Jürgen Müller, Geschäftsführer von Sport Müller im Interview mit dem Wochenblatt
»Das stationäre Geschäft hat auf jeden Fall Zukunft«

Jürgen Müller | Foto: Jürgen Müller ist Geschäftsführer von Sport-Müller mit Filialen in Singen und Schwenningen. swb-Bild: pr
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Singen/ Villingen-Schwenningen. Jürgen Müller, Geschäftsführer von Sport Müller, spricht im Interview mit dem Wochenblatt darüber, wie dramatisch die aktuelle Lage für den Einzelhandel ist, ob ein Onlineshop aktuell die Lösung aller Probleme sein kann und was ihm Mut für die Zukunft macht.

Wochenblatt: Herr Müller, wie geht es Ihnen im Moment?
Jürgen Müller: »Persönlich geht es mir soweit gut, abgesehen von dem großen Druck, den die Firma seit einem Jahr auf uns ausübt. Das ist eine große psychische Belastung, denn wir wissen ja nicht, wie es weitergeht. Wir erleben seit einem Jahr die tollsten Dinge und es ist ein Kampf ums Überleben.«

Wochenblatt: Sie sprechen den Kampf ums Überleben an. Viele Einzelhändler, mit denen wir im Januar gesprochen haben, haben damals schon gesagt, dass sie sich nicht mehr über Wasser halten können, wenn der Lockdown noch länger dauert. Inzwischen ist es Ende April. Für wie gefährlich halten Sie die aktuelle Lage für den Einzelhandel.

Jürgen Müller: »Das kommt drauf an, von welchem Einzelhandel wir sprechen. Für die Supermärkte und Discounter ist die Lage gut. Auch was den Internethandel angeht, der ja auch zum Einzelhandel zählt ist die Lage sehr gut, aber für den klassischen stationären Einzelhandel, der jetzt geschlossen ist, wird es dramatisch. Da spitzt sich aktuell die Lage immer weiter zu. Ich gehe davon aus, dass die Geschäfte noch mindestens weitere drei bis vier Wochen geschlossen bleiben müssen. Und da wird das Überleben sicherlich für viele sehr schwierig werden.«

Wochenblatt: Sie haben gerade das Thema Onlineshops angesprochen. Von Seiten der Politik heißt es ja häufig, die stationären Einzelhändler müssen jetzt einfach auf Digitalisierung setzen und Onlineshops eröffnen. Sie betreiben ja mit Sport-Müller auch einen Onlineshop. Kann so etwas aktuell wirklich das Allheilmittel sein?
Jürgen Müller: »Der Umsatz, den wir über unseren Onlineshop machen konnten, hat ganz klar dazu beigetragen, dass wir überleben. Ohne den Onlineshop würden wir mit Sicherheit kurz vor dem Kollaps stehen. Aber die Antwort auf Ihre eigentliche Frage lautet: Jetzt auf die Schnelle einen Onlineshop zu eröffnen ist eine Phantasievorstellung. Wir arbeiten schon seit 2012 an unserem Onlineshop. Wir haben vieles versucht, hatten unterschiedliche Berater und den richtigen Schub haben wir erst seit dem letzten Herbst bekommen, nachdem wir mit einer sehr kompetenten Agentur in Verbindung kamen. Viele denken, das ist so einfach wie »Stecker rein« und dann ist der Onlineshop da. Aber in Wahrheit steckt da unglaublich viel Erfahrung dahinter.
Daneben ist es auch eine finanzielle Frage. Jetzt, wo die Einzelhändler einen Großteil ihres Kapitals in Form von Waren im Lager liegen haben und auch noch für die laufenden Kosten ohne Einnahmemöglichkeiten aufkommen müssen, können sich die meisten so etwas gar nicht leisten. Von den Kosten her ist das so ähnlich als würde man heute eine neue Filiale eröffnen.«

Wochenblatt: Und wenn der Shop dann online ist, steht man direkt in Konkurrenz zu gigantisch großen Händlern wie Amazon, Zalando, Ebay und Co.. Kann man sich da überhaupt behaupten?
Jürgen Müller: »Deswegen muss der Shop gut aufgestellt sein und der Unternehmer muss wissen, wie er sich damit verhält und vor allem wie er in dem großen Angebot gefunden wird. Am Anfang wird man als Einzelhändler nicht darum herum kommen, die Marktplätze von Amazon und Co. zu nutzen, um dort seine Waren zu verkaufen, allerdings verdient man damit kein Geld. Wenn Sie zwischen 15 und 18 Prozent für jedes verkaufte Teil an Amazon abgeben müssen, dann wird das für Ihre Kalkulation schon extrem schwierig.«
Wochenblatt: Gibt es online überhaupt so etwas wie lokalen Handel?
Jürgen Müller: »Nein. Für uns ist das eine große Erweiterung des Kundenpotentials gewesen. Wir waren ja in der Region um Singen und Villingen-Schwenningen schon sehr bekannt und haben einen großen und guten Namen. Aber das Online-Geschäft hat uns in den letzten Jahren konsequent Umsätze weggenommen und zwar aus diesem regionalen Kundenkreis. Diese Umsätze können auch nicht wieder anders aufgefangen werden. Das haben wir aber schon lange vorausgesehen und deswegen mussten wir aus der Regionalität eine Nationalität machen. Mittelfristig wird es sogar eine Internationalität werden, insofern als dass wir zumindest den deutschsprachigen Raum mit Österreich und der Schweiz bedienen wollen.«

Wochenblatt: Also muss man mit einem Onlineshop direkt auf den ganz großen Markt drängen?
Jürgen Müller: »Ja, und dabei ist zu beachten, dass man nicht nur das Know-How und die technischen Voraussetzungen braucht, sondern auch die Warenbeschaffung komplett umstellen muss. Man darf nicht denken, dass man mit dem gleichen Sortiment, das man im Laden hat, auch Online gute Umsätze machen kann. Das Online-Geschäft hat eine ganz eigene Dynamik, die mit dem klassischen vor Ort-Geschäft nicht immer vergleichbar ist.«

Wochenblatt: Hat denn der klassische Einzelhandel überhaupt noch Zukunft?
Jürgen Müller: »Das stationäre Geschäft hat auf jeden Fall eine Zukunft. Der Bedarf am klassischen Einzelhandel wird auch weiterhin bestehen. Wir haben noch immer viele Kunden, die den direkten Kontakt zum Verkäufer wollen und wünschen. Ware durch fühlen, spüren, riechen und anprobieren kennenzulernen. Was sich aber stark ändern wird ist, dass hier nicht mehr die Ware im Vordergrund stehen wird. Wenn man früher eine bestimmte Ware haben wollte, musste man gegebenenfalls weite Strecken fahren in andere Städte um diese zu bekommen. Das hat sich kolossal geändert, denn man bekommt zu jeder Zeit alles bequem von der Couch aus. Deswegen spielt die Ware nicht mehr alleine die dominierende Rolle.
Sicherlich ist es sehr wichtig, eine gute und große Auswahl im Geschäft anbieten zu können, was aber sehr vorrangig für den stationären Einzelhandel werden wird, sind ausgeprägte Dienstleistungen und emotionales Verhalten und Darstellungen. Wir haben diese Komponenten schon seit einigen Jahren in unserer Philosophie verankert. Bei unseren Kunden verstärken sich diese Erwartungshaltungen immer mehr. Dazu gehört beispielsweise, Ski-, Outdoor- und Running-Schuhe durch Vermessungen genau auf die persönlichen Gegebenheiten des Kunden anzupassen. Zu einem guten und individuell angepassten Schuh gehören aber auch die richtige Sohle, Socke und ein passendes Pflegemittel, also ist eine gute individuelle Beratung gefragt. Daneben bieten wir dem Kunden beim Kauf eine Passform- und Performance-Garantie an. Diese bieten ihm die Sicherheit, den richtigen und passenden Artikel gekauft zu haben, ohne groß ein Risiko einzugehen.«

Wochenblatt: Wir haben schon über die Probleme gesprochen, die der Einzelhandel im Moment hat. Haben sie das Gefühl, dass diese von der Politik ausreichend wahrgenommen werden?
Jürgen Müller: »Den Eindruck haben wir nicht. Wir haben eher den Eindruck, dass wir als Alibi dafür benutzt werden, dass die Politik vorweisen kann, etwas getan zu haben«. Schon von Anfang der Pandemie waren wir immer die Leidtragenden zusammen mit der Gastronomie und Kulturtreibenden. Von Politikseite hat man sich überhaupt nicht die Mühe gemacht mal zu schauen welches Infektionsrisiko der Einzelhandel überhaupt mit sich bringt. Wenn man mal schaut, was bei den Discountern passiert, muss man feststellen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Klar, braucht man Lebensmittel und Hygieneartikel, aber wenn Sie zurückdenken an die erste Welle, da wurden noch Einkaufswagen desinfiziert und es durfte nur eine bestimmte Anzahl Kunden gleichzeitig in den Laden. Davon sieht man jetzt nichts mehr. Wenn bei uns Click & Meet gilt, dann sind wir angehalten, je nach Größe des Ladens 20 bis 40 Quadratmeter für einen Kunden freizuhalten. Zudem dürfen Discounter alle Arten von Waren anbieten von Spielwaren, Sportartikeln über Fahrräder bis hin zu Bekleidung. Hier müssen wir mit einer massiven Wettbewerbsverzerrung leben, die von der Politik nicht unterbunden wird.«

Wochenblatt:
Was wäre denn im Moment Ihr Wunsch an die Politik?
Jürgen Müller: »Wir würden uns wünschen, dass einfach ein gerechterer Umgang mit dem Handel stattfindet. Wir verwehren uns ja nicht grundsätzlich gegen die Maßnahmen, zur Bekämpfung der Pandemie und sehen auch darin eine Notwendigkeit. Unser großes Problem ist, dass wir seit gut einem Jahr um unsere Existenzen kämpfen, während andere einen Freibrief haben, der unter Umständen dazu führt, dass sich die Pandemie verschlimmert. Hier müsste genauso klare Kante gezeigt und Maßnahmen strenger umgesetzt werden.«

Wochenblatt:
Bei allem negativen was die Krise mit sich gebracht hat, gibt es ihrer Meinung nach auch positive Entwicklungen oder Erkenntnisse, die Sie gerne mit in die Zukunft nehmen würden?
Jürgen Müller: »Ich glaube, dass sich viele Menschen in vielen Dingen wieder bewusster geworden sind. Positiv für uns war zum Beispiel, dass sich die Leute wieder mehr mit Individualsportarten wie Running, Wandern oder Radfahren beschäftigt haben und unsere heimische Natur dadurch wieder mehr zu schätzen wissen und zusätzlich ihre Gesundheit fördern.«

Wochenblatt:
Sind Sie optimistisch, dass der wirtschaftliche Neustart nach dem Lockdown wieder gut funktionieren kann oder blicken Sie darauf eher mit Sorge?
Jürgen Müller: »Wenn wir nicht optimistisch wären, müssten wir eigentlich längst zu machen. Das Licht am Ende des Tunnels muss ja irgendwann mal erscheinen und nach der ersten Welle der Pandemie hat sich gezeigt, dass wir trotz gewisser Sperrungen, die noch vorhanden waren, wie beispielsweise Mannschaftssport, wieder gute Umsätze machen konnten. Die Kunden waren darauf aus, wieder aktiv zu werden und auch wieder einkaufen zu gehen um sich etwas gutes tun zu wollen. Deshalb glaube ich, dass wir auch nach dem jetzigen Lockdown wieder gute Geschäfte machen können.«

Wochenblatt: Gibt es sonst noch etwas, was Ihnen im Moment Mut macht?
Jürgen Müller: »Mut macht mir das Vorankommen des Impfens. Die Menschen nehmen das Impfangebot an und da wird es jetzt sicher schnell vorangehen. Mut macht mir auch unser Einstieg in den Webshop, der im Moment sehr gut für uns läuft. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir den Lockdown gut überstehen können. Noch vor einem Dreivierteljahr hat das ganz anders ausgesehen.«

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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