Klimaaktivisten zur Klimakrise
Fridays for Future kontert Leserbeitrag zur Energiewende

Die Fridays-for-Future-Gruppen aus Radolfzell, Singen und Konstanz nehmen Stellung zu dem Leserbeitrag vom 21. Dezember. swb-Bild: Archiv/Linda Götz
  • Die Fridays-for-Future-Gruppen aus Radolfzell, Singen und Konstanz nehmen Stellung zu dem Leserbeitrag vom 21. Dezember. swb-Bild: Archiv/Linda Götz
  • hochgeladen von Tobias Lange

Landkreis Konstanz. Der in der WOCHENBLATT-Ausgabe vom 21. Dezember veröffentlichte Leserbeitrag zur Energiewende hat zahlreiche Reaktionen verursacht. Einige Leser teilen die dargestellten Meinungen. Ein weitaus größerer Teil kritisierte aber, dass falschen oder strittigen Aussagen unkommentiert eine Bühne geboten worden ist. Eine der ausführlichsten Reaktionen stammt von der Fridays-for-Future-Bewegung aus Radolfzell, Singen und Konstanz. In einer gemeinsamen Stellungnahme greifen sie die Argumente des Beitrags auf, widerlegen diese und liefern ihrerseits zahlreiche Quellen, auf die sie sich stützen.

Frage: Wie kann Deutschland seinen Energiebedarf decken, ohne in neue Abhängigkeiten zu geraten?
Aussage: „Dies ist ohne atomare Nutzung oder Energie durch fossile Ressourcen so gut wie nicht möglich ...“
FFF:  Dies ist falsch oder zumindest sehr missverständlich ausgedrückt. Deutschland kann langfristig seinen Energiebedarf durch 100 Prozent erneuerbare Energien decken, durch die wir unabhängig wären.

Aussage: „Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob wir das Klima überhaupt retten können und müssen? ... Es gibt sehr viele Experten, die diesem Narrativ widersprechen ...“
FFF: Es stimmt zwar, dass es primär nicht darum geht, das Klima zu retten. Das Klima hat ja schlussendlich nicht das Problem, sondern wir Menschen und viele andere Lebewesen, die auf diesem Planeten leben. In diesem Kontext klingt es allerdings viel eher so, als würde der wissenschaftliche Konsens über die Problematik der Klimakrise angezweifelt. Dies ist allerdings faktisch falsch.

Aussage: „So war der CO₂-Gehalt 1890 genauso hoch wie heute – 0,04 Prozent.“
FFF: Das ist eindeutig falsch! Es gibt diesen Eintrag zwar tatsächlich in „Meyers Lexikon“, allerdings gab es damals noch keine genauen Mess-Methoden. Neuere Messungen belegen dagegen einen Anstieg des CO₂-Gehalts.

Aussage: „Unsere Luft besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff, 21 Prozent Sauerstoff und einem Prozent Edelgase – darin enthalten 0,038 Prozent CO₂. Davon produziert die Natur selbst etwa 97 Prozent. Den Rest der Mensch. Der Anteil, den Deutschland wiederum daran hat, beträgt 3,1 Prozent. Damit wollen wir die Führungsrolle in der Welt übernehmen, was uns jährlich etwa 50 Milliarden Steuergelder kostet?“
FFF: Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll. Die Ausgangszahlen sind zwar richtig, allerdings werden daraus falsche Schlussfolgerungen gezogen. Nämlich, dass ein geringer CO₂-Anteil auch eine verschwindend geringe Wirkung auf das Klima bedeutet. Dies ist aber falsch. Eric Fee vom Umweltbundesamt schrieb folgendes: „Zurzeit ist die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre circa 405 ppm (Teile pro Million). Das klingt sehr gering. Aber vor der Industrialisierung war die Konzentration nur 277 ppm. Durch diese vergleichsweise starke Erhöhung der Konzentration ist die globale Durchschnittstemperatur um circa einen Grad Celsius gestiegen.“
Darüber hinaus sind die 0,038 Prozent auch veraltet und noch von 2010. 2018 waren es schon 0,0407 Prozent. Und auch die Annahme, dass der Mensch nicht der Grund für den Klimawandel sei, weil er ja „nur“ für drei Prozent des emittierten CO₂ verantwortlich sei, ist falsch, da das CO₂, das von der Natur emittiert wird, durch den Kohlenstoffkreislauf wieder umgesetzt wird. Laut dem Synthesebericht 2007 des IPCC erhöhen die menschlichen CO₂-Emissionen dagegen die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre, denn sie können im Kohlenstoffzyklus nicht vollständig umgesetzt werden.
Dass Deutschland keine Verantwortung in Sachen Klimaschutz übernehmen müsse, da wir ja „nur“ für 3,1 Prozent beziehungsweise meinen Recherchen nach „nur“ für zwei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich seien, ist auch ein Fehlschluss, wenn man bedenkt, dass Deutschland zu den Top Ten der weltweit größten CO₂-Verursacher zählt. Da die Klimakrise ein globales Problem ist, an dem sehr viele Staaten einen Anteil haben, der für sich genommen verhältnismäßig gering wirkt, darf daraus nicht geschlossen werden, dass niemand etwas tun muss. Der pro Kopf CO₂-Ausstoß in Deutschland liegt weit über dem weltweiten Durchschnitt von circa fünf Tonnen CO₂. In Deutschland sind es pro Kopf 9,7 Tonnen. Daher sollte Deutschland nicht weniger, sondern stärker zur CO₂-Reduktion beitragen, als viele andere Staaten. Darüber hinaus ist es auch ein Trugschluss, dass Klimaschutz „zu teuer“ sei, da die Kosten für Schäden durch Extremwetter, Ernteausfälle und verringerte Produktivität deutlich teurer sind als die Ausgaben für Klimaschutz. Selbst optimistische Schätzungen gehen davon aus, dass Klimaschutz günstiger ist als keine Maßnahmen zu ergreifen.

Aussage: „Bei großflächigen Solarparks stellt sich mir die Frage, welche Auswirkungen die große Reflexion der Sonnenstrahlen in die Atmosphäre hat.“
FFF: Ob Solarparks durch die Reflexion der Sonnenstrahlen einen nennenswerten Einfluss auf das lokale Klima haben, ist umstritten. Allerdings ist Photovoltaik trotzdem mit relativ hoher Sicherheit eine der klimaschonendsten Möglichkeiten zur Energiegewinnung.

Aussage: „Warum werden die Klimaaktivisten von unserem Wirtschaftsministerium finanziell gefördert?“
FFF: Die Antwort ist ganz simpel. Sie werden nämlich überhaupt nicht finanziell vom Wirtschaftsministerium unterstützt. Ich vermute, dass sich diese Aussage auf das Gerücht bezieht, dass die letzte Generation 150.000 Euro vom Wirtschaftsministerium erhalten habe. Diese Behauptung wurde von einer AfD-Bundestagsabgeordneten verbreitet und ist faktisch falsch. Es wurde in Wahrheit bloß das Projekt „Gruppenkonto“ des Unternehmens Elinor gefördert. Bei diesem Unternehmen hat auch die letzte Generation ein Konto. Von den Zahlungen profitierten die AktivistInnen aber nicht.

Aussage: „Die Frage ist auch, ob wir die Temperaturen überhaupt beeinflussen können.“
FFF: Die Antwort ist ja, können wir. Der IPCC-Sachstandsbericht kommt zu dem Schluss, dass die bisher verursachten Treibhausgas-Emissionen die eindeutige Ursache für die bisherige und zukünftige Erderwärmung sind. Demnach können wir Menschen die Temperaturen also maßgeblich beeinflussen.

Aussage: „Auf der Erde gab es immer wieder sehr warme Phasen.“
FFF: Das ist erst mal richtig. Klimaschwankungen gab es auch schon früher. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Klimaveränderung, mit der wir es jetzt zu tun haben, kein Problem darstellt. Vor drei Jahren hat sich ein Team um den Wissenschaftler Raphael Neukom von der Universität in Bern die Temperaturschwankungen der letzten 2.000 Jahre mal genauer angeschaut und mit der aktuellen Erwärmung verglichen. Dafür nutzten sie unter anderem die Datensammlung des Pages-2k-Netzwerks. Dabei fanden die Forschenden keine Beweise für Klimaschwankungen, die auf der ganzen Welt stattfanden. Mit Ausnahme der aktuellen Klimaveränderung. Der entscheidende Unterschied ist also, dass die aktuelle Klimakrise global ist.
Zudem geschieht die Erwärmung bei der aktuellen Erwärmung um einiges schneller, als bei vergangenen Temperaturschwankungen. So soll es früher in einem Jahrtausend ungefähr ein Grad wärmer geworden sein. Die gleiche Temperaturänderung fand nun in einem Jahrhundert statt.

Aussage: „Wer sich mit Windkraftanlagen befasst, stellt fest, dass sie tatsächlich umweltschädlich sind. Sie enthalten ein Treibhausgas – Schwefelhexafluorid SF6 – welches, wenn es austritt – zum Beispiel bei der Entsorgung – zu großen Schäden in der Atmosphäre führen kann.“
FFF: Auch diese Aussage stimmt erst mal. Man muss das Problem jedoch im Gesamtzusammenhang betrachten: Ja, Windräder enthalten das Treibhausgas Schwefelhexafluorid und ja, dieser Stoff ist ein Treibhausgas, das zur Erderwärmung beiträgt. Die austretenden Mengen entweichender CO₂-Äquivalente sind jedoch, zum Beispiel im Vergleich mit Steinkohle, verschwindend gering. In einem Zeitraum von einem Jahr entweichen in einer Windkraftanlage beispielsweise 0,0705 Tonnen CO₂-Äquivalente durch SF6. Eine Windkraftanlage spart jedoch pro Jahr 3.415 Tonnen CO₂ ein! Selbst wenn eine Windkraftanlage kaputtgeht, hat sie deutliche positive Auswirkungen für das Klima. Dabei können potenziell 70,5 Tonnen CO₂-Äquivalente durch SF6 entweichen. Das ist also noch immer kein Vergleich zu dem CO₂, das Windkraft einspart. Zudem wird Schwefelhexafluorid nicht nur in Windkraftanlagen verbaut, auch in anderen Schaltanlagen wird es verwendet. Das Gas kommt in jedem Trafohäuschen zum Einsatz, das keine SF6-freie Technik verbaut hat.
Gerade weil SF6 so viel verwendet wird, sollte dennoch nach Alternativen dazu gesucht werden. Laut der Tagesschau gibt es diese auch schon, sie werden in Windkraftanlagen jedoch noch nicht verwendet. Meiner Meinung nach ist das Schwefelhexafluorid jedoch kein Grund, Windkraftanlagen im Generellen als „umweltschädlich“ zu bezeichnen.

Aussage: „Außerdem stehen die Windräder im Verdacht, Herzprobleme zu verursachen.“
FFF: Dazu kann ich nur anmerken, dass bisher kein Zusammenhang zwischen Infraschall, den Windräder erzeugen, und Symptomen wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Übelkeit und Schlafstörungen geschweige denn Herzstörungen gefunden wurde. Das Infraschall-Argument basiert auf einem längst widerlegten Rechenfehler. Tatsächlich können keine Unterschiede zwischen Gebieten mit Windkraft und Gebieten ohne Windkraft hinsichtlich der Schallbelastung gemessen werden.

Hier finden Sie den ausschlaggebenden Beitrag:

„Wir haben in den vergangenen Jahren völlig über unsere Verhältnisse gelebt“
Autor:

Tobias Lange aus Singen

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