Schwarzer Freitag für 620 Mitarbeitende
BCS will Standort Radolfzell Ende 2024 schließen

Im letzten April wurde noch eine neue von Robotern gestützte Folienfertigung von Bedienelementen vorgestellt, nun aber stehe das ganze Werk von BCS in Radolfzell vor dem Aus. | Foto: Fiedler
  • Im letzten April wurde noch eine neue von Robotern gestützte Folienfertigung von Bedienelementen vorgestellt, nun aber stehe das ganze Werk von BCS in Radolfzell vor dem Aus.
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Radolfzell. Im letzten Jahr wurde noch viel Hoffnung geweckt durch neue Investitionen im Bereich der Produktion und sogar der Erneuerung der Werkskantine zum Restaurant. Nun gab die Unternehmensleitung von BCS bekannt, dass sie beabsichtigt, alle Geschäftsaktivitäten von dem Standort in Radolfzell an andere Standorte innerhalb der BCS-Gruppe zu übertragen und den Standort einschließlich aller Bereiche (Fertigung, Entwicklung, Administration) zum 31. Dezember 2024 zu schließen.

Diese Pläne wurden am Freitagmorgen seitens der Geschäftsleitung den Arbeitnehmervertretungen mitgeteilt, informierte das Unternehmen per Medienmitteilung am Freitagmittag. Der BCS-Standort in Radolfzell erleide seit mehreren Jahren immense finanzielle Verluste in zweistelliger Millionenhöhe, wird der Schritt begründet. Prognosen für das Jahr 2023 deuteten leider auf keine wesentliche Verbesserung hin.

Mehrjährige Versuche, dieser Schieflage entgegenzuwirken, hätten nur begrenzt positive Veränderungen gebracht, unter anderem wurden robotergestützte Fertigungsbereiche für Bedienelemente in Großserien aufgebaut, was im letzten April vorgestellt wurde. In diese Bemühungen eingeschlossen war auch ein zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen abgeschlossener Ergänzungstarifvertrag vom 6. Oktober 2020, welcher bis zum 31. Dezember 2024 noch gültig ist. Danach sah sich der Standort mit zusätzlichen externen Herausforderungen konfrontiert.

Die nach wie vor spürbaren Auswirkungen der Coronapandemie, der starke Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise, die angespannte nationale und internationale Wirtschaftslage, die komplizierte Lieferkettensituation und die tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilbranche hätten die Rahmenbedingungen für den Standort Radolfzell und die gesamte BCS-Gruppe noch einmal wesentlich verschlechtert, so die weitere Begründung für diesen harten Schritt.

Auch vor diesem Hintergrund habe die Umsetzung des ursprünglichen Restrukturierungsplans – trotz Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe innerhalb von zwei Jahren – nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt.

Bereits im Sommer 2022 seien die Beschäftigten am Standort im Rahmen einer Informationsveranstaltung der Geschäftsleitung darüber informiert worden, dass die kommenden Monate entscheidend für die Zukunft des Standortes seien. In der Tat habe man daraufhin verschiedene kurzfristige Verbesserungen erzielen können. In der Lösung der strukturellen Probleme habe man jedoch nur bedingt Erfolge erzielt, so dass auch mittelfristig nicht davon auszugehen sei, dass der Standort aus der Verlustzone komme.

"BCS" dringt in neue Fertigungswelten vor

Erschwerend komme hinzu, dass es nicht gelungen sei, ein neues, signifikantes Kundenprojekt für den Standort zu gewinnen. „Die mit dem Ergänzungstarifvertrag verbundenen Maßnahmen und Beiträge haben unseren Beschäftigten viel abverlangt und tun es immer noch. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Verzichte und der langjährigen Unsicherheit bedauern wir sehr, nunmehr ernsthaft in Erwägung ziehen zu müssen, diesen schwierigen Schritt zu gehen. Jede und jeder unserer Mitarbeitenden hat durch das Mittragen der Maßnahmen die angestrebte Gesundung unseres Unternehmens unterstützt. Dafür und für ihre Loyalität zu BCS und zum Standort danken wir unserer Belegschaft“, so Antoni Ferrer, stellvertretender Europachef der BCS-Gruppe in der Presseerklärung.

"Messmeria" als Signal für die Mitarbeiter

Wayne Dong, Chief Financial Officer für die BCS-Gruppe und gegenwärtig Geschäftsführer des Standortes Radolfzell für den im Sommer zurück nach Barcelona gegangenen Dr. Daniel Martinez, fügt hinzu: „Aus Verantwortung gegenüber der gesamten BCS-Gruppe sowie unserem Mutterkonzern müssen wir die finanzielle Gesundung unserer Geschäftsaktivitäten in der europäischen Region sicherstellen. Jeder unserer Standorte weltweit unterliegt den gleichen Anforderungen an Nachhaltigkeit und Profitabilität – dabei kann Radolfzell keine Sonderrolle einnehmen, auch wenn es sich um einen Standort mit langer Geschichte handelt.“

Am Freitagvormittag wurden die Beschäftigten am Standort in einer Informationsveranstaltung über die Pläne informiert. Einzelheiten über die Umsetzung sind Gegenstand der Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretungen. Es wird alles darangesetzt, die Zeit der Unsicherheit für die Beschäftigten so kurz wie möglich zu halten sowie die dann gegebenenfalls unvermeidbaren Härten abzufedern. Über relevante Ergebnisse in dem bevorstehenden Prozess werde die Geschäftsleitung die Mitarbeitenden auf dem Laufenden halten, so die Information aus Radolfzell.

Harter Schlag für die Mitarbeitenden

Auch für die Vertreter der IG Metall, die sich seit Jahren für den Erhalt des Standorts einsetzte, und besonders seit der Übernahme des Radolfzeller Standorts von THW an die ZF in Friedrichshafen und von dort an die chinesische BCS-Gruppe mit Europasitz in London, sei die nun erfolgte Ankündigung ein harter Schlag, sagte der 2. Bevollmächtigte für die Region Friedrichshafen/Singen, Frederic Striegler, auf Nachfrage des WOCHENBLATTs: Unter den Mitarbeitenden herrsche Wut und Unverständnis, zumal man ja seit 2020 über den Sanierungstarifvertrag erhebliche Einbußen in Kauf genommen habe. Die Unternehmensleitung habe die letzten Jahre regelrecht verschlafen und eben nicht in Zukunftstechnologien investiert, die auch neue Abnehmer erschlossen hätten. „Wir werden um jeden Arbeitsplatz hier kämpfen“, kündigte Striegler an, der das Aus für noch nicht ganz unabwendbar einstuft. Mindestens sollten die Mitarbeitenden erhobenen Hauptes gehen können, wenn denn nichts mehr gehe.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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