Gefeierter Narrenspiegel nach zwei Jahren "ohne"
Poppele bringen die Narretei der Stadt auf den Punkt

Silke Korhummel und Nicola Kania im "Friseursalon", natürlich mit dem WOCHENBLATT zur Ärztekrise. | Foto: Fiedler
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  • Silke Korhummel und Nicola Kania im "Friseursalon", natürlich mit dem WOCHENBLATT zur Ärztekrise.
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Singen. Das Motto "Rucket zämme" hat die Poppelezunft bei ihrem Narrenspiegel 2023 treffsicher umgesetzt. Mit einem sehr flotten Showprogramm mit sicher gesetzten politischen Pointen zu den topaktuellen Themen wie kommunalem Ordnungsdienst, Wohnungsnot, dem ewig gesperrten Bahnhübergang, der ausgedörrten Festkultur, den Wirren um das 9-Euro-Ticket über den Kampf ums neue Klinikum bis hin zur nachgeholten Wehmut über die abgebrannte Scheffelhalle sorgten die Akteure, unter der Regie von Ekkehard Halmer, für richtige Begeisterungsstürme in der voll besetzten Halle.

Und auch das Auge kam dabei nicht zu kurz. Die Turner des Stadtturnvereins brachten eine verwegene Show mit Trampolin und Barren als "Sieben Zwerge", als Gäste ersetzten die Tänzerinnen der Hexen und Katzenclique aus Überlingen am Ried die aktuell fehlende Tanzgruppe aus den Zunftreihen und das Finale mit der "Poppelejugend" war ein absolut gut gesetztes Highlight.

"Rucket zämme" beim großen Singener Narrenspiegel

Dass die Narren richtig froh und glückselig waren, endlich mal wieder vor Publikum und vor allem vor einer ausverkauften Halle aufzutreten, war ihnen immer wieder anzuspüren. Der Poppele selbst hatte bei seiner Eröffnung im blitzenden Licht freilich erst mal seinen Text vergessen, was aber mit vielen Hoorig-Rufen regelrecht vom Publikum gefeiert wurde.

Zunftmeister Stephan Glunk schien noch im Corona-Modus, denn sozusagen im Sauseschritt moderierte er das rund dreieinhalbstündige Programm und konnte gleich den Blick auf die Zustände bei der Bahn werfen, die ihre Fahrgäste mit Verspätungen und Zügen, die dann gar nicht fahren, plagt. Die "Tanzgruppe Inge", unter der Leitung von Inge Kaufmann, brachte das Thema, dass man da immer irgendwelchen Zügen hinterherrennen musste, die am Ende gar nicht mehr fuhren, herrlich komisch auf den Punkt. Denn da hilft eigentlich nur schwarzer Humor.

Babsi Lienhard und Benedikt Sauter waren als "Aktivisten" gegen den Klimawandel in den Startlöchern und bekannten sich zur Teelicht-Heizung und zu nur noch jährlichem Duschen. Am Ende siegte angesichts der lockenden Fastnacht dann doch die Erkenntnis, dass "Kutteln" eben doch das vegane Konzept schlagen. Und weil eine regionale Spezialität, seien die am Ende ja auch "gut fürs Klima".

Mannstolle Hadwig

Simon Götz verwandelte sich (nur auf der Bühne und nicht im OP) mit seiner herrlich alefänzigen Büttenrede in Herzogin Hadwig auf Männersuche, bei der freilich, trotz allen interessanten Seitenhieben auf die regionale Politik und die ganzen Männer-Bürgermeister und OB's am Schluss nur Mönch Ekkehardt (Magnus Götz) übrig bleiben konnte, der sie mal über die Schwelle tragen sollte, wenn denn der Weg zur Burg mal wieder offen wäre, was in den letzten Jahren ja auch nicht oft der Fall gewesen war. Wahrlich sprachartistisch gab es da für jeden Stadtrat und jede Stadträtin ein treffendes Versle.

Zunftmeister Stephan Glunk hatte sich in seinem "Liedle" die wundersamen "Apps" vorgenommen, mit denen man sogar die idealen Partner finden könnte, statt wie früher noch "unter'd Leut" zu gehen oder mit denen man den eigenen Kindern bei den Hausaufgagen zusieht. "So ne App" könnte der (anwesende) Landrat sicher auch brauchen bei der Suche nach dem besten Klinikstandort und wär am Ende der große Held.

Glorreiche Momente im Friseursalon bescherten Sandra und Silke Korhummel mit Nicola Kania an närrische Paradepferde in ihrem "Friseursalon", die die "alten" Coronazeiten auf die Schippe nahmen und nun ihre alten Nudeln loswerden mussten, die es ja in vielen Läden gab, damit sie offen bleiben konnten und die den Personalmangel auf den Punkt brachten, der den Termin beim Arzt zur Glückslotterie macht. Schön, wenn man dazu wenigstens bei den Narren lachen durfte, das WOCHENBLATT hatte ja zuvor den Ernst der Lage aufgezeigt.

Die Pause war zum Verschnaufen gut. Denn danach drückten der "neue" Poppelechor mit den Narrenenelten auf die Tränendrüsen mit ihren Erinnerungen an die Scheffelhalle, die nun freilich nach der schlimmen Brandstiftung "wieder in Sicht" ist. Stephan Glunk wie die Narreneltern Ekkehard Halmer und Peter Kaufmann lenkten die Sehnsuchtshow. Und da war noch mehr Gefühl: Clara Paul, Claudius Paul, Flavia Götz und Simon Götz besangen ihre Heimatgefühle, die einen eben doch immer wieder hier an den Hohentwiel zurückrufen. Da leuchtete manches Handylicht, statt Feuerzeug, unter der Bühne.

Stimmungsbomber

Die Salti, Sprünge und Überschläge der StTV-Turner waren natürlich eine Stimmungsbombe und entsprachen ganz dem Tempo des Abends. Dass man das auch ohne jegliche Bewegung, weil angeklebt, führten "Fidele und Nazi" (Rüdiger Grundmüller und Ali Knoblauch) mit ihrem "FFF" vor, was freilich für "Fidele für Feschte" steht, sprich für die Forderung in der Stadt, endlich mal wieder zu feiern, so wie früher und ganz früher eben, wo es sogar noch beim Hohentwielfest ein Festzelt gab. Als Gaststar durfte die "Hexen-Katzen-Clique" hier in der Stadthalle mit ihrem Showtanz mehr als eine Lücke füllen. Ein toller Import.

Der Bahnübergang

Und dann nochmals das Thema Begegnung. "Supergut"- Angelika Berner-Assfalg und Elisabeth Paul philosophierten vor dem geschlossenen Bahnübergang an der Schaffhauser Straße über Wege zu den Kranken und zum neuen Klinikum, dass dann vielleicht nicht mehr hinter einem so oft geschlossenen Bahnübergang liegen könnte. Ein Volltreffer nach dem anderen.
Und wieder die Scheffelhalle, das Wirtesterben, die gnadenlose Ortspolizei und der Wunsch, jetzt "kein Scheiß" zu machen zum Finale von der Poppelejugend, das ins große Finale mündete. Eins ist sicher: es war der schnellste Narrenspiegel aller Zeiten, und der mit der besten Trefferquote.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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