Fragen an die Landtagskandidaten aus dem Wahlkreis Singen-Stockach
Wieviel Macht brauchen die Kommunen?

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Singen-Stockach. Das »Subsidaritätsprinzip« wurde in den letzten Jahren oft angemahnt. Es bedeutet verständlich ausgedrückt: »Wer bestellt, der muss auch bezahlen.« Es gab eine Reihe von Entscheidungen von »oben«, egal ob aus Europa, aus Berlin oder Stuttgart, bei denen die Regionen oder Kommunen sich oft als die fühlten, die zahlen müssen, was andere sich ausdenken. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagte lange nach seiner Amtszeit einmal, dass Europa eigentlich falsch herum gebaut wurde, denn es solle eigentlich an der Basis beginnen und dort die stärkste Stimme haben. Ähnlich wie die Schweiz das praktiziert.

Die Frage: Die Menschen hier vor Ort (Vereine/ Kulturschaffende/ Unternehmer/ Bürgermeister) wollen Ideen einbringen und etwas bewegen. Nach unserer Wahrnehmung muss die Zukunft deshalb vor allem in den Regionen entwickelt werden. Aber die Macherinnen und Macher stehen nicht erst seit Corona erst einmal vor einer Mauer aus Regeln, die oft in Berlin und Brüssel gemacht werden. Glauben Sie, dass die Regionen genügend Macht, Freiheit und Einfluss haben, wirklich aktiv Zukunft zu gestalten? Hier darf das erste Wort nur Ja. oder Nein. sein. Wenn ja, begründen Sie bitte Ihre Aussage und wenn nein, was möchten Sie ändern?

Die Antworten:

Dorothea Wehinger (Bündnis 90/ Grüne): Ja. Richtungsweisende Entscheidungen werden natürlich nicht auf kommunaler Ebene getroffen. Trotzdem haben die Menschen vor Ort aber auch Gestaltungsmöglichkeiten. Zum einen natürlich über die lokale politische Ebene – also zum Beispiel über den Gemeinderat – zum anderen können BürgerInnen über Vereine und Initiativen das Leben vor Ort mitgestalten. Gestaltungsspielräume nutzen heißt aber auch Verantwortung übernehmen. Ich begrüße es daher sehr, wenn sich Kommunen engagiert zeigen und ihre Gestaltungsspielräume vollumfänglich beanspruchen. Damit BürgerInnen sich künftig noch stärker in politische Entscheidungsprozesse einbringen können, wollen wir Grüne die Hürden von Volksbegehren und Volksabstimmungen senken und hierfür das Volksabstimmungsgesetz anpassen. Wenn es nach uns ginge, wären zudem auch Bürgerbegehren auf Landkreisebene möglich. Auch Internet-Formate der Beteiligung möchten wir erweitern.

Tobias Herrman (CDU): Ja. Das Motto muss aber lauten: Nur so viele Vorgaben von Bund und Land wie nötig, aber so viel Spielraum zur Eigengestaltung der kommunalen Basis wie möglich! Vorgaben sind nötig. Wir sehen dies gerade unter der Bedingung einer verknappten Verfügbarkeit des Impfstoffes. Wäre die Reihenfolge ungeregelt, bräche ein Hauen und Stechen aus. Aber überbordende Bürokratie kann auch bis fast zum Stillstand lähmen, wie wir dies u.a. bei Digitalisierungsprozessen sehen. Und: Werden Verordnungen fernab des praktischen Erfahrungsschatzes der Menschen an der Basis, im Verein, im Unternehmen, der Kultur etc. erdacht, kann es nicht rund laufen. Der Austausch darf nicht nur von oben nach unten laufen, sondern unbedingt auch andersherum. Wir dürfen flexible und pragmatische Lösungen nicht unter Aktenbergen ersticken. Dies gilt auch jetzt bei den Impfungen und v.a. bei den nun folgenden Testungen. Lasst uns zusammen anpacken – viele fleißige Hände und kreative Köpfe aus der Region sind startklar für die Zukunft.

Prof. Franz Sebgers (Die LINKE): Ja, aber. Die wichtigste Ebene der Gestaltung des Zusammenlebens der Menschen ist die kommunale Ebene. Das ist nach der Verfassung auch so gewollt. Bei Aufgabenübertragungen durch die Länder müssen diese auch finanziell die Kosten auszugleichen. Die Kommunen sind nah an den Bürger:innen dran. Viel sog. Freiwillige soziale Leistungen sollten verlässlich und verbindlich sein. Ich bin ein großer Freund, ortsnaher Demokratie und Mitgestaltung des Gemeinwesen. Deshalb sollte diese auch gefördert werden: Vereine, Organisationen und Unternehmen. Nur dann entsteht eine lebendige Demokratie.

Hans-Peter Storz (SPD): Nein. Wichtige Industriebetriebe in unserem Kreis werden von Konzernen gesteuert, die keinen Bezug zu unserer Region haben. Viele neue Geschäftsmodelle basieren auf Internet-Technologien, die von wenigen Großfirmen beherrscht werden. Ein Landkreis oder ein Bundesland alleine sind zu schwach, um hierauf wirksam Einfluss zu nehmen. Die SPD fordert einen starken, handlungsfähigen Staat, der Menschen und Unternehmen freie Entfaltung und zugleich allen Bürgerinnen und Bürgern soziale und rechtliche Sicherheit gewährleistet. Wir werden die örtliche Ebene stärken, indem wir ihre Finanzausstattung verbessern und so neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Ich bin selbst ehrenamtlich engagiert, u.a. als Vorsitzender des Stadtturnvereins Singen. Daher kenne ich bürokratische und andere Hindernisse gut. Ich habe daher großen Respekt vor allen Menschen die sich in Vereinen, Initiativen oder auch in der Politik einsetzen. Nur dadurch steht unser Land so da. Wir werden dieses Engagement besser fördern.

Markus Bumiller (FDP): Ja, wenngleich auch der Bürokratie-Wahnsinn viel Zeit, Motivation und Geld verschlingt, so glaube ich fest dran, dass man gemeinsam die Region entwickeln kann und muss.
Ziel für die Parteien sollte es allerdings sein, dass die Bürokratie wieder auf das nötigste beschränkt wird und gerade das Ehrenamt vor bürokratischen Hürden geschützt wird.
Wenn beispielsweise eine Feuerwehr ein Löschfahrzeug nur dann bezuschusst bekommt wenn es 5 Sitzplätze hat, obwohl das identische Fahrzeug mit 9 Sitzen deutlich zweckmäßiger wäre, dann läuft gewaltig etwas schief.
Als Vertreter des Wahlkreises, sehe ich mich in der Pflicht, wo immer es auch nötig ist, die Entwicklung des Wahlkreises voran zu bringen.
Diese Pflicht darf auch nicht an parteipolitischen Grenzen enden, sondern muss überparteilich und zugunsten der Bürgerinnen und Bürger, ausgeführt werden.
Nicht umsonst verfolge ich das Motto: »Gemeinsam-Zukunft-Gestalten«.

Bernhard Eisenhut (AfD):
Nein. Leider hat sich die EU vor allem zu einen Vorschriften-Monster entwickelt. Der Bürger fragt sich oft was das soll? Aus Berlin das selbe. Auch hier die Frage, ob diejenigen die so etwas machen, überhaupt praxisnahe Erfahrungen haben. Leider nein. Für die Gestaltung unserer Zukunft, jenseits von weltfremder Ideologie benötigt es eine massive Rückverlagerung von Kernkompetenzen auf Landes-, Kreis- und Kommunalebene. Lebendige Regionen können nur von positiv motivierten Vorbildern („Machern“) in Betrieben, Vereinen, Bürgerinitiativen oder Parteien mit neutraler und gleichwertiger Unterstützung der Verwaltungen in den Gemeinden und Städten langfristig entstehen und erhalten werden. Hier ist Sach- und keine Parteipolitik gefragt. Die aktive Teilhabe der regionalen Bevölkerung kann nicht durch überregionale Vorgaben oder Beschränkungen „reguliert“ werden. Ein Abbau von Hindernissen ist anzustreben. Nur leider nicht mit den derzeitigen Machtverhältnissen in der Bundes- und den Landesregierungen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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