Reiner Wöhrstein im Interview mit dem Wochenblatt
Singen braucht den »Espresso-Effekt«

Reiner Wöhrstein | Foto: ReMit den Plänen für sein neues Geschäft im Cano will Reiner Wöhrstein beweisen, dass die Fotobranche eine Zukunft hat. swb-Bild: dh
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Singen. Das WOCHENBLATT war zu Gast im Studio von Reiner Wöhrstein in Singen und hat mit ihm darüber gesprochen, welche Chancen er für die Zukunft der Singener Wirtschaft sieht, was er aus der Krise gelernt hat und wie die Pläne für sein neues Geschäft im Cano aussehen.

WOCHENBLATT: Sie haben einmal beim Politischen Aschermittwoch des WOCHENBLATTs erklärt, dass »Showrooms« die Zukunft des Handels sind. Was bedeutet das, gerade auch in der aktuellen Situation?
Reiner Wöhrstein: »Showroom sollte der Handel eigentlich immer sein. Das heißt, dass beispielsweise in einem Fotogeschäft die Geräte nicht in irgendeinem Lager versteckt sind und für den Kunden geholt werden müssen. Der Showroom soll das aktuelle Programm der jeweiligen Branche relativ umfassend zeigen. Der Kunde möchte die Ware sehen, er möchte begreifen, und ich glaube, dass das die neue Form des Einkaufens wird.«

WOCHENBLATT:
Welche Rolle spielt das bei Ihrem neuen Geschäft im Cano?
Reiner Wöhrstein: »Das Konzept betrifft den reinen Handel. Meine künftige Konzeption betrifft allerdings nicht mehr den reinen Handel. Wir werden unseren Schwerpunkt darauf setzen ein Dienstleister zu werden. Diese Zielposition hat sich innerhalb der letzten sechs Monate herauskristallisiert. Das hat uns die Krise in der Fotobranche, und nicht zuletzt auch Corona, gebracht.«

WOCHENBLATT:
Hat diese Entwicklung auch Ihre Entscheidung beeinflusst, doch ins Cano umzuziehen?
Reiner Wöhrstein: »Ich war ja einer der frühen Befürworter des Canos. Schon damals habe ich gesagt, dass auch ohne ECE 30 Prozent der Singener Läden über lang oder kurz weg sein werden. Das hat sich inzwischen zum Teil schon bewahrheitet. In das Center wollte ich seinerzeit trotzdem nicht. Diese Entscheidung hat sich erst Ende des letzten Jahres herauskristallisiert, weil wir hier in der Fußgängerzone zwar in einer top Lage sind, aber im Laufe der letzten neun Jahre trotzdem 56 Prozent der Besucherfrequenz verloren haben. Das ist existenziell. Letztendlich hat dann aber auch die Corona-Krise dazu beigetragen, weil wir erstmals gesehen haben, wie es ist, wenn die Einnahmen komplett ausfallen. So fiel im Mai die Entscheidung, ins Cano zu gehen, aber auf deutlich weniger Fläche. Für mich steht das Ganze unter dem Titel ›Transformation in eine kompaktere Zukunft‹.«

WOCHENBLATT: Jemand anderes in Ihrem Alter hätte sich angesichts dieser Situation vielleicht aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Was ist Ihr Ansporn, jetzt nochmal durchzustarten?
Reiner Wöhrstein: (lächelt) »Ich bin kein Rosenzüchter. Außerdem ist es so, dass Fotografieren für mich eine Berufung ist. ›Arbeit‹ für mich keine Belastung. Das ist für mich wie Sport, es erfüllt mich und das mache ich gerne. Zudem möchte ich auch ein Zeichen dafür setzen, dass unsere Branche eine Zukunft hat. Aktuell sind wir noch 1.500 Händler in Deutschland. Die große Industrie macht derzeit aber nur noch Abschlüsse mit etwa 60 bis 100 Firmen und ich habe gesagt, wir wollen zu denen gehören, die das überleben und die zeigen, wie man auch hier noch gute Geschäfte machen kann.«

WOCHENBLATT: Was bedeutet das für Sie?
Reiner Wöhrstein: »Das beginnt schon ganz oben, der Markt für Foto-Hardware geht immer mehr zurück, gerade seit die Smartphones auf dem Vormarsch sind. Selbst bei den großen Herstellern ist die Fotografie mittlerweile nur noch ein relativ kleiner Anteil am Umsatz. Den größeren Anteil machen dort inzwischen beispielsweise Medizintechnik oder die Fahrzeugbranche, die viele optische Systeme brauchen. Inzwischen sind in manchen Autos bis zu 50 Objektive verbaut. Für uns selber wird aber auch vieles anders. Auf kleiner Fläche haben wir alle fünf großen Hersteller und werden die wichtigsten Produkte in Vitrinen präsentieren. Dann geht es in den Bereich Studio. Da werden wir natürlich ein Passbild-Studio haben und ein kompaktes Fotostudio. Wir werden Fotografie machen, die man sofort erlebt. Sofort zum Anschauen, sofort zum Mitnehmen. Dazu gehört auch die neue Webseite, über die auch direkt eine unkomplizierte Terminvereinbarung möglich ist. Dann werden wir Candy-Fotografie mit unterschiedlichen Hintergründen anbieten können. Ein neues Segment ist auch die Irisfotografie, bei der die Iris im Auge des Kunden mit einer Spezialkamera fotografiert wird. Das sieht aus, als würde man im Weltraum stehen. Der Fokus bei allem liegt darauf Emotionen zu schaffen, gerade auch für die Laufkundschaft im Cano. Heutzutage werden auch Bewerbungsvideos immer wichtiger, deshalb werden wir auch die Produktion von professionellen Be-werbungsvideos übernehmen, aber auch Hochzeiten und Geschäfts-/Businessfotografie werden weiter zum Programm gehören. Also eine deutliche Verschiebung vom Schwerpunkt auf Hardware, auch im Online-Shop, hin zur Dienstleistung. Und ich bin der Meinung, das geht nur in einem solchen Center.«

WOCHENBLATT: Der Handelsverband ist vor kurzem eine Kooperation mit Google und Amazon eingegangen, um die Digitalisierung im Einzelhandel zu fördern. Wie beurteilen Sie das?
Reiner Wöhrstein: »Auch wenn es immer eine Frage ist, ob man eine Umarmung mit Firmen in der Webworld eingehen soll, die den Umarmenden manchmal bis dato fast erwürgten, ist diese Aktion zu begrüßen, insbesondere für jene Händler, welche noch keinen Zugang zum Web haben. Ich begrüße dies, da wir stationär und online, also als Hybridhändler beide Kanäle nutzen: ohne diese funktioniert Handel nicht mehr.«

WOCHENBLATT: Wie ist Ihrer Meinung nach der Singener Handel aufgestellt?
Reiner Wöhrstein: »Wir haben exzellente Fachgeschäfte, aber Singen hat, gemessen an seiner Einwohnerzahl, zu viele Fußgängerzonen-Meter. Es wird eine sportliche Aufgabe für die Zukunft, diese mit Leben zu füllen. Das ist auch das Zukunftsmodell, an dem die Kommunen arbeiten müssen. Da geht es nicht nur um die Gestaltung von Plätzen und Parkplätzen. Wir brauchen ein Immobilienmanagement und wir brauchen den ›Espresso-Effekt‹. Das heißt, die Innenstadt braucht Lebensqualität, damit sich die Menschen an den Plätzen treffen und sich gerne in der Stadt aufhalten. Wie in Italien.«

WOCHENBLATT: Was macht Ihnen Mut, wenn Sie auf die Zukunft von Singen schauen?
Reiner Wöhrstein: »Das Cano ist für Singen ein absoluter Glücksfall. Wenn es dann um diesen Innenstadt-Gürtel herum noch Wohnraum gibt und die Plätze kommunikativ gestaltet werden, dann kann das für Singen eine Trendwende sein.«

WOCHENBLATT: Sie haben in Ihrem Geschäftsleben schon viele Krisen miterlebt. Wie unterscheidet sich die Aktuelle Situation von anderen Krisen?
Reiner Wöhrstein: »Das ist die gewaltigste Krise, die ich je mitgemacht habe. Wir hatten einen kompletten Einnahmenausfall im hohen sechsstelligen Bereich. Das ist eigentlich nicht mehr einzuholen. Aus dieser Krise herauszukommen ist nicht einfach, aber solche Herausforderungen können immer auch eine Chance sein. Dazu gehören allerdings gute Überlegungen.

WOCHENBLATT: Was sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus der Krise gezogen haben?
Reiner Wöhrstein: »Wichtig ist, dass man von sich und seinem Konzept überzeugt ist, dass man sich in jedem Fall um den Kunden bemüht, denn dann hält er auch in schwierigen Situationen zu einem. Abseits vom Geschäftlichen habe ich gelernt, dass es im Leben auch noch andere Prioritäten gibt. Die Pandemie hat uns hier schon auch nochmal auf das Wesentliche heruntergeholt. Wichtig ist einfach, sachlich und klar strukturiert auf die Zukunft zuzugehen.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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