Münsterpfarrer Vogel im Gespräch über Ostern 2023
»Nichtstun wäre jetzt gerade das Falsche«

Pfarrer Heinz Vogel auf der Empore, wo die Orgel in den letzten Monaten neu "auferstanden" ist. Im Hintergrund wird der Altarraum mit der Christusfigur schon für die Karwoche verhüllt. | Foto: Findling
  • Pfarrer Heinz Vogel auf der Empore, wo die Orgel in den letzten Monaten neu "auferstanden" ist. Im Hintergrund wird der Altarraum mit der Christusfigur schon für die Karwoche verhüllt.
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Radolfzell/Region. Wenn Wahlkämpfe anstehen, ist meist von »Baustellen« die Rede, mit denen gerne verbunden wird, dass da was noch nicht fertig ist. Dabei sind Baustellen eigentlich ein Symbol dafür, dass sich auch etwas verändert. Und trotzdem nerven sie natürlich, bis sie abgeschlossen sind. Derzeit wird viel von Baustellen gesprochen und Ostern ist eigentlich auch eine, sagt der Radolfzeller Münsterpfarrer Heinz Vogel, mit dem das Wochenblatt über das bevorstehende Osterfest und die vielen Baustellen im und am Münster, der Kirchgemeinde, der Kirche und der Welt an sich sprach.

von Oliver Fiedler

Wochenblatt: Herr Vogel, Sie haben schon lange eine Baustelle hier im Münster, wie lange wird es noch dauern, bis alles wieder in Ordnung ist?
Heinz Vogel: Der Innenraum muss noch fertiggestellt werden. Die Elektrik hängt ein bisschen nach, weil wie überall Teile fehlten. Die Strahler fehlen noch. Im Außenbereich müssen wir im Sandstein Schäden reparieren, die erst beim genauen Hinsehen vom Gerüst aufgefallen waren und die zusätzliche Kosten von 600.000 Euro verursachen. Es ist natürlich ein Gebäude, das seit dem 15. Jahrhundert dasteht. Dafür ist es schon nachhaltig gebaut worden. Aber es gibt zumindest für Ostern auch gute Nachrichten. Die Orgel kann nach der langen Sanierung diese Woche abgenommen werden, wird also dann wieder bespielt und ist blitzblank und neu gestimmt, am Hochaltar kann das Gerüst abgenommen werden, wenn auch danach wieder die Gerüste kommen um die Fenster zu modernisieren, im Sinn eines modernen Klimamanagements. Doch auf Ende des Jahres werden wir mit diesen Baustellen fertig sein.

Wochenblatt: Sie haben ja noch viele Baustellen um sich herum. Eine ist da sicher auch die Riesen-Kirchgemeinde, die hier auch am westlichen Bodensee gebaut werden soll. Wie viel Steine stehen dafür schon?
Heinz Vogel: Ich hatte im Krebsbachtal für eineinhalb Jahre die Leitung, dort gibt es nun wieder einen Kollegen, der übernommen hat. In Stockach bin ich mit drin, und wir haben Pfarrer Huber vor Ort und einen indischen Kollegen mit Gemeindereferent. Die immer wieder diskutierte Kirchenentwicklung 2030, die zum 1. 1. 2026 greifen soll, sieht eine neue Pfarrei von Öhningen bis Heudorf oder Mühlingen und Hohenfels vor. Das ganze Dekanat östlicher Hegau soll dann eine Pfarrei werden.

Wochenblatt: Würden Sie dann zum Super-Pfarrer?
Heinz Vogel: Das muss man sehen. Derzeit sind die Gespräche mit der Diözese und man muss sich entscheiden, ob man sich dafür bewirbt. Das muss man sich zutrauen, auf allen Ebenen.

Wochenblatt: Ist das ein Raum, der aufgrund der Verschiedenheiten überhaupt zu »einer Gemeinde« zusammenwachsen kann?
Heinz Vogel: Ich merke selber auch in meinen Kopf, wie es das Denken sprengt. Ich habe ja selbst noch das Bild von der Pfarrei in der dörflichen Struktur, in der ich groß geworden bin. Da hat jedes Dorf sein eigenes Leben gehabt und die Ministranten haben sich gegeneinander verklopft. Es war vielleicht manchmal kleinkariert, aber es hatte etwas Umbergendes. Es wird nicht wegfallen. Der Erzbischof sagt, wir können das so nicht mehr halten und bedienen. Schon weil sich unsere Kirche, aber auch unsere Gesellschaft in einem Affenzahn verändert. Die Struktur wird recht groß gefasst, was sich an Leben bildet vor Ort kann viel flexibler sein und muss nicht immer gleich in eine Rechtsnorm gegossen werden. Der Prozess ist gerade sehr anstrengend, aber ich habe die Hoffnung, dass es unkomplizierter wird. Es wird im Juni eine Vollversammlung geben mit allen Kirchgemeinderäten, um den Namen und den Sitz der Pfarrei festzulegen, den Sitz einer zentralen Verwaltung, welche Büros es in welchen Orten noch gibt.

Wochenblatt: Der Chef des Ganzen wird nicht mehr viel Zeit für Seelsorge haben.
Heinz Vogel: Vorgesehen ist, dass es eine Geschäftsführung gibt. Ich merke schon jetzt in Radolfzell, was alleine sechs Kindergärten hier an »Verwaltung« bedürfen.

Wochenblatt: Wir haben ja noch eine ganz große Baustelle, das ist die katholische Kirche an sich. Die evangelischen Kollegen sprechen ja von sich als Minderheit derer, die sich dazu noch als Christen bekennen. Steht das auch für Sie bevor?
Heinz Vogel: Wir erleben wie die evangelische Landeskirche, dass immer weniger Menschen Theologie studieren wollen. Das geht drastisch zurück. Ich habe die Sorge, dass Theologie aus dem universitären Gebilde verschwindet, wo sie doch einen guten Beitrag leistet. Wenn wir aktuell nach Frankreich schauen, wie es dort durch die Trennung von Staat und Religion gerade so viel Konfliktpotenzial gibt und etwas Ausgleichendes fehlt, egal ob es christlich oder islamisch oder jüdisch wäre. Die Bindung an eine Kirche oder Glaubensgemeinschaft ist doch ziemlich abgebröckelt.
Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich nur noch um die kümmert, die da dazugehören. Ich finde weiterhin spannend, in Kontakt zu sein mit Menschen anderer Religionen oder Kulturen, weil ich davon viel lerne. Meine prägendste Zeit war das Zusammenleben mit Muslimen, fünf Geflüchteten, mit denen ich das Pfarrhaus teilte und auch die Feste. Hier habe ich drei Mitbewohner aus Eritrea, Ruanda und Nigeria, die gar nicht verstehen können, wie hier in Deutschland das Christentum wegbricht.

Wochenblatt: Das liegt ja aber auch an einer Diskussion, die erst mal Veränderungen ablehnt, in der aber die Veränderung der Kirche zum Menschen hin das Thema sein muss.
Heinz Vogel (überlegt): Die Frage ist, ob die da nur den Blick auf die haben, die die Leitung haben. Also Bischöfe oder Papst. Es gibt ja unierte Kirchen mit verheirateten Priestern und die sind katholisch wie die Meltiken. Ich glaube, dass am Ende des 19. Jahrhunderts der Kirchenstaat zusammengebrochen ist. Im damaligen Kulturkampf kam es zu einer Einengung, zum »Fels in der Brandung«, und es hat sich verhärtet und abgegrenzt gegenüber dem, wie sich eine Welt entwickelt hat. 

Wochenblatt: Ich sehe ja »Maria 2.0« oder den »Synodalen Weg« als klare Hinweise von unten her, dass die Menschen eine Kirche zum Mitmachen wollen. In den Frauen würde ja eigentlich ein Riesenpotenzial stecken für die Kirche(n).
Heinz Vogel: Da, meine ich, muss man umdenken und sagen: »Das ist Kirche.« Jede Person, die dazu gehört, ist Kirche. Wenn dieses Bewusstsein wieder da ist, wird sich wieder mehr verändern. Das Konzil von Konstanz hat damals eigentlich einen wahnsinnigen Impuls gegeben. Hätte man das umgesetzt, dass ein Konzil über dem Papst steht ...

Wochenblatt: Sind Sie jemand, der sich mit dem »Synodalen Weg« anfreunden kann?
Heinz Vogel: Für mich wird dadurch deutlich, dass dort eine andere Kultur einzieht, die auch nötig ist. Wir tragen die Botschaft, dass Leben gelingen kann, wie Leben halt ist. Ja.

Wochenblatt: Und wie ist Ostern hier bei Ihnen dieses Jahr? In einem Jahr, wo wir in Europa wieder im Krieg leben und genau vor einem Jahr das »Peace«-Zeichen von Schülern auf dem Münsterplatz gebildet wurde. Wo wir gewahr werden, dass wir das Klima unserer Erde weiter schädigen und, und, und ...
Heinz Vogel: Am Palmsonntag haben wir die Leidensgeschichte Jesu nach Matthäus aufgeschlagen. Die Geschichte des Judas spielt darin eine große Rolle. Da taucht die Frau des Pilatus auf, die einen Traum hat und ihrem Mann rät, dass er die Hände raushalten soll, und der diese lieber in Unschuld wäscht. Und dann rennt Petrus davon und heult und die anderen Männer laufen auch davon. Es heißt: viele Frauen, die ihm gedient hatten, blieben und lehnten sich zwar nicht gegen die römische Staatsmacht auf, aber waren da. Es wird ja auch von einer Vielzahl gesprochen, die dann auch ans Grab folgten. Mir macht das deutlich, wie unser Leben miteinander verwoben ist. Das ist keine alte Geschichte. Sie sagt: Unser Leben hängt entschieden davon ab, welche Entscheidungen ich treffe. Und wen ich unterstütze und wen nicht. Ich kann nicht sagen, ich kann nichts tun. Im Kleinen treffe ich eine Entscheidung, die Großes bewirkt. Und bei Markus steht ja auch: Wer das Schwert zückt, wird durch das Schwert umkommen.  Warum hat man so ein Wort über Generationen hinweg nicht wahrgenommen, sondern sogar selbst das Schwert gezückt?
Die Osterzeit ist für mich eigentlich die Zeit einer kritischen Reflexion, um zu sehen, wie ich denn hineinverwoben bin in die Leidensgeschichte der Menschheit oder der Schöpfung. Am Schluss bleibt die Hoffnung. Und die Erkenntnis, dass Nichtstun das Falsche wäre.

Das Gespräch endete mit dem Ausblick auf die Zeit nach Ostern. Denn gleich nach den Ferien will das Erzbistum Freiburg seinen Missbrauchsbericht als Aufarbeitung vorstellen, der vermutlich für sehr viel Diskussion und Kontroversen sorgen dürfte. Die Haltung von Heinz Vogel ist, dass hier die ganze Gesellschaft lernen muss, mit dem Thema Missbrauch umzugehen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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