E-Autos und das Stromnetz
Packen die regionalen Netze mehr E-Mobilität?

Ist eine komplette Überlastung des Stromnetzes ein zu befürchtendes Szenario? Was wird getan, um das Netz fit für immer mehr E-Mobilität zu machen? Diese Fragen stellte das WOCHENBLATT Stadtwerken und Netzbetreibern der Region. | Foto: swb-Bild: Anja Kurz; Montage: Aune Wohlfarth
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Landkreis Konstanz. Noch immer dominiert im Alltag der Individualverkehr, um von A nach B zu kommen. Unter den privaten Autos wiederum dominiert nach wie vor der Verbrennungsmotor. Das zeigt sich auch im Landkreis Konstanz.

Laut Statistischem Landesamt Baden-Württemberg waren hier zum 1. Januar 2023 insgesamt 165.023 PKW zugelassen. Davon, so die Auskunft des Landesamtes auf Nachfrage des WOCHENBLATTs, zum selben Stichtag 4.175 PKW mit Elektroantrieb. Der Anteil der E-Autos betrug zum 1. Januar 2023 also rund 2,5 Prozent. Doch der Abschied von dem Verbrennungsmotor ist gesetzt und die Stromnetze könnten angesichts immer größerer Lasten, die durch Wärmepumpen und E-Autos benötigt oder durch PV-Anlagen und Solarparks eingespeist werden, an ihre Grenzen geraten. Wie ist es um die Elektromobilität und die dafür gebrauchten Stromnetze in der Region bestellt? Wo besteht noch Handlungsbedarf?

"Zielnetzplanung" in Radolfzell

Das Netz der Stadtwerke Radolfzell sehen Joachim Kania, Vertriebsleiter, und Lars Kießling, technischer Leiter, gut aufgestellt. Etwa das Einspeisen von Strom durch private Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) sollte laut Joachim Kania keine Probleme bereiten. „Wir können uns auf die Digitalisierung konzentrieren“, fährt er fort. Dafür wird etwa die „Zielnetzplanung 2050“ erstellt. Während bislang das Netz punktuell nach Bedarf ausgebaut wurde, wird hierbei die Stromerzeugung und -abnahme grafisch aufbereitet. Hieraus lässt sich für die Stadtwerke ableiten, wo Veränderungen an der bestehenden Strom-Infrastruktur notwendig sind, etwa bei einem erhöhten Strombedarf in Neubaugebieten mit vielen Wärmepumpen.

Den endlosen Ausbau des Stromnetzes empfinden die beiden als nicht sinnvoll. Mit einer Aufrüstung stoße man laut Joachim Kania an Grenzen, sowohl personell angesichts des Fachkräftemangels, als auch finanziell mit nötigen Investitionen von mehreren Milliarden Euro. Vielmehr müsse das Stromnetz genau gesteuert werden, erklärt Lars Kießling. Weil Strom schwer gespeichert werden könne, müssen Erzeugung und Verbrauch in Balance gebracht werden. Durch ein digitalisiertes Stromnetz sei es möglich, die Lasten zu verlagern und intelligent zu steuern. Als Beispiel nennt er das Laden eines E-Autos.

Abgestellt werde das Auto oft am Abend, wenn die Grundlast im Stromnetz bereits hoch liegt, verwendet jedoch erst wieder am Morgen darauf. Dann könne die Autobatterie entweder langsamer geladen werden oder zu einem Zeitpunkt nachts, an dem die Grundlast im Stromnetz niedriger liegt, um die bestehenden Kapazitäten auszunutzen. Dazu können Energieversorger beispielsweise einen Rundsteuerempfänger verwenden, um den Verbrauch mit Einverständnis des Kunden zu regulieren und der verfügbaren Leistung anpassen. Im Gegenzug bekommt der Kunde dafür günstigere Entgelte.

Konzept für Mehrfamilienhäuser

Eine schnellere Lademöglichkeit bieten zwar Stationen an Tankstellen und Autobahnen, doch rund 80 Prozent der Ladevorgänge finden Zuhause statt, berichtet Joachim Kania. Eine einfache Lösung gebe es hier für Einfamilienhäuser, durch eine Kombination aus eigener PV-Anlage und einer Wallbox. Auch die Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern haben die Radolfzeller Stadtwerke bereits mit der nötigen Technik ausgestattet, um das Auto dort zu laden. Bislang seien das zwölf Mehrfamilienhäuser mit 400 bis 500 Parkplätzen. Pro Jahr, so die Schätzung des Vertriebsleiters, könnte man acht bis zehn weitere Projekte, auch im Bestand, umsetzen. Es werden Kabel zu den einzelnen Stellplätzen gelegt, sodass dort eine Wallbox angebracht werden kann.

Beispielhaft eine Tiefgarage im Seevillenpark, in der eine Lade-Infrastruktur installiert ist. | Foto: Stadtwerke Radolfzell
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Ziel sei, alle Tiefgaragen in dieser Weise auszustatten, auch die Nachfrage von Mietern sei hoch. Der Eigentümer oder die Hausgemeinschaft sorge für die Infrastruktur, mit Kosten von 800 bis 1.000 Euro pro Stellplatz. Die Kosten für die Wallbox und den Strom trage wiederum der Mieter, sofern er sich dafür entscheidet. Bei rund zehn Prozent der so ausgerüsteten Stellplätze gebe es bereits Wallboxen, Tendenz steigend. An der intelligenten Ladung der Fahrzeuge in einer so ausgestatteten Tiefgarage in Form einer Verschiebung der Last werde aktuell noch gearbeitet. Laut Joachim Kania sei das Ziel, jeden der Parkplätze in den Tiefgaragen ansteuern zu können und die Lasten mit einem intelligenten System zu regeln.

Interessant findet Vertriebsleiter Kania auch die Möglichkeit, Autobatterien als Speicher zu nutzen, um bei einem Engpass der verfügbaren Leistung Energie herauszuziehen. Technisch sei das zwar kein Hexenwerk, trotzdem „sind wir da noch nicht einmal am Anfang“. Insbesondere die Abrechnung, etwa durch eine intelligente Verrechnung im Kabel, sei schwer zu regeln. Abseits des individuellen Verkehrs betonte er auch die Elektrifizierung des Stadtbusses bis 2026 und den Ausbau des E-Car-Sharing als Bausteine der künftigen Mobilität. „Wir glauben nicht, dass am Ende alles elektrisch funktioniert“, versichert Kania weiter. Weitere Antriebe könnten auf Wasserstoff oder Brennstoffzellen basieren.

Stadtwerke Stockach investieren eine Million Euro

Jochen Stein, Geschäftsführer der Stadtwerke Stockach, erachtet ebenfalls die gezielte Anpassung der Ladeleistung an die verfügbare Kapazität des Stromnetzes („netzdienliches Lademanagement“) für elektrische Mobilität als wichtig. In Stockach gebe es aktuell über 30 Ladepunkte mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, von denen die Stadtwerke 22 Ladepunkte betreibe. Das sei derzeit ausreichend, allerdings seien nicht alle Ortsteile versorgt. Unter Förderung des bundesweiten Programms „Deutschlandnetz“ wolle man einen Schnellladepark in der Stadt realisieren.

Stein hebt die Bedeutung eines intelligenten Stromnetzes, aber auch den Stromnetzausbau hervor. Beispielsweise investieren die Stadtwerke im Jahr 2024 nach seiner Angabe über eine Million Euro in das Stromverteilnetz. Dieser Ausbau sei finanziell eine „immense Herausforderung“, heute schon erhöhte Investitionen werde man künftig „noch mehr als deutlich erhöhen müssen“. Die praktische Umsetzung werde durch den Fachkräftemangel im technischen Bereich nochmals erschwert.

Mehr öffentliche Ladepunkte in Engen

Während es bei den Stadtwerken Engen laut deren technischem Geschäftsführer, Thomas Freund, keine direkte Förderung der E-Mobilität gebe, konzentriere man sich hier auf den Netzausbau. Der komme allen zugute, denn neben mehr Ladeleistung könne so mehr an erneuerbarer Energie aufgenommen und verteilt werden, „was letztendlich den Strompreis für alle dämpft“. Die Stadtwerke haben zwei Ladesäulen, berichtet Thomas Freund, dort „werden im Schnitt vier Fahrzeuge am Tag über je circa drei Stunden geladen“. Weitere Ladepunkte könnte er sich bei öffentlichen oder Discounter-Parkplätzen vorstellen. Vorrangig würden E-Autos jedoch daheim oder am Arbeitsplatz aufgeladen.

Um hier Engpässe zu vermeiden, liege der Fokus darauf, das Engener Stromnetz leistungsfähiger zu machen. Bis die Netze verstärkt sind und um vielen E-AutofahrerInnen das Laden zu ermöglichen, müsse man die Ladeleistung pro Anschluss begrenzen. „Mit etwas Planung sollte diese Regelung aber niemanden einschränken.“ Durch preisliche Anreize zur Ladung tagsüber bei einem Stromüberangebot und intelligente Messsysteme könne man auch das Ladeverhalten der Nutzer beeinflussen. Weiter entlastet werde das öffentliche Stromnetz außerdem durch eine Kombination von PV-Strom, Akku und E-Auto für Eigenheimbesitzer. Doch momentan sinke die Nachfrage im Bereich der E-Mobilität spürbar, so Freund. Weiter betont er die Bedeutung eines zuverlässigen ÖPNV: „Nicht jeder Verbrenner sollte durch ein E-Auto ersetzt werden.“

Netzausbau als Herausforderung in Singen

Während Netz und Anschluss in Singen bei der Thüga Energienetze GmbH (THEN) liegen, sorgen Dritte etwa für den Bau von Ladesäulen. Wie auch die anderen Energieversorger betont die THEN auf Nachfrage des WOCHENBLATTs, die Wichtigkeit von Netzausbau, -steuerung und -digitalisierung. Grund sei die steigende Stromnachfrage, während sich gleichzeitig „die PV-Einspeisung in das Stromnetz in den letzten beiden Jahren mehr als verdoppelt“ habe. Auf eine stabile Entwicklung des Netzes wolle man mit weiteren Investitionen aufbauen, so die Antwort der THEN auf die Anfrage des WOCHENBLATTs. Das geschehe zusammen mit der Stadt Singen als Anteilseigner. So wurde etwa im Jahr 2022 ein Schalthaus in Betrieb genommen, das unter anderem die in den Netzen verfügbare Leistung erweiterte.

Das neue Schalthaus der Thüga Energienetze GmbH | Foto: Thüga Energienetze GmbH
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Auch für die THEN als Verteilnetzbetreiber stellen diese Investitionen eine „Herausforderung“ dar. Dabei berufen sie sich auf eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums, wonach schon für Baden-Württemberg 50 Milliarden Euro investiert werden müssen, um einen Stromnetzausbau bis 2045 zu erreichen, "um die Klimaziele und damit auch den Ausbau der E-Mobilität zu ermöglichen". Durch den bisherigen und geplanten Netzausbau, sowie moderne Technik sieht sich das Unternehmen für den prognostizierten Zuwachs an E-Mobilität in Singen gerüstet. In „netzdienlichen Stromtarifen“ und der Verwendung von Autobatterien als Stromspeicher sieht auch Markus Kittl, Mitglied der Geschäftsleitung der THEN, einen Baustein auf dem Weg zu mehr E-Mobilität. „Seitens Thüga Energienetze begleiten wir diese Technologien, zum Beispiel mit Forschungsprojekten und Reallaboren, um netzseitig die E-Mobilitätsentwicklung umzusetzen.“

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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