Großer BLHV-Protestzug in Stockach
"Wir brauchen das Geld vor Ort und nicht in der ganzen Welt"

Protestschilder wie diese verdeutlichten den Unmut über die Pläne der Bundesregierung. | Foto: Philipp Findling
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Stockach/Kreis Konstanz. Die Landwirte der Region stehen weiterhin nicht still. Nun wurde nach Mahnfeuern in den Engener Stadtteilen Anselfingen und Stetten beim Protest des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV) in Stockach am Dienstag, 2. Januar, gegen die angekündigten Kürzungen beim Agrardiesel sowie für die Subvention der KfZ-Steuer ein neuer Höhepunkt erreicht.

Schon weit vor den Stadtgrenzen Stockachs konnte man das Ausmaß der Mahndemonstration spüren: So gab es hier starke Verkehrsverzögerungen durch den Traktor- und Speditionstross, der sich auf den Weg in die Narrengerichtsstadt machte. Ein Ausmaß, welches man hier im Landkreis im Rahmen der andauernden Proteste so wahrscheinlich noch nie erlebt hat.

So waren es auf Nachfrage des WOCHENBLATTs beim Polizeipräsidium Konstanz circa 600 Fahrzeuge, welche an diesem Protestzug teilnahmen. Dabei fanden sich nicht nur Teilnehmer aus dem Landkreis Konstanz, sondern auch darüber hinaus aus dem Landkreis Tuttlingen, Sigmaringen, aus Friedrichshafen sowie auch aus Überlingen am Ende des Traktorkorsos am Stockacher Dillplatz ein. Auf ein Mahnfeuer musste witterungsbedingt verzichtet werden.

Landwirte entzünden Mahnfeuer als Signal

Friedvolles Zeichen des Protests

Was sich jedoch für ein Bild des friedlichen Protestes sowie der Solidarität in der Bevölkerung zeigte, machte die Tatsache deutlich, dass nicht alle Fahrzeuge auf dem Dillplatz unterkamen und trotzdem für ein eindrucksvolles Zeichen sorgten. Hiervon war selbst Manuel Endres, Landwirt aus Owingen-Taisersdorf, überwältigt: "Ich habe hierbei ein sehr gutes Gefühl, dass wir die Regierung durch diese Proteste auf andere Gedanken bringen können." Auch der Vorsitzende des BLHV-Kreisverbands Stockach, Andreas Deyer war sehr erfreut über den großen Protestzug, wie er den Teilnehmenden bei seiner Ansprache vermittelte: "Wir müssen alle gemeinsam kämpfen, um Politik für unsere Bürger zu erzwingen."

Ihn freue es sehr, dass sich der Mittelstand an diesem Abend in dieser Stärke zusammengefunden habe, so stelle dies für ihn auch den aktuellen Zustand der Politik dar. "Das Fass", so Deyer, "wurde von Berlin zum Überlaufen gebracht und die Planlosigkeit dahinter sichtbar gemacht." Er verdeutlichte auch die Folgen der angekündigten Kürzungen. So hätten diese eine abnehmende Produktion, weitere Wege und daraus folgend mehr CO₂-Ausstöße zur Folge.

"Man kümmert sich mehr um Themen wie Digitalisierung und Energiesicherheit. Die Nahrungsmittelsicherheit als eines der grundlegendsten Dinge für uns Bürger spielt für die Bundesregierung offensichtlich keine Rolle, das finde ich sehr traurig", so der Vertreter des Bezirksverbands Stockach. Man sei aufgrund von Mangel an Alternativen weiterhin auf Diesel angewiesen und werde dies auch in den nächsten Jahren sein. "Die Regierung wird sich mit solchen Entscheidungen selbst stürzen, nicht wir."

"Die Axt ist am Baum"

Neben Andreas Deyer richtete auch Karl-Heinz Mayer, Vorsitzender des Kreisverbands Überlingen-Pfullendorf sowie Vizepräsident des BLHV, einige Worte an die anwesenden Demonstrierenden. "Ich bin überwältigt, was man mit so einer Menge an Leuten für eine Welle der Solidarität auslösen kann", zeigte er sich sichtlich begeistert. Für ihn sei "die Axt am Baum", was er auch am Beispiel der mit Kerosin betriebenen Flugzeuge deutlich machte: "Die obersten Geschäftsleute reisen hier mit den größten CO₂-Schleudern durch die Weltgeschichte, ohne dass hierbei eine Steuer erhoben wird - das geht nicht."

Auch Mayer verstärkte nochmals die Bedeutung des Mittelstands beim aktuellen Protest des BLHV. So sei die Zeit reif, dass man von der Basis nach oben ein Zeichen setzt: "Man kann mit dem Mittelstand nicht alles treiben, die Grenze ist erreicht." Allein das Hupen von "The Final Countdown" eines Landwirts aus dem Kreis Sigmaringen während der Protestfahrt verlieh dieser Aussage eine noch stärkere Gewichtung. Viele Arbeitsplätze seien eng mit der Landwirtschaft verbunden, umso glücklicher sei er über die Solidarität von Bereichen außerhalb der eigenen Branche.

"Ich finde es toll, dass selbst diese Menschen bei uns sind, obwohl sie von dieser Steuerbefreiung nichts haben." Keine Berufsgruppe habe solch friedliche Proteste so hingebracht. Seiner Meinung nach müsse man den Druck auf Berlin weiter aufrechterhalten, wobei man dort nicht so schnell einknicken werde. "Gerade hierbei ist für uns alle ein langer Atem notwendig", so der Vizepräsident des BLHV.

Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, lehne sich laut Mayer weit aus dem Fenster und riskiere dabei einen "sozialen Unfrieden" für eine sehr sensible Sache. Auch die mögliche Umstellung auf Elektromotoren sorgt bei Karl-Heinz Mayer für großen Unmut: "Allein dass ich oft sehe, dass keine Ladestationen frei sind, zeigt, wie weit man in Berlin von der Wirklichkeit weg ist." Man müsse mit den Protesten dafür sorgen, dass der Import von Nahrungsmitteln nicht erhöht und somit das Geld nicht mit offenen Händen ins Ausland geworfen werde. "Wir wollen die Menschen zu vernünftigen Preisen ernähren. Daher brauchen wir das Geld vor Ort und nicht in der ganzen Welt."

Neben den beiden Vertretern des BLHV fand auch Florian Reyer von der Hofgemeinschaft Heggelbach aus Herdwangen-Schönach mahnende Worte an die Bundesregierung. So sehe er es nicht ein, dass mit dieser Maßnahme Kosten weitergegeben werden und die Landwirte immer die "Letzten in der Kette" seien. "Wir Bauern können nicht einfach so ins Ausland abwandern." Für ihn brauche es weiterhin gute, regionale Lebensmittel, wobei ein potenzieller EU-Beitritt der Ukraine seiner Ansicht nach, dem nicht guttun würde. So hätte dies mit hiesigen Lebensmittelstandards nichts mehr zu tun. "Ich möchte dafür sorgen, dass meine Kinder auch in Zukunft den Beruf des Landwirts mit gutem Gewissen ausüben können."

Aktionswoche ab dem 8. Januar

Der Protest in Stockach war, das wurde an diesem Abend mehr als deutlich, nur der Anfang des seit dem 18. Dezember andauernden Kampfes des BLHV. Laut Andreas Deyer wird es am Montag, 8. Januar, bundesweit von 5 bis 20 Uhr Demonstrationen geben. "Hier im Landkreis Konstanz konzentrieren wir uns auf den Streckenabschnitt zwischen Singen und Waldshut." Allgemein werde man beim BLHV auf der B311 zwischen Freiburg und Ulm ein sichtbares Zeichen des Protestes setzen.

Eine weitere Aktion sei Deyer zufolge am Mittwoch, 10. Januar, in Konstanz geplant, wozu noch zeitnah Infos folgen werden. "Zudem wird es im Bodenseeraum auch eine Kundgebung mit Sternfahrt nach Salem sowie eine Demonstration in Ravensburg geben", ergänzte Karl-Heinz Mayer für den Kreisverband Überlingen-Pfullendorf. Die Aktionswoche soll schließlich am 15. Januar in einer Großdemonstration in Berlin gipfeln. "Darüber hinaus droht auch die Bahn aktuell mit Streiks am 8. Januar", so Deyer.

Andreas Deyer geht auf Nachfrage des WOCHENBLATTs stark davon aus, dass sich während der weiteren Proteste andere Branchen den Landwirten Rückendeckung geben und ihren Unmut gegenüber der Regierung ebenfalls kundtun werden. "In dieser Hinsicht habe ich schon viele Gespräche mit Vertretern aus dem Handwerk, der Gastronomie sowie der Deutschen Hotelgesellschaft geführt und große Unterstützung erfahren."

Weitere Protestaktionen über die Aktionswoche hinaus jedoch könne Deyer derzeit schwer abschätzen. Dies sei auch von der dann aktuellen Lage abhängig. Karl-Heinz Meyer setzt dabei auf die Vernunft der Landwirte im Verband: "Ich selbst hoffe, dass sowohl unsere Betriebe diese Demonstrationen wie heute auch sachlich und friedlich durchführen und die Mitbürger auch weiter hinter uns stehen."

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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