auf dem Münsterplatz unter freiem Himmel als das Sommertheater der Region inszeniert wurde. Unter der Regie von Christina Rast (Bühne Franziska Rast, Kostüme Sarah Borchardt) fühlte man sich zum bitterbösen Finale gar an das britische Comedy-Konsortium "Monty Python" erinnert, mit doch recht scharfen Kommentaren über die Krankheit als Geschäftsmodell, was dem Stück eine ganze besondere Würze im Finale gab.

Die Besucher der ausverkauften Premiere, über die sich Intendantin Karin Becker in ihrer Begrüßung richtig freute, staunten erst mal nicht schlecht über die Bühnenausstattung vor dem historischen Münster. Ein großer Platz braucht eben auch ein richtig großes Bett, in dem Argan (Jasper Diedrichsen) hier seine Leiden mit seiner Verdauung im Zwiespalt mit Toinette (Maëlle Giovanetti) durchlebte, die gleich eine ganze Bande von Medizinern ernährte. Dass es bei auch bei einer so großen Produktion tatsächlich auf alle ankommt, machte Karin Becker deutlich: Schon die Proben seien von zahlreichen Krankheitsausfällen betroffen gewesen, und ausgerechnet in der Generalprobe verletzte sich noch Ioachim-Wilhelm Zarcuela tüchtig am Bein, und kam sozusagen auf vier Rädern auf die Bühne, seine Bewegungen im Stück wurden von Regieassistentin Noemie Reil vollzogen, eine hübsche Doppeldeutigkeit.

Überhaupt die Doppeldeutigkeit: Das "e" wurde gleich mal weggelassen beim "eingebildete", um schon mal zu zeigen, dass hier manches anders wird. Fast wie Barbie-Punks sind die SchauspielerInnen geschminkt und ausstaffiert. Schon zum Start wird diese berühmte Komödie, die eigentlich schon selbst eine Karikatur ist, nochmals überhöht, bis ins Groteske verzogen.

Argan, der eingebildet(e) Kranke, wirkt fast wie ein Idiot, wie er da seinem Gedärm lauscht, während er die horrenden Rechnungen des Doktor Diaforius (Thomas Fritz Jung) durchgeht. Und der Doktor lässt keinen Zweifel daran, dass er sich und eine Quacksalber-Bande, die zuweilen auch als Chor auftritt, durch diesen Patienten reich und reicher werden lassen will. Argans Frau Béline (Anne Rohde) wankt trunken durch das Bühnenbild, während sich Argan mit Tuba-Fürzen erleichtert. Und es ist natürlich kein Zufall, dass seine Tochter Angélique (Lea Reihl), Thomas, den Sohn des Arztes (Ioachim-Wilhelm Zarcuela/ Noemie Reil), heiraten soll, damit die Klistiere und Einläufe für alle Zeit gesichert wären. Doch Angélique hat sich bereits in Cléante (Miguel Jachmann) nicht nur verguckt und das ist halt einfach ein Daisy-Liebhaber, wie er im Buche steht. Schnell wird klar, dass hier jemand an den Strippen ziehen muss, um die große Katastrophe zu verhindern. Und das ist eben Toinette, die Bedienstete, die hier gefühlt das ganze Stück mit Zigarette im Mund agiert und klar die Heldin dieser Inszenierung ist.

Das Stück hat klar zwei Hälften. Vor der Pause geht es noch reichlich "happy" zu, die ganzen Abgründe, die einst Molière hier über den Mensch aufgegraben hatte, sind kaum wahrzunehmen. Und nach der Pause wird es dann doch richtig finster um den kranken Argan, dem durch seinen Bruder (Julian Mantaj) und letztlich auch Toinette, die sich dafür gar in einen "Arzt" verwandelt, klargemacht wird, dass er eigentlich wirklich nur eingebildet krank ist. Dass er krank gemacht wird durch die Medizin, die "Angst zum Geschäftsmodell" macht und die zum Schluss kommen: Der Mensch ist ein Fehler, er lässt sich nicht retten. Schon weil ja den Menschen inzwischen auf immer mehr Kanälen klargemacht wird, dass sie etwas gegen diese Krankheiten tun sollen - für viel Geld versteht sich - was genau besehen keine Krankheiten sind, sondern eher, dass man nicht einsieht, dass man nicht einsehen will, dass Leben ganz einfach endlich ist. Argan kuriert sich mit Bodenputzen - und das erstaunlich schnell.

Die Musik klingt tatsächlich irgendwie nach "Brian" von Monthy Python, als Cléante zum grandiosen Finale gleich zwei Souffleusen für seinen Heiratsantrag an den Vater der Braut braucht. Und damit ist das Stück zur absolut treffenden Persiflage des Gesundheitswahns geworden und ganz in der Gegenwart gelandet. Ein Meisterstück in der Zielgeraden und eben ein "look on the bright side of life", der schon in manchem Seitenhieb angedeutet wird. Etwa mit Sinnfragmenten, wie "verlassen sie mich nicht" in Anlehnung an eines der Zitate der Kreuzigung, und dass nach dem 7. Tag ein neues Leben beginne, wenn man die Behandlungen sein lassen würde. Argan stirbt ja wirklich auf der Bühne, wenn auch nur zum Schein, um die Motive der zweiten Frau Béline zu entlarven, die es auch auf das Geld abgesehen hatte, des Mannes, der seinen Horizont auf den Durchmesser seiner Kloschüssel reduziert hatte.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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