Klare Position gegen Beleidigungen, Rassismus und Diffamierung im Internet beziehen
Wenn Hetze und Hass das demokratische Klima vergiften

Hass und Hetzte im Internet | Foto: swb-Bild: AdobeStock_
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Landkreis Konstanz. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Sie ist im Grundgesetz verankert und ein grundlegendes Element einer funktionierenden Demokratie. Doch immer öfter werden besonders in den unkontrollierbaren Weiten des World Wide Web Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten.

Statt mit einer respektvollen Streitkultur die Balance zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu wahren, wird mit einem Klick Hetze und Hass gegen Andersdenkende tausendfach im Netz verbreitet – eine Tendenz, die Konsequenzen für die Gesellschaft hat und sogar als Gefahr für die Demokratie gesehen wird.
Betroffen von Verleumdungen, Beschimpfungen und Shit-storms sind alle Bevölkerungsschichten jeglichen Alters, aber vor allem Personen des öffentlichen und politischen Lebens.
Schreier im Visier
Jüngstes Beispiel dafür ist der OB-Wahlkampf in Stuttgart, wo sich Tengens Bürgermeister Marian Schreier als unabhängiger Kandidat nicht nur Unterstellungen, Fake News und anderen Falschbehauptungen im Netz ausgesetzt sieht. So schreibt der 30-Jährige, der im zweiten Wahlgang gegen zwei Konkurrenten antritt, am vergangenen Samstag auf seiner Facebook-Seite: »Nachdem wildeste Verschwörungstheorien über mich verbreitet werden, wurde gestern Nacht auch noch mein Auto beschädigt. Ich bin als Kommunalpolitiker einiges gewohnt und will die Sachbeschädigung nicht überbewerten, wünsche mir aber, dass wir wieder zu der fairen, an der Sache orientierten Diskussion des ersten Wahlgangs zurückkehren.«
»Ich bin fassungslos«
Dieser Appell an Vernunft und Fairness im Umgang miteinander in der heißen Wahlkampfphase nutzte wenig. Am Montag musste Schreier nachlegen, um weiteren Unterstellungen hinsichtlich einer Verbindung zu »Operation Libero«, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die in der Schweiz mehrere Volksinitiativen der rechtskonservativen SVP erfolgreich bekämpft hat, entgegenzutreten. Wie heftig die digitalen Attacken binnen weniger Tage eskalierten fasst Marian Schreier in einer persönlichen Bemerkung zusammen: »Ich bin fassungslos, dass offizielle Unterstützer von Hannes Rockenbauch, wie z.B. Luigi Pantisano oder Joe Bauer, nicht davor zurückschrecken, üble Verleumdungen zu verbreiten, die geeignet sind, meine persönliche Integrität zu zerstören. Ich wünsche allen daran Beteiligten, dass sie nie erleben müssen, was meine Familie, mein Team und ich in den letzten Tagen durchmachen mussten.«
Doch neben dem Cybermobbing durfte der Kommunalpolitiker auch viel Zuspruch für seine souveränen Reaktionen auf die Angriffe im Netz erfahren.
So schreibt Rupert Metzler, ehemaliger Hilzinger Bürgermeister, der ebenfalls schon Zielscheibe von Internet-Hetze war: »Lieber Marian, ich kenne dieses Gefühl nur zu gut! Bleib klar in der Kommunikation und standhaft. Diejenigen, die hier mit Dreck schmeißen, zeigen nur, welch Geistes Kind sie sind! Traurig, dass dieses Pack eine, wenn auch kleine, aber lautstarke Unterstützerschaft haben. Bleib wie du bist, aufrecht und standhaft, dann wird dir der Erfolg sicher sein.«
Auch die Gottmadinger Schriftstellerin Ulrike Blatter weiß ein trauriges Lied über Hassmails und Shitstorm zu singen. Im Vorfeld der Bürgermeisterwahl in Gottmadingen wurde in einem sozialen Netzwerk ein Sturm auf die örtliche SPD ausgelöst, nachdem diese sich kritisch über ein digitales Bürgerforum in der Gemeinde geäußert hatte. »So ein Shitstorm kann eine unglaubliche Wucht entwickeln«, erinnert sich Blatter, die Schriftführerin des SPD-Ortsvereins ist, und betont: »Das ist emotional schwer zu verkraften, wenn man mit so viel Negativem übergossen wird.« Deshalb rät sie Betroffenen, sich in solchen Situationen Hilfe zu holen (zum Beispiel bei HateAid oder Ichbinhier e.V.) und mit offenen Augen im digitalen Netz unterwegs zu sein.
Klare Position
Grundsätzlich sieht die Autorin aber die Verpflichtung, gegen Beleidigungen, Verunglimpfungen, Rassismus und Diffamierung im Internet klare Position zu beziehen und jeglichen undemokratischen Tendenzen energisch entgegenzutreten. Ihr ist es trotz oder gerade wegen der massiven digitalen Angriffe wichtig, auch positive Seiten aufzuzeigen: »Während des Shitstorms haben sich viele, vor allem junge Leute bei uns gemeldet und uns unterstützt – und das macht richtig Mut.«
Auf sachlicher Ebene
Gottmadingens Bürgermeister Dr. Michael Klinger blieben ähnliche Auswüchse im Wahlkampf persönlich zwar erspart, doch die Bedeutung des digitalen Einflusses in der politischen Meinungsbildung ist ihm sehr wohl bewusst – auch angesichts von Verschwörungstheorien, die in einer Facebook-Gruppe über Manipulation bei der Briefwahl gestreut wurden. Er betonte nach seiner Wiederwahl, dass für ihn »freie und faire Wahlen das höchste Gut der Demokratie« seien, die auch durch Provokateure nicht gefährdet werden dürfen. Als bewährte Methode bei digitalen Anfeindungen verweist Klinger auf die unterschiedlichen Kommunikationsebenen, die im Austausch oder bei Reaktionen in sozialen Netzwerken wichtig sind. »Provokanten Fragen oder Beiträgen stelle ich seriöse Fakten gegenüber. Statt emotional, reagiere ich ganz sachlich und ruhig.« Mit der Versachlichung laufen Provokationen ins Leere und bieten keine weiteren Angriffsflächen.

Dieses Vorgehen sieht auch Johannes Moser, Bürgermeister aus Engen, als sinnvoll an. Er attestierte seinem Kollegen Schreier die einzig richtige Reaktion auf die Beschädigung seines Autos und die Beleidigung. »Er hat die Sachlage geklärt, Anzeige erstattet und für einen fairen Wahlkampf plädiert. Das zeigt, dass Marian Schreier mit diesem Druck umgehen kann.« Doch die Aktion als solches wertet Moser als absolutes No Go: »Politische Auseinandersetzung geht über Sachargumente«, betont Moser und sieht es als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gegen den respektlosen Umgang in den sozialen Netzwerken vorzugehen. »Das erinnert an Stammtischgespräche von früher und es hat absolut nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, wenn nur die eigene Meinung gilt.«

Autor:

Ute Mucha aus Moos

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