Aus der Redaktion
Wie die WOCHENBLATT-Redakteure zu Klimakleber und Co. stehen

Foto: Kim Kroll/Archiv
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Landkreis Konstanz. Die Aktionen der Letzten Generation haben in den vergangenen Tagen erneut für Aufsehen gesorgt. Und auch die Region hat ihre Form des Protests zu spüren bekommen. Am Dienstag, 11. Juli, besetzten die Klimaaktivisten die Kreuzung Europastraße und Gartenstraße in Konstanz und klebten sich teilweise auf der Fahrbahn fest. Dadurch kam es laut Polizei rund drei Stunden lang zu erheblichen Behinderungen im gesamten Stadtgebiet. Am Ende musste die Feuerwehr anrücken und mehrere Protestierende aus dem Straßenbelag herausschneiden.

Die Aktivisten begründeten die Aktion in einer Pressemitteilung: "Die Klimakrise kennt keine Grenzen. Unsere Zeit, sie aufzuhalten, schon. Aus diesem Grund haben sich insgesamt elf AktivistInnen der Letzten Generation heute bei der neuen Rheinbrücke auf die Straße geklebt und so den Zollverkehr empfindlich gestört. Schon lange fordern verschiedene Umweltverbände von deutscher Seite aus einen besseren Anschluss an das Schienennetz unserer Nachbarländer, um den Güterverkehr von LKW-Kolonnen auf Züge umlagern zu können und so deutlich energiesparender und effizienter zu machen."

In der Redaktion des WOCHENBLATTs haben diese und folgende Aktionen der Letzten Generation für Diskussionen gesorgt. Die Argumente reichten dabei von Verständnis bis absoluter Ablehnung. Am Ende wurde entschieden, den Meinungen des Redaktionsteams hier Platz einzuräumen.

Es muss weh tun – sonst passiert nichts

Foto: Kim Kroll

Was für eine Wut wird hier entfacht, wenn die Klima-Aktivisten der letzten Generation durch ihre Klebeaktionen wieder eine Straße oder ein Flugfeld blockieren. Die Mehrheit der Autofahrer im Stau sehen sich ihrer Freiheit beraubt wegen dieser Klima-Terroristen“, wie sie mittlerweile beschimpft werden.

Doch wie viel Angst und Verzweiflung hat sich auf der anderen Seite aufgestaut, wenn sich Menschen mit Sekundenkleber bei brütender Hitze auf Asphalt festkleben, mit dem Risiko sich selbst und andere zu gefährden? Ist diese Radikalität der Letzten Generation notwendig? Könnten sie nicht mit Appellen, Demos und Gesprächen auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen? Oder doch wenigstens die schlimmsten Umweltsünder damit konfrontieren, wie es Green Peace mit ihren spektakulären Aktionen macht?

Offensichtlich reicht der Kuschel-Protest nicht angesichts der tickenden Zeitbombe „Klimakatastrophe“. Und seien wir mal ehrlich: Geredet haben schon viele über die notwendigen Maßnahmen, unsere einzige Erde zu retten, doch passiert ist verhältnismäßig wenig. Da muss sich jeder an die eigene Nase fassen, denn die wenigsten würden auf Wohlstand verzichten, um die Klimaziele annähernd zu erreichen. Doch mit Mülltrennung, Stromsparlampe und Solaranlagen ist es halt nicht getan.

Wenn uns nicht die apokalyptischen Prognosen der Umweltexperten, Wetterextreme wie vergangene Woche, Trockenheit und Überschwemmungen mit fatalen Folgen wachrütteln, dann muss es eben weh tun. Und das erreichen die Klima-Kleber der letzten Generation mit ihren radikalen Protesten.

Und vielleicht folgt der Ablehnung und Wut ein Funken Erkenntnis, dass vom schnellerem Handeln für unsere Umwelt doch letztendlich alle profitieren.

Ute Mucha

Klima-Aktivisten-Fraktion

Foto: Kim Kroll

Es gibt viele verschiedene Formen zu protestieren. Das zeigt sich auch bei den Protesten der Klimaaktivisten. Die Fridays For Future haben sich dabei heute förmlich etabliert, wurden zum Beginn allerdings auch oft kritisiert. Schon länger gibt es auch von Greenpeace verschiedene aufsehenerregende Aktionen. Nun folgt die Letzte Generation. Wobei diese hauptsächlich dadurch auffallen, dass fast jeder ihre Aktionen mitbekommt.

Wie sinnvoll sind die Methoden der Klimaaktivisten der Letzten Generation denn eigentlich? Gerade pädagogisch ist es doch so, dass Bestrafung und Verbote zwar wirken, andere Mittel allerdings wirkungsvoller sind. Was sollen die Aktionen der Aktivisten da wirklich bewirken? Welche „Erziehung“ versprechen sie sich davon?

Andererseits erinnern sie mich auch oft an kleine Kinder, wenn sie da auf der Straße sitzen. Sie bekommen nicht, was sie wollen, also kleben sie sich fest, wieder und wieder, bis sie bekommen, was sie wollen – so die Theorie. Dieser Kontrast aus Lehrmeister und purem Trotz widerspricht sich für mich. Dabei habe ich größtes Verständnis für die Sache, um die es geht. Ich zweifle nur sehr stark an der Wirksamkeit, sehe aber auch keine Alternative.

Was mir wirklich Sorgen macht, ist die weitere Eskalation. Aus einigen (auch historischen) Bewegungen entstehen und entstanden wiederum extremere Gruppen. Der Schritt von den Fridays zu den „Klimaklebern“ ist meiner Ansicht nach ein eben solcher. Aber was kommt danach? Werden 2025 die Extrem-Aktivisten einer KAF (Klima-Aktivisten-Fraktion) mit anderen, gewaltvolleren Ideen auf die Straßen gehen? Braucht es vielleicht genau das, damit endlich etwas getan wird? Muss sich dieser Konflikt hochschaukeln, ehe er sich entladen kann?

Ich hoffe sehr, die Antwort auf die letzte Frage lautet: „Nein.“

Anja Kurz

Hin- und hergerissen

Foto: Kim Kroll

Ich muss zugeben: Ich bin zutiefst gespalten, was die Aktionen der Letzten Generation angeht. Auf der einen Seite respektiere ich den Einsatz dieser Menschen. Sie haben ein Ziel: Sie wollen auf die Klimakrise aufmerksam machen und die Politik zum Handeln bringen. Dafür nehmen sie den Zorn und den Spot ihrer Mitmenschen und rechtliche Konsequenzen auf sich.

Sie gehen damit einen Schritt weiter als all diejenigen, die um den Eisberg wissen, auf den die Menschheit scheinbar ungebremst zusteuert, und zwar sagen, dass das Steuerrad herumgerissen werden muss, selbst aber untätig bleiben oder glauben, mit Mülltrennung und Energiesparlampen allein sei es getan. Und mit ihren Aktionen erreichen die Klimaprotestler genau das, was sie wollen: Sie ziehen die Aufmerksamkeit der Menschen auf ihre Gruppierung und damit ihre Ziele.

Auf der anderen Seite stelle ich mir vor, wie ich reagieren würde, wenn ich bei 30+ Grad Celsius im Auto sitzen würde, während ein paar Meter weiter vor mir ein paar Klimakleber die Straße blockieren. Und ich muss mir eingestehen, dass dann wohl der emotionale Teil meines Selbst überhand gewinnen und auch ich mit Wut reagieren würde, während mein rationaler Teil – der Teil, der den Eisberg näherkommen sieht – eine Kaffeepause macht.

Die Zukunft wird zeigen, ob die Streiter der Letzten Generation als Klimahelden gefeiert werden, die die Menschheit aus der Krise führten, als Klimaterroristen verurteilt werden, die mit ihren Aktionen mehr Schaden als Nutzen anrichteten, oder doch nur als Randnotiz in die Geschichtsbücher eingehen. Bis es so weit ist, warte ich mit einer endgültigen Beurteilung und bleibe bei meinem Respekt, der immer dann da ist, wenn fernab des Staus mein rationaler Teil das Ruder in der Hand hat.

Tobias Lange


Wirklich notwendig?

Foto: Kim Kroll

Dass es um unser Klima schlecht steht, wissen wir nicht erst seit Fridays For Future und der Letzten Generation. So gab es bereits früher diverse Gruppierungen, die sich für den Klimaschutz starkmachten, eine davon regiert aktuell sogar unsere Nation mit.

Ich verstehe es voll und ganz, wenn man, wie die mittlerweile etablierten Klimaaktivisten von Fridays For Future friedlich und ohne jegliche Gewalt gegen eine bestimmte Sache protestiert. Was ich jedoch bei manch anderen Protestgruppen nicht verstehen kann, ist der radikale sowie total unfriedliche Protest, wie man es derzeit eindrucksvoll von der Letzten Generation zu sehen bekommt. Warum muss man in Kunstmuseen wertvolle Gemälde mit Tomatensuppe bewerfen und warum muss man sich, wie kürzlich geschehen, an der Landebahn zweier großen Flughäfen oder an Bundes- und Landesstraßen festkleben?

Ich gehe noch weiter und stelle die Frage direkt: Was soll damit erreichen und ist das wirklich notwendig? Mit solchen Aktionen wird teils unmittelbar in den Alltag von vielen Bürgerinnen und Bürgern eingegriffen, die, im Falle der Flughafen-Blockade, sogar noch auf ihren Kosten sitzen bleiben! Wie soll das ganze denn überhaupt enden? Etwa in einem „Last Man Standing“-Szenario, für das Western-Duelle wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“ weltbekannt sind? Wer spielt dann die Mundharmonika und wer sind die Feinde? Ich kann es mir einfach nicht erklären!

Dass es auch anders geht, haben Fridays For Future eindrucksvoll bewiesen! Auch Martin Luther King und Mahatma Gandhi, welche einige der Letzten Generation als Inspiration für diese Art von Protest betrachten, haben bei ihren Protesten keine Radikalität dergleichen angewandt, sondern friedlich gegen eine Sache demonstriert und ihre Ziele erreicht. Warum nicht so, liebe Leute der Letzten Generation? Das würde mich wirklich sehr interessieren, weshalb ich offen darüber bin, mit Euch in den Dialog zu treten, um Euch besser zu verstehen!

Philipp Findling


Wenn die anderen zu wenig tun!

Foto: Archiv

Es ist eigentlich ein bekanntes Spiel: Wenn es ein Problem gibt, das eigentlich alle betrifft, aber keiner so richtig was dagegen tut, dann radikalisieren sich die, die eben etwas tun wollen, immer stärker, meist in der Hoffnung, dass die Lautstärke schon wirkt, und die Masse sich eben doch anfängt mal zu bewegen. Das hat die ganze Klima- und Umweltdiskussion schon seit ihrem Anfang geprägt. Aber weil das Klima immer mehr aus den Fugen gerät und die Opfer des Wandels irgendwann eben nicht mehr ganz weit weg sind, hat sich der Kampf bei uns zunehmend verschärft. Wenn man mal die Nachrichten der letzten Woche verfolgt, dann war Konstanz für die "Letzte Generation" nur der Anfang. Danach wurden Flughäfen und sogar eine Opernaufführung blockiert. Und immer ist eigentlich nur darüber berichtet worden, wie sich die Leute darüber ärgern, dass der Betrieb der Welt da unterbrochen wird.

Das war auch mal bei den Jugendlichen von Fridays for Future der Fall und zeigt, dass man auch dazu lernen kann. Denn die Klimaschützer sind natürlich den Schulen meist entwachsen und in der Politik der Großen angekommen, wo ganz andere "Waffen" nötig sind. Am Montag hat "Fridays for Future" zum zweiten Mal den juristischen Weg gewählt, nachdem schon 2021 der Weg vors Verfassungsgericht der Vorgängerregierung die klare Ansage eingebracht hatte, dass Klimaschutzstrategien unbedingt nachjustiert werden müssen.

Und nun ist die "Ampel" dran: Die Klimaaktivisten werfen der Regierungskoalition vor, den Weg zur Klimaneutralität fahrlässig zu verschleppen. Und sie legen sogar ein richtig schlüssiges Handlungsprogramm für den Bau- wie den Verkehrssektor vor, das ein klares Umdenken und das Setzen neuer Prioritäten erfordert. Denn sinnbildlich haben sich aktuell die Politiker festgeklebt mit ihrem Streit darüber, wer schuld daran ist, dass derzeit schon Zwischenziele klar verfehlt werden. Und wenn wir uns jetzt über Forderungen wie "Tempo 120" auf den Autobahnen ärgern wollten: Es käme vielleicht bald noch viel dicker mit Sanktionen, wenn die Erde noch mehr glüht durch unsere Veränderungsverweigerung.

Oliver Fiedler

Autor:

Redaktion aus Singen

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