Medizinethik
Das Für und Wider des assistierten Suizids

Michael Kurz (von links), Reinhild Kappes, Lars Castellucci und Stefan Bushuven diskutieren unter Moderation von Jan Harder über den assistierten Suizid. swb-Bild: Tobias Lange
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Singen. Der assistierte Suizid befindet sich in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone seit im Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hat. Doch das Thema beschäftigt die Menschen. Der Arbeitskreis Klinische Ethik Singen, der Hospizverein Singen und die Krankenhausseelsorge am Singener Klinikum haben deshalb zu einer Podiumsdiskussion in der Lutherkirche eingeladen. Vor rund 230 Zuhörern legten Experten und Betroffene ihre Standpunkte dar und beantworteten Fragen.

Zu Gast waren der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci, von dem eine von drei derzeit im Bundestag diskutierten Gesetzesinitiativen stammt, Stefan Bushuven, Chefarzt des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention und Mitglied im Arbeitkreis Klinische Ethik, Palliativmediziner Michael Kurz sowie Reinhild Kappes, ehemalige Stadtarchivarin und direkt Betroffene. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jan Harder, Chefarzt der II. Medizinischen Klinik und Leiter des Onkologischen Zentrums am Klinikum Singen.

Es braucht ein Regelwerk

"Eigentlich will ich mich mit dem Thema nicht befassen", räumte Lars Castellucci ein. Es brauche aber Vorgaben, die den assistierten Suizid regeln und Medizinern Sicherheit gibt. Er will, dass der assistierte Suizid grundsätzlich strafbar ist, unter bestimmten Voraussetzungen aber erlaubt wird. Dazu gehören die Feststellung des "freien Willens" durch einen Facharzt und Beratungen. Ärzten sei dann erlaubt, ein Rezept für ein todbringendes Mittel auszustellen. Ziel sei es, den Zugang zu ermöglichen, ohne ein Modell daraus zu machen. "Den assistierten Suizid ermöglichen, ihn aber nicht fördern." Er appellierte zudem an die Zuhörer, sich rechtzeitig um Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten zu kümmern. Viele Fälle, um die es hier gehe, hätten diese Vorsorge nicht getroffen und kämen erst dadurch in unerträgliche Situationen.

Gleichzeitig wolle er die Suizidprävention mit einem Ausbau der Angebote und Strukturen stärken. Dazu habe er sich einem "politischen Trick" bedient: "Wenn ich ganz konkret werde, unterschreibt mir den Antrag niemand." Stattdessen ist die Bundesregierung aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzesentwurf zu erarbeiten und vorzulegen.

Eine klare Meinung zu diesem Thema vertrat bei der Diskussion Reinhild Kappes, die nach eigener Aussage unheilbar erkrankt ist. Sie sprach sich für die Möglichkeit aus, selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Sollte sie sich dafür entscheiden, plane sie derzeit, dies in der Schweiz zu tun. Vorziehen würde sie aber eine andere Möglichkeit: "Sehr schön wäre es, wenn man das Zuhause machen könnte", sagte sie. Sie stimmte zu, dass es ein Gesetz brauche, das nach allen Seiten absichere. "Die Gefahr, dass halbe Altenheime Selbstmord begehen wollen, sehe ich aber nicht."

Ärzte wollen mehr Aufklärung

Kritik an den Gesetzesentwürfen kam von Michael Kurz. Ihm fehle die Aufklärung über Möglichkeiten, die es heute bereits gibt. Beispielsweise die "palliative Sedierung", die in den Bereich der indirekten Sterbehilfe fällt und bei der Medikamente verabreicht werden, die das Leiden lindern, aber gleichzeitig auch das Leben verkürzen. Er betonte die Wichtigkeit von Information und Aufklärung und führte dazu Untersuchungen aus Österreich an, nach denen 60 Prozent der Suizidwilligen nach einer Beratung davon abkamen.

Ähnlich argumentierte auch Stefan Bushuven. Er habe selbst Patienten erlebt, die aufgrund von Schmerzen Suizidgedanken hatten. Diese seien verschwunden, als der Schmerz gelindert wurde. Man müsse den Betroffenen alternative Möglichkeiten aufzeigen. Am Ende sei es aber unabdingbar, dass der assistierte Suizid von beiden Seiten freiwillig geschehen müsse. Ärztinnen und Ärzte, die eine Beteiligung aufgrund ihrer Moralvorstellungen ablehnen, dürften nicht dazu gezwungen werden.

Die Gesetzesentwürfe und die Diskussion im Bundestag darüber sind schriftliche und als Video im Internet auf www.bundestag.de zu finden.

Autor:

Tobias Lange aus Singen

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