Überlebenskampf in den Innenstädten
Kein Konsum, kein Einzelhandel?

Das Gefühl bei einem Einkauf vor Ort und das bei einer Bestellung online lässt sich kaum vergleichen. Gerade die Beratung im Geschäft wird durch Einzelhändler immer wieder als ihr großer Pluspunkt angeführt. | Foto: swb-Collage: stock.adobe.com - industrieblick & Kiattisak
  • Das Gefühl bei einem Einkauf vor Ort und das bei einer Bestellung online lässt sich kaum vergleichen. Gerade die Beratung im Geschäft wird durch Einzelhändler immer wieder als ihr großer Pluspunkt angeführt.
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Landkreis Konstanz. Pandemie, Krieg, Inflation: Drei Worte, die die Dauerkrise innerhalb der vergangenen Jahre zumindest oberflächlich beschreiben. Ganz bildlich werden die Auswirkungen dieser Zeit höchster Anspannung durch den Zustand vieler Innenstädte: Immer weniger Menschen gehen Einkaufen, viele können sich vieles nicht mehr leisten und das Angebot in den Städten wird immer dünner und dünner. Nicht zuletzt Insolvenzmeldungen wie die von Galeria verstärken den Eindruck, dass dem Handel mehr als nur der Schuh drückt. Wie geht es dem Einzelhandel hier in der Region? Um zu dieser Frage einen kleinen Einblick zu bekommen, hat das WOCHENBLATT mit einigen Vertretern des lokalen Handels gesprochen.

In Engen beispielsweise ist das Aussterben des Handels in der Altstadt schon lange ein dominantes Thema. So war das Ziel der „Belebung der Altstadt“ auch im Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters der Stadt 2023 ein großes Thema. Beatrix Reiter hat die Buchhandlung am Markt in Engen am 1. Februar dieses Jahres vom vorherigen Inhaber Christian Arnold übernommen. Die Krisenmonate der Pandemie habe sie daher „eher passiv“ mitbekommen. „Ich habe schon das Gefühl, dass man ziemlich gegen den Onlinehandel ankämpfen muss“, meint Reiter. „Einfach ist es nicht.“ Ihrer Ansicht nach hätten sich die Menschen über die Pandemiezeit an das Bestellen im Netz gewöhnt und ihr Kaufverhalten entsprechend umgestellt. Hinzukomme, dass „gerade in Engen“ auch die Auswahl im Handel überschaubar sei und dadurch auch viel Laufpublikum ausbleibe.
Beatrix Reiter sieht die Buchhandlung heute eher als „Nische“, halten könne sie sich hauptsächlich mithilfe von Lieferungen an die Engener Schulen und die Stadtbibliothek. Abgesehen davon kämen großteils Menschen, die aus „Idealismus“ im Laden ihre Bücher kaufen. Dabei gefällt Reiter der Kontakt zu den Kunden, auf die sie mit dem kleinen Laden auch das Inventar ausrichten könne: „Es ist schön, dass man so einen Kundenstamm noch hat.“ Dabei habe sie auch den Eindruck, dass die Kunden es genießen, Empfehlungen zu bekommen und beraten zu werden. „Es könnten nur ein paar mehr sein“, fügte sie am Ende noch hinzu.

Vertrautheit und Vertrauen

„Der Einzelhandel hat es derzeit nicht einfach“, befindet auch Hermann Kratt, Geschäftsführer des Kaufhaus Kratt in Radolfzell. Die Inflation und anhaltende Preissteigerungen führten zu Zurückhaltung bei den Kunden, „es fehlt an Frequenz“. Eine gewisse Nachfrage sehe er noch immer, allerdings sei es aktuell mit viel Aufwand verbunden, mit den Kunden in Kontakt zu kommen. Als gute Möglichkeit hierfür betrachtet Kratt Aktionen wie den kürzlichen verkaufsoffenen Sonntag in Radolfzell, der „immens gut“ gelaufen sei. Außerdem profitiere Radolfzell vom Tourismus: Touristen kaufen nach seiner Einschätzung oft „lockerer“ ein, als jemand, der etwa spontan auf dem Weg nach Hause Besorgungen erledigt.

In Radolfzell könne man durch kurze Wege und eine gute Beratung vor Ort dem „Onlinehandel ein Schnippchen schlagen“, so Hermann Kratt. Durch eine langfristig mit den Kunden aufgebaute Vertrautheit fühlen diese sich nach seiner Einschätzung sicherer, haben mehr Vertrauen in die Beratung. Das zeige sich auch in dem minimalen Anteil von Rückgaben vor Ort, während es online Retourenraten von rund 60 Prozent gebe.

"Wir sind in einer Revolution"

Singen als Spiegelbild des bundesweiten Einzelhandels sieht Alexander Kupprion, Geschäftsführer von Sport Müller und Sprecher des Singener City Rings: „Dem Einzelhandel in ganz Deutschland geht es nicht gut. Wir stehen vor der Herausforderung, die in Deutschland so besondere Einzelhandelslandschaft zu bewahren.“

Eine Kaufzurückhaltung sei ihm zufolge nach wie vor spürbar. Zwar gehe die Inflation zurück, aber die Preise, insbesondere für Lebensmittel, nicht. So müsse mehr Geld für das tägliche Leben ausgegeben werden. „Wir sind bei einem Bedarfskauf angekommen“, verdeutlicht Alexander Kupprion. Neue Laufschuhe würden heute weniger gekauft, weil sie gefallen, sondern wenn das alte Paar abgelaufen ist. „Es ist ein Kampf. Im Moment ein Überlebenskampf.“
Insbesondere die kommenden zwölf Monate betrachtet Kupprion kritisch. Seiner Ansicht nach werden viele Unternehmen mit der Rückzahlung der Überbrückungshilfen aus der Corona-Zeit Schwierigkeiten haben. Er erwarte mehr Insolvenzen, wie kürzlich die der Handelsketten Sport Scheck und Galeria, und verweist dabei auf Leerstände in der Innenstadt oder im Einkaufszentrum CANO. Seiner Ansicht nach sei es Aufgabe der Politik, mit gezielten Investitionen in die Infrastruktur der Wirtschaft unter die Arme zu greifen – denn nur mit einer gut funktionierenden Wirtschaft könne man sich den Umbau angesichts des Klimawandels leisten.

Er äußert sich im Gespräch dabei auch durchaus selbstkritisch: Durch „Rabattschlachten“ im Einzelhandel hätten sich Kunden an hohe Preisnachlässe gewöhnt. Hier wieder den Schritt zurück zu machen, sei eine „große Aufgabe“. Anders als etwa ein Handwerker, der Materialkosten und Arbeitszeit auf einer Rechnung aufschlüssle, fänden sich im Einzelhandel alle Kosten – Beratung, Personal, Warenwert – gesammelt im Preis des Produkts. Der Spielraum für Rabatte sei heute deutlich kleiner.
Statt wenige Kunden auf das Wetter oder den Onlinehandel zu schieben, sprach er sich dafür aus, mit den bestehenden Herausforderungen offensiv umzugehen. Auch der Onlinehandel habe seine Probleme, so Kupprion, dabei aber den Vorteil durchgängiger Öffnungszeiten. Im Kontrast dazu beobachte er in Singen, dass etwa am Samstag viele Geschäfte bereits um 16 Uhr geschlossen hätten.
Das Fazit Alexander Kupprions hat dabei auch positive Noten: Der Einzelhandel in Singen, wie auch in Konstanz, stehe seiner Einschätzung nach im überregionalen Vergleich gut da. „Singen hat sich entwickelt“, empfindet er mit Blick auf die städtische Infrastruktur. Diese gelte es jedoch zu bewahren und weiter auszubauen. Für Sport Müller berichtete er zudem, dass mehr Kunden bereit seien, für die Beratung im Geschäft das entsprechende Geld zu zahlen. Der City Ring-Sprecher sieht hier die Händler in der Pflicht, die Erwartungen und Standards der Kunden auch zu erfüllen.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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