Wochenblatt-Umfrage zur Abholservice und Paketsteuer
Von Onlinegiganten zum »Multichannel-Handel«

Foto: Im Interview: Nese Erikli (Grüne), Sonja Uhl (Spielwaren Swars), Dorothea Wehinger (Grüne), Alexander Kupprion (Sport Müller), Florian Stein (Juwelier), Christoph Greuter (Buch Greuter), Jürgen Keck (FDP).

Bild: swb
  • Foto: Im Interview: Nese Erikli (Grüne), Sonja Uhl (Spielwaren Swars), Dorothea Wehinger (Grüne), Alexander Kupprion (Sport Müller), Florian Stein (Juwelier), Christoph Greuter (Buch Greuter), Jürgen Keck (FDP).

    Bild: swb
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Seit vergangenen Mittwoch hat der harte Lockdown zahlreiche Händler zur Zwangspause gezwungen. Und das in der umsatzstärksten Vorweihnachtszeit.

Das Wochenblatt fragte noch einmal bei Einzelhändlern und Politikern nach, wie sich die Situation bis heute entwickelt hat, ob die Kunden Online-Angebote nutzen, was es mit dem Verbot von Abholstationen auf sich hat und wie der Vorschlag der CDU Bundestagsabgeordneten Andreas Jung und Haase bewertet wird.

Ausgleich wäre hilfreich

Christoph Greuter von Buch Greuter: »Unsere Kunden bestellen rege in unserem Onlineshop www.buch-greuter.de und freuen sich, dass die Belieferung klappt. Natürlich rufen uns auch viele Kunden an und lassen sich zu ihren Geschenkwünschen beraten. Die letzten Tage vor Weihnachten liefern wir die Bestellungen persönlich aus, um sicherzustellen, dass alles rechtzeitig ankommt. Unter anderem ist dazu unser Bücherbote mit unserem Lastenfahrrad unterwegs. Ein großes Hemmnis ist das Verbot von Abholstationen! Während in anderen Bundesländern Kunden ihre bestellte Ware kontaktlos abholen dürfen, ist dies in Baden-Württemberg ausdrücklich untersagt. Der Versand ist natürlich deutlich zeit und arbeitsaufwändiger. Unser Ziel ist, alle Kundenwünsche rechtzeitig zu erfüllen.

Zur Paket-Steuer: Der Onlinehandel macht den stationären Geschäften natürlich zu schaffen. Die Ungleichheit entsteht aber vornehmlich durch die Tatsache, dass internationale Konzerne wie zum Beispiel Amazon in Deutschland nicht in adäquater Weise Steuern zahlen.

In Zukunft wird Einzelhandel noch mehr als jetzt ›Multichannel‹-Handel sein. Das heißt Kunden wechseln zwischen dem Einkauf im Laden und der Bestellung im Onlineshop des Händlers, so wie wir das bereits praktizieren. Eine Paketsteuer müsste berücksichtigen, wenn stationäre Händler auch Online-Händler sind, so dass diese nicht doppelt zur Kasse gebeten werden. Wenn ein solcher Ausgleich gelingt, wäre er für uns hilfreich.«

Ute Mucha

Unterstützung tut gut

»Es ist natürlich mehr als ärgerlich, dass wir uns nun erneut im Lockdown befinden, zumal die Weihnachtszeit für uns Händler zu den umsatzstärksten gehört«, sagt Sonja Uhl von Spielwaren Swars. Für sie ist es unverständlich, dass diesmal, im Gegensatz zum ersten Lockdown, ein Abholservice nicht möglich ist. »Wir haben bis nach Überlingen am See ausgeliefert. Es ist schön zu sehen, dass die Menschen den Handel vor Ort so unterstützen.« Die Kunden rufen teilweise an, um uns mitzuteilen, dass sie dankbar sind, dass wir für sie da sind«, freut sich Uhl. Die Konkurrenz der Onlinegiganten sei in dieser Zeit mehr denn je zu spüren. »Es ist mir unbegreiflich, warum große internationale Online-Händler bei uns keine Steuern zahlen müssen. Gerade die könnten es sich doch leisten«. Eine Paketsteuer ist in ihren Augen durchaus akzeptabel, wenn der lokale Einzelhandel nicht zusätzlich belastet wird. »Dieses Geschäft ist mein Leben, wir alle hängen sehr daran. Geschäfte dieser Art gibt es hier nicht mehr so oft, das muss erhalten bleiben«, so Sonja Uhl. Das Team macht indes vom 1. bis 10. Januar Betriebsurlaub – das erste Mal, seit das Spielwarengeschäft 1903 eröffnet hat.

Graziella Verchio

Umsatz fehlt zu 100 Prozent

Alexander Kupprion von Sport Müller: »Man muss sich schon im Klaren sein: der Umsatz unseres Geschäfts fehlt zu 100 Prozent in diesen beiden wichtigsten Wochen des Jahres«, sagt Alexander Kupprion vom Sporthaus Müller über den nun verhängten Lockdown. »Wir haben zwar einen wachsenden Onlinehandel mit neuem Auftritt, aber der wächst nur und kann das nie auffangen, obwohl wir inzwischen einen eigenen Lieferservice aufgebaut haben, der die Sachen innerhalb von spätestens 24 Stunden nach Hause bringt. »Was jetzt fehlt, ist die Perspektive wie es weitergehen soll, denn lange halten wir das nicht durch.«

Was die diskutierte Paketsteuer für Onlineriesen wie Amazon beträfe, erachtet es Kupprion als wichtiger, dass das Unternehmen überhaupt erst mal Steuern dort bezahlt, wo es Geld verdient, »so wie wir und alle stationären Händler das auch machen.« Und da sieht er in der Hauptsache nun Europa gefordert, die Marktmacht dieser Giganten zu brechen.

Oliver Fiedler

Ich verkaufe jetzt Nudeln

Florian Stein, Juwelier in Singen, wundert sich nicht nur, er ärgert sich: »Ich sehe im Fernsehen Werbung einer Drogeriemarktkette für Spielzeug weil die im Gegensatz zum Spielwarenhandel offen halten darf, der Discounter verkauft Uhren in seinen Märkten. Also sollte ich am besten Nudeln verkaufen und könnte mein Geschäft wieder öffnen«, sprudelt es aus ihm heraus. Denn der aktuelle Lockdown trifft den Familienbetrieb ins Mark, obwohl man nach der Schließung im Frühjahr wieder einiges aufgeholt habe. »Wir können auch erst im kommenden Jahr mit einem Onlineangebot starten, aber eigentlich sind wir mit unseren Geschäften die mit der besten Qualität und der besten Beratung. Das macht uns aus. »Es wäre einfach notwendig, dass Politiker selbst mal ein Geschäft führen, um zu fühlen, was Existenzängste in dieser Zeit bedeuten. Dann wären die Geschäfte vielleicht auch erst später geschlossen worden, wie in anderen Ländern.« Was eine Paketsteuer betrifft, befürchtet Stein »dass da nix passiert«.

Oliver Fiedler

Übers Ziel hinausgeschossen

Jürgen Keck (FDP): »Die Grün-Schwarze Landesregierung Baden-Württemberg ist mit diesem Verbot über das Ziel hinausgeschossen. Sie begründet ihr Vorgehen damit, lange Schlangen vor den Geschäften vermeiden zu wollen. Im ersten Lockdown haben aber viele Familienunternehmen bereits bewiesen, dass die kontaktlose Abholung sehr verantwortungsbewusst umgesetzt werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass sich Infektionsschutz und wirtschaftliche Perspektiven miteinander verbinden lassen.

Statt unseren Familienunternehmen und dem Mittelstand jetzt unter die Arme zu greifen, nimmt man ihnen den letzten Strohhalm. Wir machen unsere Innenstädte kaputt, da hilft auch keine Extrasteuer für den Onlinehandel, wie sie MdB Andreas Jung nun fordert.«

Dominique Hahn

Rückgrat Einzelhandel

Dorothea Wehinger (Grüne): »Uns ist die schwierige Lage sehr bewusst, in die viele EinzelhändlerInnen, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, durch die derzeitigen Schließungen geraten. Aber klar ist: Wir müssen unsere Kontakte radikal reduzieren. Dazu zählen auch Kontakte in den Innenstädten und vor den Geschäften des Einzelhandels. Die Pandemie-Lage hat sich dramatisch verschärft. Die mit dem verschärften Shutdown verbundenen Geschäftsschließungen sind daher wichtig, um eine weitere unkontrollierte Verbreitung des Virus zu verhindern. Wir dürfen jetzt kein Risiko eingehen und diese wichtigen Maßnahmen durch Ausnahmeregelungen wie »Click & Collect« konterkarieren. Die jetzt getroffenen Regelungen geben den Betrieben aber trotzdem noch Möglichkeiten: Lieferungen an die KundInnen nach Hause sind weiterhin zulässig. Wir sind uns bewusst, dass dies dem Einzelhandel nur teilweise hilft. Die Erweiterung der Überbrückungshilfe III des Bundes ist daher ein wichtiges Instrument, um die Unternehmen zu unterstützen. Wir sind außerdem in ständigem Austausch mit der Landesregierung, um zu klären, wie das Land den Einzelhandel noch besser und gezielter unterstützen kann. Denn der lokale Einzelhandel ist das Rückgrat für attraktive und lebendige Ortskerne und Innenstädte bei uns im Land.«

Dominique Hahn

Einschneidende Maßnahmen

Nese Erikli (Grüne): »Die Pandemie-Lage hat sich in den letzten Tagen dramatisch verschärft und übersteigt in ihrem Ausmaß die Infektions- und Todeszahlen vom Frühjahr massiv. Hinter diesen Zahlen stehen Menschenleben, um die Angehörige und Freunde bangen und trauern. Daher müssen wir alles unternehmen, um die Kontakte und Begegnungen möglichst stark zu reduzieren. Abholstationen würden in der jetzigen Situation nicht helfen, die Kontakte zu vermindern.

Allerdings bleibt dem Einzelhandel noch die Möglichkeit, den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger durch Lieferungen nachzukommen. Dies ist eine Möglichkeit, die ich ausdrücklich empfehle, denn dadurch können die Geschäfte in den Innenstädten über die Krise gebracht werden. Außerdem stellt auch die Überbrückungshilfe III des Bundes ein wichtiges Instrument dar, um die Unternehmen zu unterstützen. Die eingeleiteten Maßnahmen sind zwar einschneidend, aber je schneller wir die Infektionszahlen senken, desto schneller können wir die Maßnahmen auch wieder lockern.«

Dominique Hahn

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.