Warum eine gute Zukunft weniger Regeln braucht
Kommunen benötigen Beinfreiheit

Benjamin Mors, Bürgermeister der Gemeinde Steißlingen und Vorsitzender des Gemeindetags Kreis Konstanz, wünscht sich eine klare Linie und mehr Bewegungsspielraum, damit Kommunen auch handeln können. | Foto: privat
  • Benjamin Mors, Bürgermeister der Gemeinde Steißlingen und Vorsitzender des Gemeindetags Kreis Konstanz, wünscht sich eine klare Linie und mehr Bewegungsspielraum, damit Kommunen auch handeln können.
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Steißlingen. Was muss getan werden, um in Zukunft gut in Deutschland leben zu können. Im Gespräch mit dem WOCHENBLATT stellte sich Benjamin Mors, Bürgermeister der Gemeinde Steißlingen und Vorsitzender des Gemeindetags Kreis Konstanz, dieser schwierigen Frage.

WOCHENBLATT: Herr Mors, wo sehen Sie die Baustellen für die kommenden Jahre? Was muss getan werden, damit 2030 gut wird?

Benjamin Mors: Es ist ein Stück weit die Frage, wo wir stehen. Wird es wieder gut oder wird es gut? Wir befinden uns im Moment in einer Phase, die unheimlich spannend ist für uns als Gesellschaft. Damit natürlich auch für uns Bürgermeister. Wir spüren, dass es eine Gleichzeitigkeit von Krisen gibt: Corona, Energiekrise, Flüchtlingskrise – die zweite innerhalb kürzester Zeit. Wir haben das Thema Fachkräftemangel, bei dem uns in nächster Zeit noch einiges bevorsteht. Wir haben die Klimakrise mit den Auswirkungen des Klimawandels, die wir langsam zu spüren beginnen. Das ist, glaube ich, das besondere der letzten Zeit. Dass sich das überlagert. Früher gab es auch Situationen, die nicht immer einfach waren, aber gefühlt kamen die Krisen mit etwas mehr zeitlichem Verzug und nicht so schnell hintereinander.

WOCHENBLATT: Wie lautet also die Frage: Wird es gut oder wird es wieder gut?

Benjamin Mors: Die Krisen setzen uns natürlich unter Druck. Das spüren wir alle im Beruf, weil jeder merkt, dass es für die Betriebe schwieriger wird, dass es für die Gesellschaft an sich schwieriger wird. Trotzdem sollten wir nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir haben immer noch eine gute Ausgangsposition in Deutschland. Wir haben tolle Firmen, auch bei uns in der Region, die tolles leisten. Wir haben eine tolle Region. Wir sind attraktiver Wohnort, attraktive Touristenregion in einer zentralen Lage Europas. Wir haben eine gute Ausgangsposition, um diese Krisen auch anzugehen.

WOCHENBLATT: An welcher Stelle müssen die Weichen gestellt werden, um die Krisen zu bewältigen?

Benjamin Mors: Das lässt sich nicht ohne weiteres beantworten. Einfache Lösungen gibt es heutzutage sehr, sehr selten. Die Welt ist komplex. Das spürt jeder, dass die Dinge kompliziert sind, komplizierter werden durch Regeln, die es zu beachten gibt, durch anspruchsvolle Prozesse. Was uns aber guttäte für die Zeit bis 2030 wäre, zu versuchen, ein Stück weit einfacher zu werden. Das sollte uns ein Leitmotiv sein. Wir sollten unsere Ansprüche ein Stück weit überdenken hinsichtlich dessen, was tatsächlich leistbar ist.
Aber auch dahingehend, wie wir die Dinge regeln. Können wir es uns leisten, alle Dinge bis ins kleinste Detail zu regeln und in Gesetze und Verordnungen abzubilden? Oder ist es etwas, was uns an manchen Stellen auch ausbremst oder auch vom Staat selber nicht mehr geleistet werden kann? Ich glaube, das ist etwas, was wir im Blick haben sollten, weil das etwas ist, was uns an der Weiterentwicklung und am Fortschritt hindert.
Es ist auch wichtig, dass man sich nicht immer im emotionalen Ausnahmezustand befindet. Dass man trotz aller Krisen versucht, die Dinge mit einer gewissen Entspanntheit zu betrachten. Und mit einem gewissen Grundoptimismus. Die Nachrichtenflut, die uns trifft, setzt den Trend aber in eine andere Richtung.

WOCHENBLATT: Wir haben uns in den vergangenen Wochen mehrmals getroffen und da ging es für Sie als Vorsitzender des Gemeindetags Kreis Konstanz oft um die Flüchtlingsthematik. Dass Kommunen an oder jenseits der Grenze des Leistbaren stehen. Das scheint es mit schwer zu sagen, wir müssen es etwas entspannter sehen.

Benjamin Mors: Entspannt meine ich nicht im Sinne davon, dass wir die Dinge nicht ernst nehmen oder wir die Situation einfach laufen lassen. Aber es bringt nichts, sich auch als Privatperson ständig in diesen Ausnahmesituationen zu bewegen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht mit Entschlossenheit um die Dinge kümmern und unsere Position vertreten. Es ist aber ein schmaler Grat, das zu überhitzen und selbst emotional zu werden. Wenn zu viel Emotion drinsteckt, fehlt irgendwann eine vernünftige Gesprächsbasis. So meine ich Entspanntheit: Nicht zurücklehnen, sondern mentale Entspanntheit.

WOCHENBLATT: Sie haben schon angedeutet, dass Sie sich weniger Regelungen und mehr Spielraum wünschen. Was wären da Bereiche, die angegangen werden müssen?

Benjamin Mors: Das wichtigste für uns als Kommunen wäre es, eine klare Linie erkennen zu können, wohin es gehen soll. Es braucht klare Leitplanken, mit denen sich Kommunalpolitik entwickeln kann. Zum Beispiel: Es gibt diese 400.000 Wohnungen, die gebaut werden sollen. Das ist eine klare Vorgabe der Bundespolitik. Gleichzeitig gibt es die Regelung im Landeskoalitionsvertrag eines Flächenverbrauchs von null. Und die Regelungen bezüglich Baurecht und innerörtlicher Verdichtung, die für sich genommen schon manches einschränken.
Da kommen dann neue Punkte hinzu. Etwa der innerörtliche Schutz von Bäumen. Da geht dann in manchen Bereichen keine Nachverdichtung mehr. Dieses Geflecht von überlappenden Interessen und Regelungen, die die Politik selbst formuliert, gilt es aufzulösen. Das wäre ein wichtiger Schritt für uns in der Kommune, damit wir überhaupt die Möglichkeit haben, die Ziele zu erfüllen. Wo sollen wir denn die Wohnungen bauen, wenn wir nicht raus in die Fläche dürfen und wenn wir sie nicht im Ort bauen dürfen? Das ist ein Beispiel dafür, wie sich verschiedene Regelungen überlagern und für uns der Handlungsspielraum eng wird.
WOCHENBLATT: Was würden Sie sich denn konkret wünschen?

Benjamin Mors: Wenn es um konkrete Wünsche geht, dann würde uns glücklich machen die Abschaffung des Paragrafen 2b Umsatzsteuergesetz. Der berühmte Kuchenparagraf, der für unsere Verwaltung mit enormem Arbeitsaufwand verbunden ist.
Dann müssen wir beim Breitbandausbau schneller werden. Da gibt es höchst komplizierte Verfahrensstrukturen, die viel zu lange dauern. Da gibt es eine Aufgreifschwelle, die die EU festlegt. Die öffentliche Hand darf erst eingreifen, wenn ein Marktversagen vorliegt. Das ist, wenn die Aufgreifschwelle, eine festgelegte Bandbreite, nicht erreicht wird. Dann kann eine Prüfung stattfinden, ob eine Gemeinde die Breitbandversorgung ausbauen kann. Diese Aufgreifschwelle wird immer wieder erneuert, ist aber immer Jahre hintendran. Mein Wunsch ist, dass man das näher an die Realität bringt, damit Gemeinden in den Internetausbau einsteigen können, wenn man merkt, dass es eng für die Menschen vor Ort wird.
Abschließend wünsche ich mir die Einsicht, dass die Kommunen vieles leisten. Dafür braucht es die nötige Beinfreiheit. Wir hätten vor Ort gute und vielleicht auch bessere Konzepte, wenn wir diese Beinfreiheit hätten.

Autor:

Tobias Lange aus Singen

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