Spannender Wochenblatt-Talk auf der Färbe-Bühne am Sonntag
Politik hat bei der Digitalisierung nicht Schritt gehalten

Auf ein Wort 5 | Foto: Beim Wochenblatt-Talk zum Thema Digitalisierung auf der Bühne der Färbe: Gerhard Fischer, Guido H. Baltes, Moderator Walter Studer und Marian Schreier. swb-Bild: of
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Singen (of). „Digitalisierung“ – ein Stichwort das den Umbruch unserer Welt ausrückt in der alles anders werden soll. Ob es Segen oder Fluch sein soll, dem wollte der Wochenblatt-Talk am Sonntag in der Färbe unter der Moderation von Walter Studer nachgehen vor einer erfreulich starken Publikumskulisse mit Prof. Guido H. Baltes von der HTWG Konstanz, Tengens Bürgermeister Marian Schreier, und Gerhard Fischer vom Singener DER-Reisebüro. Kurzes Fazit vorab: Digitalisierung kann die Gesellschaft zum positiven weiter entwickeln – doch da hängt vieles davon ab, wie Politik das steuert.

Gerhard Fischer vom DER-Reisebüro in Singen ist seit 1972 in der Reisebranche tätig: er kann sich noch erinnern, wie man anfangs Flugscheine sogar mit Lochstreifen per Fernschreiber reservierte. Heute sagt er, dass man die große Welle von Online-Reiseanbietern oder Hotelvergleichsportalen Fluch und Segen hat – sein Unternehmen freilich spielt mit beim Thema Digitalisierung. Er sieht dabei durchaus gute Chancen für den stationären Handel, denn der kann durch Digitalisierung die Kunden viel besser informieren, das Reisebüro sei zudem 24 Stunden erreichbar. Digitalisierung bedeutet für ihn auch Globalisierung. Und Digitalisierung bedeutet auch mal weniger Service, was er im Rahmen der jüngsten Streiks erlebt hat, wo die Kunden auf der Suche nach Ansprechpartner bei den Fluggesellschaften waren, aber keine fanden. Ein riesiges Bürokratiemonster sieht er durch das neue EU-Reiserecht auf sich zukommen. Die Arbeit wird für seine Branche nicht einfacher: den die einfachen Vorgänge gingen Online, alles was komplexer wird, landet im stationären Handel. „Da müssen wir schon anders ausbilden“, macht Fischer deutlich. Hier sei soziale Kompetenz wichtiger denn je.

Marian Schreier, einst jüngster Bürgermeister im Land, der seinen Wahlkampf schon „digital“ über soziale Netzwerke gestaltete, aber einräumt, das der persönliche Besuch bei den Wählern schon die größere Rolle spielte, will sein Rathaus freilich digital fit machen. Denn online läuft da schon vieles von der Anmeldung beim Umzug bis zu den „digitalen Akten“, die die Verwaltungsarbeit einmal „papierlos“ machen sollen mit Zugriff von allen möglichen Stellen aus. Freilich, sagt er, muss so was ziemlich gut organisiert werden. Planungsprozesse, die man früher zentral steuern musste könnten heute mit viel mehr Bürgerbeteiligung gestaltet werden, befindet er. In solchen Fällen könnte man inzwischen auch viel leichter an Information kommen, wie das andere gemacht haben. Freilich: in der Arbeitswelt sieht er viele Berufe vor gravierenden Veränderungen. „Wenn vor 30 oder 40 Jahren einer eine Ausbildung machte, hatte das wissen eine relativ lange Halbwertszeit, heute beschleunige sich alles immer mehr. „Durch die Veränderung haben wir auch immer weniger Horizonte der Verlässlichkeit“, bringt er es auf den Punkt. Letztlich müsse sich die Politik genauso internationalisieren wie auch die großen Konzerne. Österreich sieht Schreier in Sachen Digitalisierung wie weiter als Deutschland. In Deutschland streite man hingegen seit Jahren darum, wer nun für die Kosten bei der Digitalisierung der Schulen aufkommen müsse – Land oder Kommunen.

Guido Baltes, Professor in Konstanz, sieht gewaltige Umstrukturierungen auf die Gesellschaft zukommen. Alle haben das Gefühl, das Arbeit wie das Zusammenleben der Menschen fundamental anders wird, das Wie ist aber noch gar nicht so klar. „Privat kann man sich noch relativ lange dazu entscheiden analog zu bleiben, doch beruflich geht das gar nicht“, unterstreicht er. Der Farbfernseher sei 1955 eingeführt worden, die Anpassungszeit habe Jahrzehnte betragen. Das Smartphone sei innerhalb weniger Jahre angekommen, das Tablet schon innerhalb eines Jahres. „Die Gesellschaft muss der technologischen Entwicklung nachziehen.“ Wichtig ist für ihn, die Bevölkerung in solchen Prozessen einzubeziehen – denn Stabilität gebe es inzwischen immer weniger, was sich im letzten Bundestagswahl-Ergebnis wie in der langen Regierungsbildung ausgedrückt habe. „Die Politik hat schon verstanden, dass die Digitalisierung umwälzend ist, sie muss hier aus einer reaktiven Rolle wie die der Kanzlerin in eine aktive übergehen“ fügt dem Marian Schreier hinzu. Die Politik hat seiner Meinung mit der aktuellen Entwicklung nicht Schritt gehalten. Beispiel sind für Baltes die großen Internet-Händler im Vergleich zu Banken. Die Banken würden heftigst reguliert, die Zahlungen über Internet Portale per Paypal verliefen nach ganz anderen Regeln, da gebe es Benachteiligungen. Auch die eigene Hochschule sieht er angesichts der Veränderung vor großen Herausforderungen. Denn dort gibt es noch viele Berufsbilder aus den letzten 40 Jahren, in der Zukunft müsse man die Unternehmen in die Ausbildung nach ihrem Bedarf einbeziehen. Umwälzend werde der Arbeitsmarkt: denn 70 Prozent der Werktätigen seien derzeit noch „repitiv“ tätig in der Wirtschaftswelt. Das seien Tätigkeit die irgendwann von Robotern gemacht werden könnten. Das erfordere sehr viel Bereitschaft zur Umstellung. Derzeit sei eher noch die Tendenz möglichst lange am „alten“ festzuhalten.

Was machen wir mit den Menschen, die in die Digitaliserung nicht einsteigen können“, fragte Klaus Forster aus dem Publikum. „Wir müssen es schaffen, dass nicht ein erheblicher Teil der Gesellschaft ausgeschlossen wird“, antwortete Marian Schreiber. Das sei aber noch nicht mal bei der Bekämpfung des Analphabetismus gelungen“, räumte er ein. Man steuere auf eine Zweidrittel-Gesellschaft zu, ist seine Befürchtung. Guido Baltes zeigte sich auch skeptisch, dass das gelingen könne. Da helfe es nur, den Zugang zur digitalen Welt über eine Breitbandversorgung günstig für den Verbraucher hinzubekommen. „Das ist in Deutschland eine Geschichte des Versagens“, kritisiert Marian Schreier. Einem immer wieder angesprochenen „bedingungslosen Grundeinkommen“ und einer Robotersteuer auf der andern Seite steht Baltes sehr skeptisch gegenüber. Wir müssen schauen, dass wir die Politik in Sachen Digitalisierung fordern, denn sie scheint damit überfordert“, brachte es Moderator Walter Studer auf den Punkt.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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