2000er Jahre nach Christus II
Ewig jung: Das Leben, das den Tod nicht sieht

In der Geschichte wiederholt sich manches, ohne dass es das selbe sein muss, und so glänzten bereits in der griechischen Antike leicht bekleidete und muskulöse Männer von unzähligen Vasen. Das Christentum habe den Körperkult, den es auch noch bei den Römern gegeben habe, umgekippt, sagt Wiehn, der einst bei Sir Ralf Dahrendorf Assistent war und heute in der Universität Konstanz selbst unterrichtet - seit 1972.

Bis in die mittelalterliche Zeit sei das Leben in der westlichen Welt freizügig gewesen. Und dann sei die Pest gekommen. Als Strafe Gottes wurde sie verstanden und sie krempelte die große Körperschau zum Verhüllungswettbewerb um. Es kam die Jahrhundertwende und mit ihr neue Freizügigkeit: Der Nudismus, den Wiehn zurückblickend als eher neurotische Entwicklung sieht. Kurze Hosen seien erfunden worden. Und dann das dritte Reich: "Die Entdeckung des eigenen Körpers ist im dritten Reich missbraucht worden." sagt Wiehn. Und wenn das Kriegsende für vieles Zäsur war, dann nicht für die Körperkultur: Der Körperkult sei nach der Kapitulation verbürgerlicht worden. Die Campingbewegung begann. Jetzt sind es Tattoos, die nicht mehr nur auf starken Armen von Seemännern und Gefangenen zu sehen sind, sondern auch auf sanften Taillen von erfolgreichen Frauen, die Gemüter erregen. Aber: "Tätowierungen sind uralt." Vor dem Bauchnabelpiercing allerdings habe ein Tabu fallen müssen: Der Bauchnabel musste gezeigt werden.

Info:
Von den körperbetonten Griechen über die pestverstörte mittelalterliche Gesellschaft zur heutigen Bauchnabelschau. Zeigt der Umgang mit unseren Körpern, wie gesund oder krank die Gesellschaft ist? Ein Gespräch mit dem Soziologen Prof. Roy Wiehn.

Und der Bauch muss flach sein für die richtige Wirkung. Im Bierbauchnabel macht sich das Piercing nicht gut. Die Fitnesswelle ist schon länger da, es ist aber auch kein Ende abzusehen. Und was bedeutet das jetzt alles? Der Soziologe Max Weber sagte einst, dass der Mensch sich eine berechenbare, rationale Welt wünsche. "Wir leben im Zeitalter der hedonistischen Rationalisierung", meint der Konstanzer Soziologe. Nur: "Die Berechenbarkeit des Körpers hat Grenzen", so Wiehn: Krankheit und Tod. Und genau mit Krankheit und Tod gehe die Gesellschaft auf eine eigenartige Weise um: "Es betrifft die von nebenan", sei das Prinzip. Abschalten: Im Fernsehen kann man sogar den Tod schnell vergessen. Es sei die vermeintliche Hoffnung auf ewige Jugend, die unser Verhältnis zum eigenen Körper bestimme.

Alphaville hat es schon in den 80ern gesungen: "I will be forever young". Und die Wirtschaft verdient daran ordentlich, wenn sich heute 50jährige noch als Jugendliche sehen und ähnlich konsmieren. Fazit: "Der Tod auf jeden Fall wird nicht mehr als Teil des Lebens begriffen", sagt der Soziologe. Der Blick in die Glaskugel? "Es kann sein, dass es künftig regelrechte Menschenreparaturstätten gibt mit Ersatzteillagern", und das bewertet Wiehn als positiv für Menschen, die leiden. Am Prinzip des Todes als Teil vom Leben ändere das nichts: Auch ein Auto lebe nicht ewig, trotz Werkstätte und Ersatztteillager. Wiehn vertraut in die Natur: "Sie wird uns darauf zurückwerfen, dass das, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat."

Anatol Hennig

Autor:

Redaktion aus Singen

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