Matthias Weckbach im Interview
Viel Gestaltungsspielraum, trotz vieler Aufgaben

Matthias Weckbach war 24 Jahre lang Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen. Mit immer neuen Ideen hat er dort dazu beigetragen, dass sich die Doppelgemeinde in dieser Zeit stark verändert hat. | Foto: Anja Kurz
  • Matthias Weckbach war 24 Jahre lang Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen. Mit immer neuen Ideen hat er dort dazu beigetragen, dass sich die Doppelgemeinde in dieser Zeit stark verändert hat.
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Landkreis Konstanz. Kommunen sind einerseits die ausführende Hand der Regierung, aber auch das offene Ohr für die Bedürfnisse der dort lebenden Bürger. Wie schafft man es da, beides zusammenzubringen? Was hat sich für die Kommunen in den letzten Jahren verändert? Werden die Kommunen mit all den Aufgaben überfordert oder trügt dieser Eindruck? Über diese und weitere Fragen hat sich das WOCHENBLATT mit Matthias Weckbach unterhalten und auch über seine persönlichen Erfahrungen als Bürgermeister in Bodman-Ludwigshafen, kurz bevor er sich zum 1. Juli aus seinem Amt verabschiedet hat.

Wochenblatt: Wenn Sie sehen, wie es war als Sie vor 24 Jahren Bürgermeister geworden sind und wie es jetzt ist, was hat sich für Kommunen geändert, was ist einfacher, was schwieriger geworden?

Matthias Weckbach: Der Komplexitätsgrad ist höher geworden. Wir wollen in allen Bereichen eine Wende und es war früher mehr so, dass die Bereiche für sich selbständiger waren. Jetzt sind sie miteinander verknüpft. Damit hat sich der Komplexitätsgrad total verändert. Wenn man heute an einem Thema dreht, drehen sich an vier, fünf Stellen gleichzeitig die Dinge noch mit. Bei einem solchen Transmissionsriemen, der alles miteinander verbindet, ist nicht immer klar vorherzusehen, welche Auswirkungen das am Ende haben wird. 
Unsere deutsche Eigenart ist, dass man vorher genau geprüft, abgewogen hat und wir uns dann nach langer, oft quälender Diskussion entscheiden, wie wir es machen. Die Amerikaner gehen anders vor, man probiert es aus und schaut was rauskommt. Wenn man sich ansieht, wie die Amerikaner mit vielen Problemen umgehen, dann muss man feststellen, dass die oft deutlich effektiver mit Problemstellungen umgehen und deutlich Zeit sparen.

Wochenblatt: Gerade ewig lange Diskussion ist fast schon eine Kernkompetenz der Bundes- und Landesebene. Aber oft ist dabei die Realität der Kommunen nicht wirklich berücksichtigt. Geht das überhaupt so weiter?

Matthias Weckbach: Viele Dinge werden vor Ort gemacht und die Lebenswirklichkeit findet ja nicht im Kanzleramt oder im Parlament statt. Das muss man aber auch einordnen: Die Bundesrepublik Deutschland kam aus einer Zeit, wo der Einzelne keine Rechte hatte, zum Beispiel aus der Zeit des Dritten Reiches. Unser Grundgesetz hat deswegen auch die Abwehrrechte des Bürgers ganz hoch angesetzt.
Dann hat sich die Politik aber auch in eine Richtung verselbständigt, weil man Wahlen gewinnen muss. Dafür habe ich ja auch Verständnis, aber sie hat den Wähler in Sicherheit gewogen. So ein bisschen ist damit die Eigenverantwortung unter die Räder gekommen. Da gehört nach meiner Meinung eine neue Ehrlichkeit her: Eine Energiewende heißt, Energie wird teurer. Wir sind eine Gesellschaft, die auf Energie basiert, das heißt es kommt zu Wohlstandsverlusten. Nur was ist die Alternative? Da ist Politik halt ein Wahlamt und es fällt manchmal schwer zu sagen: Du musst dich selbst kümmern. Die Gesellschaft ist nur für Bedürftige da, als Sicherheitsnetz. In unserer Gesellschaft muss jeder seinen Beitrag leisten, damit wir den Wohlstand aller auch so haben und halten können.

Wochenblatt: Welchen Beitrag haben Kommunen an dem Ganzen?

Matthias Weckbach: Kommunen sind die Ebene, wo alles aufeinander kommt und wir sind die Ansprechpartner für den Bürger, sind am Nächsten dran und deswegen auch die Ersten, die alles verspüren. Wir bekommen immer neue Anforderungen von oben, bis hin zur Überforderung der kommunalen Ebene. Kommunen haben eine Fülle von Aufgaben, wir sorgen für die Daseinsvorsorge und gerade um die alltäglichen Sachen dreht sich ja zum Beispiel die Energiewende. Sie muss mit genügend Personal und Finanzmitteln geleistet werden, genauso wie der Kindergarten und die Schule. Alles hängt in diesen Punkten zusammen und es kann nicht von heute auf morgen geändert werden.
Aber es werden Fristen dafür gesetzt, die gehen vielleicht wirklich in den Bereich der Überforderung. Statt Verboten, wäre eine Anreizpolitik wirkungsvoller. In dem Moment, wo zum Beispiel die Energiepreise oben waren, wo der Bürger in den Bereich der Eigenverantwortung und der Eigengestaltung gekommen wäre, hat er auch sofort reagiert. Jetzt hat der Staat wieder eingegriffen, nicht über die Preise, sondern über Verbote, mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) - es ist wie Planwirtschaft. Die Konsequenz ist, dass man sich noch schnell eine neue Öl- oder Gasheizung einbaut. Das GEG und andere Gesetze waren gut gemeint und das hat auch gar nichts mit dieser Regierung zu tun, das ist eher ein generelles Problem.

Wochenblatt: Warum ist es so wichtig, dass sich die Kommunen austauschen?

Matthias Weckbach: Wir sind von der Struktur heterogen, aber bei gleicher Gemeindegröße haben wir oft genau die gleichen Problemstellungen. Da kann man von denen lernen, die das schon gemacht haben.
Ich glaube, wir müssen in der Aufgabenerledigung noch einen Punkt weitergehen: Wir werden unsere Aufgaben so nicht mehr auf Dauer erledigen können. Uns fehlen schlichtweg die Fachkräfte. Wir werden viel stärker im Rahmen wirtschaftlicher Kooperationen denken, sinnvolle Einheiten bilden und manche Maßnahmen oder Aufgaben gemeinsam erledigen. Der Verwaltungsraum Stockach hat sich 1975 zusammengeschlossen. Dabei gibt es eine Kommune, die ausführend da ist, das ist in diesem Fall Stockach, die etwa das Baurechtsamt macht. In Zukunft wird es vielleicht nicht mehr nur die eine Kommune sein, sondern mehrere, die sich spezialisieren. Digitalisierung und Automatisierung müssen wir auch nach vorne bringen, weil wir das Personal nicht haben werden und egal welche Regierung auch nicht damit sparen wird, Gesetze zu machen.

Wochenblatt: Sehen Sie die Digitalisierung als was Notwendiges?

Matthias Weckbach: Absolut notwendig, es muss natürlich richtig eingesetzt werden. Wenn etwa ein Windrad gebaut werden soll und ein Jahr oder länger auf die Baugenehmigung gewartet werden muss, weil die Kommunen das nicht bearbeiten könnten, dann würde das die Wirtschaft doch erheblich lähmen. Es gibt auch Untersuchungen: Hätten wir weniger Bürokratie, würden etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts freigesetzt, die wir mehr Wertschöpfung haben könnten, also mehr Wohlstand.
Es gab schon einige Anläufe von Bürokratieentrümpelung und das Ergebnis waren mehr Gesetze.

Wochenblatt: Womit könnte man weniger Gesetze hinkriegen?

Matthias Weckbach: Die sachliche Diskussion um das einzelne Gesetz ist immer schwierig. Die Entbürokratisierung könnte zum Beispiel durch die Herausnahme einer kompletten Verwaltungsebene möglich sein. Jetzt mache ich mich unbeliebt beim Regierungspräsidium, aber im Endeffekt wäre das so eine Ebene. Landkreis und Kommunen haben unmittelbar die Rückmeldung des Bürgers. Die Ministerien bekommen diese dann von uns, aber immer durch die Watte des Regierungspräsidiums, also ganz stark gefiltert. Dann glaubt man im Ministerium wegen dieser Rückmeldungen vielleicht auch oft, dass man auf dem richtigen Weg ist, wenn man noch mehr Gesetze produziert.

Wochenblatt: Wie haben Sie es geschafft, nah am Bürger zu bleiben und mitzukriegen, was los ist?

Matthias Weckbach: Als Kommune kriege ich sofort die Lebenswirklichkeit der Bürger mit. Man muss diese Rückmeldungen dann auch an die anderen Ebenen weitergeben. Nur ist mir eins wichtig: Ich möchte kein Jammern und kein Geschimpfe, von keiner Ebene. Wir haben eine Aufgabe hier, eine öffentliche Aufgabe, sind gewählt, beauftragt vom Bürger das Beste zu tun. Dann muss es unser Ziel sein aufgrund der Randbedingungen, die wir haben auch das Beste zu machen. Ich möchte Aufgaben konstruktiv angehen, weil Schimpfen ist aus meiner Sicht destruktiv. Aber trotz allem muss man mit so einer Kritik umgehen und sich fragen: Wie können wir es anders oder besser machen? Das fehlt im Verwaltungshandeln ein bisschen, da will ich auch uns als kommunale Ebene nicht herausnehmen.

Wochenblatt: Stimmt es, das von den Verwaltungsebenen weiter oben hauptsächlich die Probleme weiter nach unten gereicht werden?

Matthias Weckbach: Ich glaube, dass das so ankommt, aber nicht, dass das so gemeint oder auch tatsächlich so ist. So ein Staatsgebilde hat einen Überbau, die Bundesrepublik hat Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten. Das sind ja auch Themen die wir wollen, zum Beispiel den Klimawandel zu stoppen. Aber wenn sie uns dann plötzlich selbst betreffen, dann sehen wir es aus einem komplett anderen Licht. Es ist eine Aufgabenverlagerung von oben nach unten, aber nicht weil man das gern macht, sondern weil die Kommunen ganz nah am Bürger sind. Ich glaube nur, dass die Systematik, mit Verboten statt mit Anreizen zu arbeiten, zu einem großen Verdruss führt. Weil Sie als Betroffener sonst überlegen, wie Sie das Verbot umgehen können. Als die Energiepreise gestiegen sind, haben alle Leute, die es sich leisten konnten, überlegt, wie sie für sich den Energiepreis niedrig halten. Der Mensch ist einfach so, wie er ist, er überlegt, wie er am besten durchkommt. Mehr Eigenverantwortung und der richtige Anreiz, dann hätten diese Überlegungen auch zu mehr Energieeinsparung geführt.

Wochenblatt: Wie viel Gestaltungsspielraum hat eine Kommune?

Matthias Weckbach: Ganz viel! Kommunen haben wirklich viel Gestaltungsspielraum. Beim Thema Energiewende, da ist ein Rahmen vorgegeben, aber in diesem können sich die Kommunen frei bewegen. Kommunen haben die Fürsorgepflicht für ihre Bürgerinnen und Bürger. Energie wird teurer, das Zweitauto ist in Zukunft oft nicht mehr drin. Gleichzeitig bin ich mir aber bewusst, dass das Mobilitätsbedürfnis bei meinen Bürgern weiterhin da ist, also kümmere ich mich um Alternativen: Barrierefreie Bushaltestellen, die Bahn besser ausbauen, Carsharing anbieten. Ich kann einen BoLu-Train anbieten (Anmerkung der Redaktion: Arbeitstitel eines selbstfahrenden Busses, der für Bodman-Ludwigshafen in der Planung ist), weil ich bei den Personalkosten aufpassen muss und ich gar nicht so viel Personal habe.

Wochenblatt: Hat der BoLu-Train eine Zukunft?

Matthias Weckbach: Das muss der Gemeinderat entscheiden. Er hat mir die Chance gegeben eine Finanzierung von 85 Prozent zu sichern. Aber ich habe es nur geschafft, ein Zuschussprogramm auszuloten, mit dem man maximal 50 Prozent bekommen kann.
Ich finde den selbstfahrenden BoLu-Train ein cooles Projekt und es würde die Gemeinde sicher nach vorne bringen. Anders als sonst nur auf dem eigenen Firmengelände, würde er hier wirklich draußen im öffentlichen Verkehr fahren und könnte es auch.

Wochenblatt: Würden Sie sagen, dass Kommunen da auch einfach ein bisschen lauter sein müssen?

Matthias Weckbach: Wir haben mit unserem Gemeindetag und dem Städte- und Gemeindebund ein gutes Forum, die sind auch laut und man hört sie. Die Bundespolitik geht auch immer auf die kommunale Ebene zu. Im Land könnte es ein bisschen besser sein. Unsere Vertretung ist super, aber wir werden manchmal von der Landesregierung eher als lästig wahrgenommen. Vielleicht könnten wir uns als Kommunen noch besser als Partner anbieten? In den Ministerien, glauben sie häufig, sie seien kommunal, aber sie denken interessanterweise weniger mit der kommunalen Brille, als die Vertreter in Berlin. Warum, das Land ist ja eigentlich näher an uns dran? Das kann ich mir nicht erklären.

Wochenblatt: Was hat Ihnen hier in der Gemeinde geholfen, Dinge umzusetzen?

Matthias Weckbach: Tolle Mitarbeiter, die geduldig mit mir waren, wenn ich wieder eine neue Idee hatte und diese auch mitgetragen haben. Ich habe einen sehr kritischen Gemeinderat, der mit konstruktiver Kritik daran mitwirkt, dass die Beschlüsse möglichst alle Facetten in der Gemeinde berücksichtigen. Bei uns spielen auch Parteien keine Rolle, wenn einer eine gute Idee hat, dann steht der Mehrwert für die Gemeinde im Vordergrund und in keiner Weise das Parteibuch. Da ist mein Gemeinderat wirklich fantastisch!

Wochenblatt: Welche Anforderungen warten auf einen Bürgermeister in der Zukunft oder was muss er "können"?

Matthias Weckbach: Wichtig ist, zu kommunizieren, Entwicklungen schon früh zu erkennen, aber was er eben auch haben muss, das ist die Fürsorge für die Bürgerinnen und Bürger. Da hab ich dann auch schon die eine oder andere Diskussion aushalten müssen. Manchmal interpretiert man vor lauter Eifer diese Fürsorgepflicht falsch. Ich muss mich nicht drum kümmern, dass es Menschen, denen es gut geht, noch besser geht. Ich muss mich vorallem darum kümmern, dass kein Bürger durchs Netz fällt. Wir hatten mal das Thema Schulessen. Es gibt Kinder, die haben unter Umständen kein warmes Essen am Tag, das ist Lebenswirklichkeit, sogar bei uns in der Gemeinde. Das war ein Punkt, wo ich gesagt habe, jetzt sind wir als Gemeinschaft, als Gemeinde aufgerufen, da zu handeln. Wer leistungsfähig ist, muss und kann nach sich selbst schauen.

Wochenblatt: Wie haben Sie für sich Ihre Herangehensweise an das Amt als Bürgermeister gefunden?

Matthias Weckbach: Ich hatte einen schwierigen Start. Die Unterstützer meines Mitbewerbers hatten das Wahlergebnis angegriffen und ich hatte ganz am Anfang einen Gemeinderat mit lauten Unterstützern meines Gegenkandidaten. Das heißt, ich hatte keine Wohlfühlatmosphäre. So eine Zeit kommt bei jedem Bürgermeister irgendwann in seiner Amtszeit, wo es echt herb wird. Ich wollte es in meiner ersten Amtszeit jedem recht machen und hab dann auch die Quittung bekommen, dass es für niemand so gut war, wie er es sich vorgestellt hat. Danach habe ich gesagt: "Okay, wenn ich weitermache, dann zieh ich mein Ding durch" und habe das dann auch gemacht. Aber immer im Rahmen der Fürsorge, die ich für die Bürger habe.

Wochenblatt: Wenn Sie auf die 24 Jahre zurückblicken, wofür sind Sie dankbar?

Matthias Weckbach: Ich habe unglaublich tiefe Einblicke in die menschliche Psyche erhalten. Man kann mit solchen Erfahrungen besser mit Geschehnissen umgehen, weiß auch besser wie Menschen ticken. Wahrscheinlich bin ich als Mensch nicht anders, also man lernt auch sich selbst besser kennen. Ich bin dankbar für das tolle Miteinander, mit den Menschen, die mich unterstützt haben, auch indem sie mich kritisiert haben. Das gehört dazu.

Wochenblatt: Wie ist Ihre Haltung zu der Krankenhausdebatte in Stockach?

Matthias Weckbach: Das Krankenhaus Stockach hat in der Verwaltungsgemeinschaft und darüber hinaus im Landkreis seine Berechtigung. Ich würde mir wünschen, dass bei der künftigen Krankenhausplanung des GLKN (Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz) mit berücksichtigt wird, dass es noch einen zweiten Krankenhausstandort für die Grundversorgung gibt. Wo doch die Stadt Stockach mit der jährlichen Verlustabdeckung zeigt, dass sie absolut dahinter steht.
Allgemein wäre es mir lieber, man würde an den Palästen der Krankenkassen und am Gehalt der Vorstände von Krankenkassen sparen, als an den Trägern des Gesundheitswesens.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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