Kostenexplosion, Inflation und neue Flüchtlinge
Tafeln fühlen sich im Stich gelassen von der Politik

Im leeren Kühlraum des Tafellagers in Rielasingen: Vorsitzender Udo Engelhardt und Schatzmeister. Auch an Obst und Gemüse mangelt es gewaltig.  | Foto: swb-Bild: of
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  • Im leeren Kühlraum des Tafellagers in Rielasingen: Vorsitzender Udo Engelhardt und Schatzmeister. Auch an Obst und Gemüse mangelt es gewaltig.
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Singen/Kreis Konstanz. Harte Zeiten folgen für die Tafeln auch im Landkreis auf harte Zeiten. Nach zwei Jahren mehr oder weniger Ausnahmezustand durch die Corona-Krise mit all ihren Beschränkungen kommt es nun ganz dick für das Helfernetzwerk, das ja die Folgen von Armut etwas glätten möchte. Denn die schon im Herbst einsetzende Preissteigerung für viele Dinge des täglichen Lebens, die rasant steigenden Energiekosten, die weitere Preiswelle durch den Ukrainekrieg und letztlich die vielen Geflüchteten aus der Ukraine bringen die Helfer an den Rand ihrer Kapazitäten.

»Das halten wir in diesem Modus mit unseren größtenteils ehrenamtlichen Helfern auch nicht lange durch, weil wir schon vorher erschöpft waren und uns nach ruhigerem Fahrwasser sehnen«, sagt Udo Engelhardt, der für die fünf Tafeln im Landkreis spricht, die sechs Tafelläden und ein Tafelrestaurant eigentlich in der Größe eines mittelständischen Unternehmens betreiben. Denn auf der einen Seite steigt die Nachfrage rasant an seitens der Tafelkunden, die immer mehr werden in diesen angespannten Zeiten, auf der anderen Seite geht der Nachschub für die Versorgung aus. »Wir, wie unser Landes- und Bundesverband, schicken derzeit viele Hilferufe an die Lebensmittelindustrie heraus, weil uns viele der Grundnahrungsmittel ausgehen oder wir keinen Nachschub in Sicht haben«, macht Engelhardt im Gespräch mit dem Wochenblatt deutlich und seine Sorgenfalten sind absolut echt. Die Tafeln wollen dabei auch auf eine politische Lösung ihres Problems pochen.

Das Lager ist leer

Der Blick in den Kühlraum des großen Tafellagers in Worblingen, über das die Singener Tafel nicht nur die Tafelläden im Landkreis mit versorgt, sondern auch den Bedarf von insgesamt 25 Tafeln am Bodensee und Hochrhein zwischen Lindau und Waldshut decken soll, sagt eine Menge: Am Freitagmorgen ist er sozusagen leer. Nur ein paar Kartons eines Nahrungsergänzungsmittels stehen dort, mit denen auch niemand so richtig was anfangen kann. »Was hier in dramatischem Umfang fehlt, ist Obst und Gemüse«, sagt der Vorsitzende der Tafeln im Kreis, Udo Engelhardt, mit ernster Miene.

Im Rest des riesigen Lagers sieht es nicht viel besser aus. Ein paar Kisten in den Regalen. Dort stehen allerdings einige sogenannte »Big Packs«, die zum Beispiel von der Maggi aus Singen oder von Hügli aus Radolfzell kommen. Die Lebensmittelindustrie hat derzeit ein akutes Lieferkettenproblem und keine Tüten zum Verpacken. Um diese Lebensmittel zu »retten« werden sie nun in dem Lager tonnenweise von Hand in Portionstüten aus Cellophan umgefüllt, die es zum Glück noch gibt, um sie den Tafelläden zur Verfügung zu stellen. Eine ganze Reihe von Helfern sind da derzeit mit dem Umfüllen beschäftigt, wann immer dafür Zeit ist.
Was aber weitere haltbare Lebensmittel betrifft, von der H-Milch über Nudeln und Reis, Tomatensauce, Gemüse oder zum Beispiel Thunfisch in Dosen, Öl oder Margarine, aber auch Hygieneartikel wie Zahnpasta, Seife, Duschbad oder Shampoo, fehlen im Nachschubweg. »Derzeit laufen hier zwischen uns und dem Landes- und Bundesverband die Drähte heiß, um Lieferungen in Gang zu bringen«, erzählen Udo Engelhardt und Christine Ghazouani, die die Chefin im Worblinger Tafelladen ist. In dieser Woche haben die Tafeln im Kreis einen gemeinsamen Brief an die Lebensmittel-Einzelhändler hier in der Region geschrieben, um auf die prekäre Lage aufmerksam zu machen: »Heute müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Menge der von Ihnen gespendeten Lebensmittel für die Kundenzahlen in unseren Tafelläden sehr knapp geworden ist«, steht unter anderem darin mit der Bitte um nicht nur »etwas mehr«.
»Gerade im Lebensmittel-Einzelhandel wurde in den letzten Jahren mit immer mehr Lieferungen ›just in time‹ einiges verbessert und es gibt dort auch immer weniger Reste, die sonst im Müll landen würden, gerade bei Obst und Frischeprodukten«, ist eine Erfahrung von Udo Engelhardt, was auf der einen Seite natürlich gut ist, weil weniger Lebensmittel verschwendet werden, aber natürlich den Tafeln auch ihren »Rohstoff« dezimiert. Gerade bei Obst und Gemüse herrsche schon seit der Syrienkrise immer wieder ein Engpass, da die Menschen aus diesen Regionen das gerne auf dem Speiseplan haben. Das sieht man auch im Tafelladen, der durch die Ausweitungen im Sortiment in Singen längst zu klein geworden ist. Obst und Gemüse wurden vor die Ladentüre verfrachtet, schon weil die Kundenzahl auch immer weiter gestiegen ist und deshalb mehr Ware vorgehalten werden muss. »Wir haben uns jetzt erst mal mit einem kleinen Vordach ausgeholfen, weil das im Winter genauso funktionieren muss«, so Engelhardt beim Termin vor Ort.

Zahl der Kunden steigt stark

Schon in letzten Herbst war bei der Tafel angesichts steigender Preise und Mieten die Zahl der Kunden deutlich angestiegen. »Da sind bei uns auch Menschen aufgetaucht, die vor Jahren schon mal da waren und sich dann doch irgendwie durchgekämpft hatten«, so Engelhardt. Der Druck auf diese Personen sei spürbar, gerade bei so rasch steigenden Preisen. »Wenn jemand Grundsicherung bekommt, dann bleiben etwas mehr als fünf Euro für die Ernährung pro Tag, das ist ganz schnell weg, ohne davon satt werden zu können«, so Udo Engelhardt. Seiner Meinung nach hätte hier die Politik längst reagieren müssen. Die habe Anfang des Jahres die Sätze für die Grundsicherungen nur minimal erhöht. »Dass das einfach nicht ausreicht, ist schon länger spürbar, und da hätte gegengesteuert werden müssen«, kritisiert er scharf. Denn die Tafeln müssen diese Nichtentscheidung nun ausbaden. Weil auch immer mehr Menschen kommen, die nicht mal mehr die drei Euro für einen Tafeleinkauf haben, habe man inzwischen die »Vesperkirche« in Singen zur Hilfe aufgerufen. Die hat jetzt Gutscheine herausgegeben, um auch diesen Menschen noch helfen zu können. Doch auch deren Rücklagen sind natürlich endlich. »In diesem Modus halten wir das auch nicht sehr lange durch«, mahnt er Handlungsbedarf an.

Geflüchtete landen bei der Tafel

Der aktuelle Krieg in der Ukraine mit hunderten Geflüchteten, die auch hier im Landkreis untergekommen sind, hat nun zu den absoluten Engpässen geführt. Viele von ihnen landen bei der Tafel, weil sie eben hier in der Region erst mal gelandet sind, zum Teil auch an ihr Geld daheim nicht rankommen, oder auch, weil sie in Räumen ohne Küche gelandet sind. »Das hat die Kundenzahl in den Tafeln enorm in die Höhe getrieben. Im Tafelrestaurant werden derzeit an manchen Tagen doppelt so viele Essen ausgegeben wie sonst üblich, an Spitzentagen sogar über 120 Portionen, sodass wir schon zwei ›Schichten‹ mit Gästen einlegen müssen, weil hier gar nicht so viel Platz ist«, erzählt der Tafel-Vorsitzende, für den das auch nach Jahrzehnten im Einsatz hier Neuland ist. Und auch der Tafelladen wird immer wieder förmlich leer gekauft. Die Mittagspause muss zum Auffüllen benutzt werden, um für den nächsten Schwung gerüstet zu sein. »Das geht an den Mitarbeitern natürlich nicht spurlos vorbei, die oft richtig erschöpft sind nach einem Tag hier.« Auch das halte man nicht auf die Dauer durch, schon weil die ganzen letzten zwei Jahre unter Corona schon heftig anstrengend gewesen seien.

Ausweis soll nicht mehr reichen

Derzeit können die Geflüchteten aus der Ukraine aufgrund ihres Status mit dem Ausweis ganz einfach in die Tafel zum Einkaufen oder ins Tafelrestaurant kommen, so wie sie damit ja auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen können. »Ob da letztlich eine wirkliche Bedürftigkeit in allen Fällen besteht, wissen wir deshalb nicht«, ärgert sich Udo Engelhardt, auch wenn sie bei vielen ohnehin erkennbar ist. Die anderen Tafelkunden müssen freilich eine Kundenkarte haben, die ihre Bedürftigkeit definiert. Für Engelhardt hat es sich die Politik hier schon zu leicht gemacht, denn es werde einfach zu viel auf die ehrenamtlichen Helfer abgewälzt, die auch eine wachsende Spannung spüren, weil andere darin eine bevorzugte Behandlung sehen, wenn da manche Kunden mit dem großen Auto und »UA«-Kennzeichen vorfahren. Hier sollte schnellstens von der Politik reagiert werden, um die Geflüchteten zum Beispiel den Asylantragstellern gleichzusetzen, ist sein Standpunkt. Denn wie gesagt, die aktuelle Situation könne man so nicht noch Monate meistern, so gerne man das würde, zumal das Leid dieser Menschen hier ja auch genauso aufschlage.

Doch erst mal geht es für die vielen Tafelhelfer wirklich darum, wieder das Gefühl zu haben, genug Lebensmittel und Waren zu bekommen, um den Bedarf hier vor Ort decken zu können. Das ist ihre Mission.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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