Konsumklima in Krisenzeiten
Geht dem Handel bald die Energie aus?

Musikfachhändler Helmut Assfalg kontert mit Humor, indem er darstellt, wie viel Müll der Onlinehandel in die Haushalte bringt.  | Foto: Kim Kroll
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  • Musikfachhändler Helmut Assfalg kontert mit Humor, indem er darstellt, wie viel Müll der Onlinehandel in die Haushalte bringt.
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Landkreis Konstanz. Starke Umsatzeinbrüche, enorme Kostenerhöhung sowie eine hohe Kaufzurückhaltung machen es für den Handel im Landkreis Konstanz derzeit nicht gerade einfach. Was in der Pandemie noch das geringste Problem darstellte, könnte für viele nun schwerwiegende Folgen haben. Doch die Energiekrise hat nicht nur Auswirkungen auf das Konsumklima der BürgerInnen im Landkreis, sondern größtenteils auch auf das Einkaufserlebnis als Freizeitaktivität sowie dessen unmittelbare Verknüpfung mit der jeweiligen Aufenthaltsqualität. Wo manche Städte in diesem Bereich schon sehr weit sind, versuchen andere, die eigene Innenstadt wieder mit Leben zu füllen. Weitere Fragen bereiten den hiesigen Händlern Kopfschmerzen: Welche Auswirkungen hat die Energiekrise auf das Konsumklima? Welche Rolle spielt dabei der Online-Handel? Wie kann man dieser Situation entgegenwirken? Hierzu haben wir uns bei lokalen Händlern im Landkreis umgehört.

„Das ist ein enormer Kraftakt für die Händler.“

„Die Kaufkraft des Kunden ist unantastbar.“ Hätte man ein Gesetz, bei dem der Handel den Entwurf beschließen würde, wäre dies wohl der erste Satz, der genannt würde. Dass diese durch die Pandemie stark eingebremst wurde, ist weitläufig bekannt, so auch bei Andreas Joos, Mitglied der Aktionsgemeinschaft Radolfzell und Geschäftsführer von Zweirad Joos: „Der Handel wurde in Zeiten der Pandemie von allem ausgesperrt.“ Die vom Land beschlossenen Regelungen wurden laut Joos regelmäßig vom Ordnungsamt überprüft. Auch seine Geschäfte konnten in dieser Zeit nur eingeschränkten Service anbieten: „Wir durften unsere Fahrradwerkstatt öffnen, jedoch nichts verkaufen.“ Insgesamt fühlte man sich seiner Ansicht nach in dieser Zeit wie ein Passagier, der nichts mitgestalten konnte und sich allem beugen musste. Die Energiekrise, so Joos weiter, mache sich schon jetzt bemerkbar: „Es herrscht eine starke Kaufzurückhaltung seitens der Kunden in allen Branchen.“ In seinen Läden komme zusätzlich dazu, dass aufgrund von Lieferkettenproblemen Ware zur falschen Zeit geliefert werden: „Die ganzen Sommerartikel kommen nun im Winter, was für uns enorm hohe Lager- und Logistikkosten bedeutet.“ Aufgrund dieser Situation könne man seiner Aussage nach weniger Ware herausgeben und der Betrieb blähe sich dadurch sehr stark auf: „Nach den ganzen Hochs und Tiefs der letzten zwei Jahre ist das jetzt wieder ein enormer Kraftakt, den jeder Händler leisten muss.“ Auch zur allgemeinen Situation der Energiekrise findet Joos klare sowie mahnende Worte: „Letztendlich ist es ein Energiekrieg, der uns alle betrifft. Dabei sollte man aufpassen, dass man bundesweit nicht in eine permanente Depression hineingerät.“ Wenn man alles nur schlecht sehe, mache dies die Situation nicht besser. Ein Faktor, der bereits in der Pandemie einen starken Zuwachs hatte und das Konsumverhalten vieler weiterhin beeinflusst, ist der Online-Handel, der laut Joos nicht nur Nachteile mit sich bringt: „Für Unternehmen wie uns ist es ein Segen, da man hier in der Provinz wie ein Großstadthändler verkaufen kann.“ Wenn es das Sortiment hergebe, sehe er durchaus eine Tendenz, als stationärer Händler vermehrt auf den Onlinehandel zu bauen. Ein Anreiz dafür, den Handel vor Ort auf Dauer nicht zu verdrängen, sehe er im Kauferlebnis in der Innenstadt selbst: „Mit der Gastronomie und der Kultur hat man einen bestimmten Rahmen. Wenn es nur ums Einkaufen geht, kann man es sich mit dem Onlinehandel bequemer machen.“ Man müsse mehr Arbeitsplätze in der Stadt bündeln und die Aufenthaltsqualität steigern. In dieser Hinsicht werde man in Radolfzell in naher Zukunft durch finanzielle Mittel der Stadtverwaltung beispielsweise mit Möblierungen am Forsteibrunnen die Innenstadtqualität steigern. „Unter einer attraktiven Innenstadt verstehe ich, dass die Stadt mit Aktionen bespielt wird, sodass die Leute gerne wieder nach Radolfzell kommen und auch begeistert wieder nach Hause gehen.“

Einkaufen als Freizeitaktivität

Dieser Meinung schließt sich Alexander Kupprion, Geschäftsführer von „Der Sport Müller“ in Singen sowie Vorsitzender des City Rings Singen, an: „Einkaufen ist mittlerweile eine Freizeitaktivität. Als Kunde will man mit seiner Familie in die Stadt und etwas erleben – gut essen, einkaufen und dort dann gut behandelt werden.“ Hierbei sei es ihm zufolge der soziale Aspekt bei der Kundenberatung, der immer größere Bedeutung erlangt: „Je mehr die Digitalisierung voranschreitet, desto wichtiger ist es, dass wir noch persönliche Ansprechpartner haben. Der Kunde kommt nur noch in ein Geschäft vor Ort, wenn man als Verkäufer eine gewisse Sozialkompetenz mitbringt und respektvoll sowie freundlich mit ihm umgeht. Das ist sowohl der große Vorteil als auch die einzige Chance für den lokalen Handel, die er dann auch erfüllen muss.“ Ein Ansatz hierfür wäre laut Kupprion eine Grundöffnungszeit für den Singener Einzelhandel, was sich aktuell jedoch als schwierig erweise, da jeder nur auf sich und nicht das große Ganze schaue. Auch hier spielt der Service für ihn eine tragende Rolle: „Trotz fixierter Öffnungszeiten möchten wir voll auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen und sie gegebenfalls dann auch über die Öffnungszeit hinaus beraten.“ Diese Flexibilität brauche der Einzelhandel“, ist Kupprion überzeugt. Dort, wo Service geboten werde, habe der stationäre Handel für die Zukunft eine Relevanz, da dies den Kunden online nicht offeriert werden könne. Sein Wunsch ist es, die Geschäfte samstags bis zumindest 17 Uhr und unter der Woche mindestens bis 18 Uhr zu öffnen, denn nur dann könne man das Thema auch richtig angehen. An der Qualität der Innenstadt liege dies seiner Aussage nach nicht, weshalb man ein Lob auf die Stadt Singen aussprechen müsse: „Ohne das CANO, wofür wir uns als Sport Müller sowie auch Bürgermeister Häusler stark gemacht haben, gäbe es ganz viele Gastronomien und kulturelle Eckpunkte nicht.“ Zudem funktioniere die Stadt durch Aktionen von „Singen aktiv“ sehr gut als Treffpunkt. Man dürfe das alles seiner Ansicht nach jetzt nicht aus den Augen verlieren, sondern müsse dafür sorgen, dass man ein urbanes Umfeld habe, wo man gern hingehe: „Die Kunden sind in Singen verwöhnt und dass soll auch so bleiben.“ Was laut Kupprion nicht so bleiben wird, ist der Umsatz in der Energiekrise, die den Handel seiner Meinung nach härter treffen werde als zu Zeiten der Pandemie: „Wir merken bereits jetzt schon, dass der Umsatz online wie offline zurückgeht.“ Er rechne wie Andreas Joos auch branchenübergreifend mit einem Umsatzeinbruch von 10 bis 30 Prozent: „Die Verunsicherung ist bereits da und wird uns einen ganz schwierigen Winter bescheren“, befürchtet er. Dies sehe er nicht nur bei sich durch das stark winterlastige Sortiment, sondern auch bei anderen Händlern in Singen: „Otto Schweizer ist der erste, der dies zu spüren bekommt, im Frühjahr seine Türen schließt, und wird in dieser Hinsicht nicht der Letzte sein.“ Auch die bisherigen Maßnahmen der Politik betrachtet er kritisch: „Man will zwar einen Rettungsschirm auf den Weg bringen, dieser hat aber bisher weder Hand noch Fuß.“ Die Frage, wie man der Situation entgegenwirken solle, könne er nicht wirklich beantworten: „Samstags läuft der Handel in Singen noch leicht über Vorjahresniveau, wohingegen die Frequenzkunden, die unter der Woche schnell etwas kaufen möchten, massiv wegfallen. Daher weiß ich nicht, was der Handel jetzt tun soll.“ Was seiner Meinung nach diesbezüglich auf keinen Fall passieren dürfe und mit Sicherheit eine Gefahr darstelle ist das Herunterfahren der Öffnungszeiten: „Wenn man dies tut, haben die Kunden irgendwann keine Möglichkeit mehr einzukaufen. Man möchte für die Kunden da sein und soll ihnen nicht vorschreiben, wann sie kommen sollen.“

Ein doppelter Schlag ins Gesicht

Die Sorge, dass überhaupt jemand kommt, hat aktuell die Stadt Stockach und dessen Handel. Laut Anja Schmidt, Inhaberin des Damenmodegeschäfts „Wundervoll“ sowie Mitglied der Interessengemeinschaft Handel, Handwerk und Gewerbe (HHG) fehle eine zusätzliche Attraktivität, um die eigene Innenstadt zu beleben: „80 Prozent meiner Kunden sagen mir, dass in der Oberstadt gar nichts los sei. Das kann ich nicht mehr hören.“ Ihrer Ansicht nach brauche es ein Projekt, hinter dem man auch steht: „Die Leute wollen sich entschleunigen. In dieser Hinsicht muss seitens des Stadtmarketings einiges getan werden.“ Die lange Zeit, die der Gemeinderat laut Anja Schmidt benötige, um solche Projekte umzusetzen, habe man als Händler einfach nicht. Des Weiteren müsse die Landregierung mehr reagieren, um das Innenstadtsterben zu verhindern. Ähnlich sieht das auch Siegfried Endres, Vorstand der HHG: „Die Gastronomie hat in Stockach von der Größenordnung und Frequenz her ein Problem. Wenn diese nicht funktioniert und immer weniger wird, sehe ich die Innenstadt als Treffpunkt problematisch an.“ Man habe ihm zufolge ein funktionierendes Vereinsleben und Kulturangebot, jedoch müsse dies auch genutzt werden. Die Frage, ob der Verbraucher sich dies oder die Ware der Stockacher Händler leisten kann, liegt laut Endres auch am Kaufverhalten der Kunden in Zeiten der Energiekrise: „Der Konsument ist kritischer geworden und gibt dementsprechend weniger aus. Man überlegt mittlerweile zweimal, ob man sich das eine oder andere zusätzlich leisten könnte.“ Aufgrund der eigenen Angst agieren die Menschen zunehmend vorsichtiger. Für Anja Schmidt ist das Konsumverhalten so niedrig wie noch nie: „Es ist deutlich zu spüren, dass seitens der Kunden die Kauflust nicht mehr so stark ausgeprägt ist wie zu Zeiten der Pandemie.“ In ihrem Geschäft sei die Problematik, dass die Kunden genügend Kleidung im Schrank haben und diese sich daher mittlerweile zu einem Luxusgut entwickelt habe. „Was einst eine Bereicherung war, braucht man heutzutage nicht mehr“, so Schmidt weiter. Allgemein seien ihrer Meinung nach die Überlebenschancen von Geschäften mit geringerer Verkaufsfläche aufgrund der niedrigeren Kosten höher als bei größeren Läden, jedoch sehe sie in Sachen Umsatzeinbußen keinen Unterschied: „Viele Unternehmer mussten bereits aufgrund der Pandemie auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und nun kommt die Energiekrise dazu. Das ist für viele ein doppelter Schlag ins Gesicht.“ Inwiefern die Interessengemeinschaft selbst in Zukunft noch mitwirken kann, ist laut Endres offen: „Mit der HHG als Ehrenamt ist viel Zeitaufwand verbunden. Je intensiver ein Geschäft betrieben werden muss und je höher der Einsatz des Inhabers dafür ist, desto weniger Zeit bleibt für die HHG.“ Man stehe seiner Aussage nach in Kontakt mit der Stadt und hoffe, zeitnah eine Lösung zu finden. Dem kommenden Weihnachtsgeschäft sieht Endres trotz der Energiekrise zuversichtlich entgegen: „Zu dieser Zeit haben sich die Leute immer etwas gegönnt und dafür auch einiges an Vermögen ausgegeben.“ Darüber hinaus müsse man abwarten, wie sich die Energiepreise entwickeln. „Ich gehe davon aus, dass das Kaufverhalten zu Weihnachten hin nicht sinken und es seitens der Kunden zu einer Trotzreaktion kommen wird“, so Schmidt. Ein Statement, welches für die kommenden Monate einen Funken Hoffnung versprüht.

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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